Blick ins Gehirn von Fußballtalenten
Sportwissenschaft. Bei der Förderung von Fußballtalenten soll nichts dem Zufall überlassen werden. Salzburger Forscher sehen sich neuronale Besonderheiten der Kickerstars von morgen an.
Ein guter Fußballer muss nicht nur schnell laufen können. Wer es in eine Spitzenmannschaft schaffen will, braucht neben herausragenden motorischen Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Schnellkraft und Sprintfähigkeit auch starke kognitive Talente: Der Sportler muss sich auf relevante Informationen fokussieren, den Überblick bewahren, Spielsituationen richtig einschätzen und blitzschnell umdisponieren können, um sich auftuende Chancen zu nützen. Bei diesen exekutiven Funktionen – so der Fachbegriff – spielen Arbeitsgedächtnis, Inhibitionsfähigkeit und kognitive Flexibilität zusammen. „Es gibt starke Hinweise dafür, dass in Ballsportarten wie Fußball besondere kognitive Fähigkeiten notwendig sind, um Spitzenleistungen zu erbringen“, erläutert der Salzburger Sportwissenschaftler Jürgen Birklbauer. So haben Untersuchungen gezeigt, dass die exekutiven Funktionen bei leistungsstarken Fußballern überdurchschnittlich ausgeprägt sind. In Schweden lagen Spitzenspieler bei den exekutiven Funktionen unter den besten drei Prozent der Bevölkerung. Der Unterschied zeigt sich nicht nur bei Sportlern auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit, sondern auch schon bei Nachwuchsspielern.
U17–Nationalmannschaft
Ein Team von Sportwissenschaftlern und Sportpsychologen der Universität Salzburg geht deshalb gemeinsam mit dem Centre for Cognitive Neuroscience (CCNS) am Fachbereich Psychologie der Frage nach, warum das so ist. „Wir wollen wissen, ob sich die Gehirnstrukturen und -funktionen bei Spitzenfußballern von jenen durchschnittlich begabter Ballsportler unterscheiden“, erklärt Birklbauer. Es geht darum, möglicherweise existierende neuronale Besonderheiten von Fußballtalenten herauszufiltern. Dieses Wissen könnte eine noch gezieltere Förderung von Ballsporttalenten ermöglichen, hofft Christoph Gonaus, der in das Projekt nicht nur seine Erfahrung in der Talentdiagnostik, sondern auch jene als Sportwissenschaftler der U17-Nationalmannschaft einbringt.
Für die Studie unterziehen sich Fußballtalente einem Hirnscan mittels EEG und MRT (Magnetresonanztomografie), während sie komplexe kognitive Aufgaben lösen. Die Forscher gehen davon aus, dass es in bestimmten Regionen des präfrontalen Cortex – dort, wo die exekutiven Funktionen angesiedelt sind – bei den Spitzensportlern ein anderes Aktivitätsniveau geben könnte als bei der Kontrollgruppe. Sie sehen sich nicht nur Aufbau und Struktur bestimmter Hirnareale an, sondern auch die neuronale Vernetzung und das Zusammenspiel der Hirnregionen. Für die Identifikation solcher funktioneller Verbindungen können sogenannte Ruhenetzwerke dienen, die besonders dann aktiv sind, wenn man nichts tut bzw. nichts denkt.
Für die Untersuchung arbeiten die Salzburger Wissenschaftler mit einem als Stop-Signal-Task bekannten Testverfahren. Ziel ist, die Ergebnisse von Spielern der U17- und U18-Nationalmannschaft jenen von weniger leistungsstarken – aber ansonsten vergleichbaren – Fußballern gegenüberzustellen. Die Teilnehmer müssen auf schnell wechselnde Signale hin eine Taste links oder rechts drücken und auch richtig auf Stopp-Signale reagieren. Der Test zeigt unter anderem, wie gut oder schlecht die motorische Inhibitionsfähigkeit eines Probanden ist, also die Fähigkeit, einen schon eingeleiteten Bewegungsablauf in letzter Sekunde abzustoppen, um zu einer anderen Aufgabenstellung zu wechseln. „Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass es bei dieser motorischen Inhibitionsfähigkeit deutliche Leistungsunterschiede zwischen den besten und weniger guten Fußballspielern gibt“, begründet Birklbauer: „Der Unterschied spielt eine Rolle. Wir wissen aber noch nicht, wie groß der Einfluss ist.“
Genetik oder Training?
„Ich spreche oft mit Trainern, worauf sie bei der Talentsuche achten“, erzählt Gonaus. Kreativität, Spielintelligenz und Handlungsschnelligkeit werden oft genannt. „Anhand der Ergebnisse unseres Projekts wollen wir deren kognitive Komponenten objektivierbar machen.“Die Salzburger wollen mit ihrer Untersuchung auch einen Beitrag zur Beantwortung einer der großen offenen Forschungsfragen in diesem Zusammenhang leisten: Sind die gut ausgeprägten exekutiven Funktionen eine Frage der Genetik oder des Trainings? Die Ergebnisse sind nicht nur für den Spitzenfußball spannend. Sie könnten auch bei der Lernförderung von Kindern hilfreich sein. Schließlich geht man davon aus, dass die exekutiven Basisfähigkeiten auch einen großen Einfluss auf Schulreife, Schulleistungen und selbst auf den Erfolg im Leben haben.