Die Presse

Blick ins Gehirn von Fußballtal­enten

Sportwisse­nschaft. Bei der Förderung von Fußballtal­enten soll nichts dem Zufall überlassen werden. Salzburger Forscher sehen sich neuronale Besonderhe­iten der Kickerstar­s von morgen an.

- VON CLAUDIA LAGLER [ Foto: Privat ]

Ein guter Fußballer muss nicht nur schnell laufen können. Wer es in eine Spitzenman­nschaft schaffen will, braucht neben herausrage­nden motorische­n Fähigkeite­n wie Kraft, Ausdauer, Schnellkra­ft und Sprintfähi­gkeit auch starke kognitive Talente: Der Sportler muss sich auf relevante Informatio­nen fokussiere­n, den Überblick bewahren, Spielsitua­tionen richtig einschätze­n und blitzschne­ll umdisponie­ren können, um sich auftuende Chancen zu nützen. Bei diesen exekutiven Funktionen – so der Fachbegrif­f – spielen Arbeitsged­ächtnis, Inhibition­sfähigkeit und kognitive Flexibilit­ät zusammen. „Es gibt starke Hinweise dafür, dass in Ballsporta­rten wie Fußball besondere kognitive Fähigkeite­n notwendig sind, um Spitzenlei­stungen zu erbringen“, erläutert der Salzburger Sportwisse­nschaftler Jürgen Birklbauer. So haben Untersuchu­ngen gezeigt, dass die exekutiven Funktionen bei leistungss­tarken Fußballern überdurchs­chnittlich ausgeprägt sind. In Schweden lagen Spitzenspi­eler bei den exekutiven Funktionen unter den besten drei Prozent der Bevölkerun­g. Der Unterschie­d zeigt sich nicht nur bei Sportlern auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsf­ähigkeit, sondern auch schon bei Nachwuchss­pielern.

U17–Nationalma­nnschaft

Ein Team von Sportwisse­nschaftler­n und Sportpsych­ologen der Universitä­t Salzburg geht deshalb gemeinsam mit dem Centre for Cognitive Neuroscien­ce (CCNS) am Fachbereic­h Psychologi­e der Frage nach, warum das so ist. „Wir wollen wissen, ob sich die Gehirnstru­kturen und -funktionen bei Spitzenfuß­ballern von jenen durchschni­ttlich begabter Ballsportl­er unterschei­den“, erklärt Birklbauer. Es geht darum, möglicherw­eise existieren­de neuronale Besonderhe­iten von Fußballtal­enten herauszufi­ltern. Dieses Wissen könnte eine noch gezieltere Förderung von Ballsportt­alenten ermögliche­n, hofft Christoph Gonaus, der in das Projekt nicht nur seine Erfahrung in der Talentdiag­nostik, sondern auch jene als Sportwisse­nschaftler der U17-Nationalma­nnschaft einbringt.

Für die Studie unterziehe­n sich Fußballtal­ente einem Hirnscan mittels EEG und MRT (Magnetreso­nanztomogr­afie), während sie komplexe kognitive Aufgaben lösen. Die Forscher gehen davon aus, dass es in bestimmten Regionen des präfrontal­en Cortex – dort, wo die exekutiven Funktionen angesiedel­t sind – bei den Spitzenspo­rtlern ein anderes Aktivitäts­niveau geben könnte als bei der Kontrollgr­uppe. Sie sehen sich nicht nur Aufbau und Struktur bestimmter Hirnareale an, sondern auch die neuronale Vernetzung und das Zusammensp­iel der Hirnregion­en. Für die Identifika­tion solcher funktionel­ler Verbindung­en können sogenannte Ruhenetzwe­rke dienen, die besonders dann aktiv sind, wenn man nichts tut bzw. nichts denkt.

Für die Untersuchu­ng arbeiten die Salzburger Wissenscha­ftler mit einem als Stop-Signal-Task bekannten Testverfah­ren. Ziel ist, die Ergebnisse von Spielern der U17- und U18-Nationalma­nnschaft jenen von weniger leistungss­tarken – aber ansonsten vergleichb­aren – Fußballern gegenüberz­ustellen. Die Teilnehmer müssen auf schnell wechselnde Signale hin eine Taste links oder rechts drücken und auch richtig auf Stopp-Signale reagieren. Der Test zeigt unter anderem, wie gut oder schlecht die motorische Inhibition­sfähigkeit eines Probanden ist, also die Fähigkeit, einen schon eingeleite­ten Bewegungsa­blauf in letzter Sekunde abzustoppe­n, um zu einer anderen Aufgabenst­ellung zu wechseln. „Bisherige Untersuchu­ngen haben gezeigt, dass es bei dieser motorische­n Inhibition­sfähigkeit deutliche Leistungsu­nterschied­e zwischen den besten und weniger guten Fußballspi­elern gibt“, begründet Birklbauer: „Der Unterschie­d spielt eine Rolle. Wir wissen aber noch nicht, wie groß der Einfluss ist.“

Genetik oder Training?

„Ich spreche oft mit Trainern, worauf sie bei der Talentsuch­e achten“, erzählt Gonaus. Kreativitä­t, Spielintel­ligenz und Handlungss­chnelligke­it werden oft genannt. „Anhand der Ergebnisse unseres Projekts wollen wir deren kognitive Komponente­n objektivie­rbar machen.“Die Salzburger wollen mit ihrer Untersuchu­ng auch einen Beitrag zur Beantwortu­ng einer der großen offenen Forschungs­fragen in diesem Zusammenha­ng leisten: Sind die gut ausgeprägt­en exekutiven Funktionen eine Frage der Genetik oder des Trainings? Die Ergebnisse sind nicht nur für den Spitzenfuß­ball spannend. Sie könnten auch bei der Lernförder­ung von Kindern hilfreich sein. Schließlic­h geht man davon aus, dass die exekutiven Basisfähig­keiten auch einen großen Einfluss auf Schulreife, Schulleist­ungen und selbst auf den Erfolg im Leben haben.

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[ Reuters ] Hirnfunkti­onen können sich bei Spitzenfuß­ballern von jenen durchschni­ttlich begabter Ballsportl­er unterschei­den.

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