Vor Kurzem noch am Ende der Welt
Umfrage. Sonst gewohnt, viele Tage im Jahr in der ganzen Welt herumzufahren und von dort Reisereportagen nach Hause mitzubringen, heißt es jetzt am Boden bleiben. Für freie Reise-Autoren geht der Recherche-Trip am Schreibtisch weiter.
Am Boden bleiben heißt nicht Stillstand, aber Entschleunigung: Damit übermorgen zu lesen ist, was vorgestern vor Ort recherchiert wurde.
Wien. Ein wenig seltsam fühlt es sich für eine Reisejournalistin schon an, wenn der Koffer im Keller verstaubt und der Bewegungsradius durch die Distanz zum Greißler definiert wird. Wenn statt Einladungen in ferne Länder, die man neu hätte entdecken können, Absagen eintreffen. Aber der Himmel ist ja immer noch da, Wolken ziehen, Vögel fliegen, man weiß, dass man nichts versäumt, weil es allen so geht. Man fragt sich vielleicht auch, welche Erinnerungen man als besonderes Souvenir mitgenommen hat. Sicher den Meerestanz mit einer Seehunddame auf den Galapagos. Den verschiedenen Sand unter den Füßen bei einer Wüstenwanderung in Marokko. Den Anblick der Saturn-Ringe durch ein Teleskop auf dem Pilatus. Zip-Lining über der MojaveWüste. Und freut sich, dass man das erlebt hat.
Aber man weiß ja, dass es auch anders geht, mit „Reisen im Kopf“. Wie bei „Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer“von KarlMarkus Gauß, das man sich wieder einmal vornehmen sollte. Oder im wunderbaren Film „Mein Essen mit Andre“,´ bei dem zwei Freunde einander ihr Leben erzählen, der eine weit gereist, der andere, nicht minder glückliche, immer zu Hause geblieben. Oder man erinnert sich an die spannenden Beobachtungen in „At Home: A Short History of Private Life“von Bill Bryson, dem Weltreisenden, der sich zur Abwechslung mit der Geschichte seiner eigenen vier Wände beschäftigt.
Kann Blaise Pascal recht haben, der meint: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“? Die nächsten Wochen werden es uns zeigen. Das Buch, an dem ich jetzt endlich intensiver schreibe, werde ich dann vielleicht dem Coronavirus widmen.
Nordburgenland. Welch ein Privileg in diesen Zeiten, in einem Haus mit Garten zu leben. Von draußen höre ich die Vögel, die völlig unbeeindruckt von Krisen ihre Frühlingsgefühle herauszwitschern. Drinnen bringe ich Ordnung ins Chaos der liegen gebliebenen Projekte. Der Blick hinaus wird durch einen noch winzigen Urwald verstellt – es sind meine aus Samen gezogenen Pflänzchen, die auf der Fensterbank darauf warten, ins Glashaus übersiedelt zu werden. Das ist noch von Jungpflanzen besetzt, die ihrerseits bald im Garten angepflanzt werden sollen. Mitunter sitze ich mit dem Laptop auf dem Schoß im Glashaus, höre den Pflanzen beim Wachsen zu und schreibe in ihrem ruhigen Takt einen nächsten Text, über Los Angeles. Zum Highlight der Woche wird das „Stadt-Land“Spielen mit der ganzen Familie via Skype. Wien, Bonn und das Burgenland sind da innig beim Lachen vereint, und die Krise ist nichts als ein Wort mit „K“.
Südburgenland. Einst führten bekanntlich alle Wege nach Rom. Für mich als Berufsreisende sehr oft auch weit darüber hinaus, etwa nach Nepal. Oder nach Singapur. Dort, wo Wein, Wärme und feines Futter daheim waren, habe ich mich allerdings stets besonders zu Hause gefühlt. Insofern hab ich nun Glück, diese Zeit der Isolation auf meinem alten Bauernhof im Südburgenland zu verbringen. Mitten im Uhudlerparadies sozusagen. Und weil ich mein Gemüse selbst ziehe, alle Nachbarn Hühner besitzen und das Vorratslager noch voller Steinpilze ist, werde ich bestimmt nicht am Hungertuch nagen. Zwischen den Mahlzeiten treib ich mich dann stets im Garten bei meinen „Bösen Blumen“(Anm.: Buchtitel, erschienen bei Emons) herum. Nachdem der erste Band meiner botanischen Giftkrimis ein Bestseller wurde, tippe ich nun fleißig am Folgeband herum, der im Winter erscheinen soll. Mit noch mehr Spannung und Infos zu gemeinen Gewächsen und Kräutern.
Bangkok und Marbella. Zwei Welten, Corona ist überall und hat daraus eine gemacht, der Rückflug nach Spanien derzeit unmöglich.
Seit einer Woche freiwillig im Self Lockdown und in Gedanken bei Freunden und den Menschen in Not, nehme ich das als Geschenk: Zeit. Seit Mitternacht Notverordnung erster Stufe, selbst das vitale Bangkok ist stiller. Vor dem Fenster aber ist mir jeden Abend die leuchtende Stadt mit ihren Lichtern bis zum Himmel und den Schiffszügen auf dem Chao Phraya ein Zeichen der Hoffnung. Bis zur Rückkehr nach Spanien sind all die neueren Notizen, Clips und Bilder . . . zu ordnen – von der fernen Costa de la Luz, den Stränden hier im Süden, Japan, Singapur . . . Ein Buch übers Reisen durch die Zeiten, durch die Welt, kann es werden. Ich bin zuversichtlich: Nach Corona möchten die Menschen die Welt wiedersehen. Es wird mit anderen Augen sein.
Leipzig. Von Natur aus zappelig, halte ich es nirgendwo lang aus. So bin ich Reisejournalist geworden. Doch um mein Donaubuch zu schreiben und für meine Mutter (87) da zu sein, verbrachte ich nach einer Flussauf-flussab-Recherche die letzte Zeit im stillen Kämmerlein. Zu Beginn der Krise war mein Abenteuermodus noch gar nicht wieder aktiviert. Das macht das Eingesperrtsein zwar nicht schöner, doch erträglicher. Und Sozialkontakt geht auch per Post. Gestern hat mir meine Freundin Olga ein Paket geschickt. Der Inhalt: ein russisches Matrosen-Shirt für mich, ein ebenso blau-weiß gestreifter Babyanzug für meinen Enkel Philipp und eine Ansichtskarte. Einziges Bildmotiv: Kielwasser. Auf der Rückseite stand – „für den großen und den kleinen Seemann“– ein russisches Gedicht. Es wird mich nicht vergessen lassen, dass zu Hause sitzen immer nur vorübergehend ist: „Über Meere, über Wellen – heute hier, morgen dort?“
Nordsee, Ägäis. Oben steht noch unser Arktis-Gepäck und wartet aufs Auspacken. Eben waren wir noch mit dem Eisbrecher Arctic Explorer im Polargebiet unterwegs, haben Schwedisch Lappland 300 Kilometer oberhalb des Polarkreises durchquert und sind mit dem letzten Flug hinausgekommen. Und nun hängen wir am Deich fest, in unserem deutschen Nordseezuhause, und kommen nicht mehr nach Paros weiter, wo wir auch wohnen und Sammy, Apollon und Artemis warten: Ich telefoniere täglich mit dem Katzensitter, mit der Aegean und WCPapier hinterher. Gerade kommt die nächste Flugstornierung nach Athen herein. Wären wir doch in der Arktis geblieben. Da saßen wir noch in Pitea˚ im Kust Hotell im Pool am Dach und überlegten, einfach zu bleiben, in der Abgeschiedenheit, mit Rentieren, Huskies und einem Schlitten, und in der Mountain Lodge in Abisko zu warten, bis Corona vergeht. Stattdessen arbeiten wir jetzt alles auf, heute gerade die Bilder, auf denen ich als Musher ein Gespann durch Lulea˚ lenke, Fotograf Tom mit Ice, dem Alaskan Husky, im Arm. Und sonst: weiterschreiben.
Wien. Nach reiseintensiven Phasen ist man auch einmal froh, einfach zu Hause zu sein, um Zeit für Freunde zu haben und in Ruhe Reportagen zu schreiben und Fotos zu sortieren. Nach ein paar Wochen fängt es aber wieder an zu kribbeln, Pläne werden geschmiedet. Während einer Reise im Februar machten wir nach den ersten Corona-Nachrichten noch „Scherze“, dass diese womöglich „die letzte Reise“für uns war. Ohne auch nur zu ahnen, wie recht wir haben könnten. Heute wissen wir, irgendwann werden wir alle wieder unseren Reisehunger stillen können, wenn vielleicht auch nicht mehr in der Ausprägung wie bisher. In der Zwischenzeit bin ich nicht nur dabei, Fotos zu sortieren (und in Erinnerungen zu schwelgen) – sondern auch Kästen, Laden, Abstellraum. Und immer wieder finden sich dabei längst vergessene Souvenirs, Gewürze, Öle und dubiose Schnäpse, die endlich aufgebraucht werden und ein wenig über die „stille Zeit“hinwegtrösten.