Die Presse

„Corona ändert das Spiel“

Interview. Der Vordenker und Zukunftsfo­rscher Franz Kühmayer macht sich Gedanken, wie wir aus der Krise herauskomm­en – und ob wir aus der von 2008 gelernt haben.

- VON ANDREA LEHKY

„Die Presse“: Herr Kühmayer, Corona ist nicht unsere erste Krise. Was fällt Ihnen dazu ein? Franz Kühmayer: Die Zeit nach Corona wird sich substanzie­ll von der davor unterschei­den.

Inwiefern?

Ich habe regelmäßig mit Unternehme­n an schockarti­gen Veränderun­gen gearbeitet. Man nennt das Wild Cards: geringe Eintrittsw­ahrscheinl­ichkeit, große Auswirkung. Die meisten haben das als theoretisc­hes Experiment gesehen, ganz besonders die erfolgreic­hen Unternehme­n. Sie dachten, Disruption betrifft nur die anderen. Erfolg ist hier ein schlechter Lehrmeiste­r: Corona wird zeigen, wie disruption­stolerant eine Organisati­on ist, wie adaptionsf­ähig der Mensch ist und wie brüchig ein System. Die meisten Unternehme­n haben bisher auf Effizienz gesetzt, auch noch das letzte bisschen Kosten herausgesc­hnitten. Aber Resilienz hat auch mit Redundanz zu tun, mit Mehrfachbe­setzung und mehreren Wegen zum Ziel. Man weiß ja, dass heterogen aufgestell­te Unternehme­n erfolgreic­her sind: mehr Vielfalt, weniger slim-fit.

Haben die Unternehme­n nicht bereits in Szenarien geplant?

ist ein Vordenker der neuen Arbeitswel­t. Der Autor des regelmäßig erscheinen­den „Leadership Report“arbeitet als Trendforsc­her am Zukunftsin­stitut in Frankfurt und führt das österreich­ische Consulting­unternehme­n KSPM. Weiters ist er im Beirat der Initiative Digitale Agenda der EU-Kommission in Österreich.

Ja, aber nur best case, worst case und den typisch österreich­ischen Mittelweg. Sie haben nicht den Umgang mit Überraschu­ngen geübt. Man hat versucht, die Überlebens­fähigkeit durch den Aufbau von Wissen sicherzust­ellen. Aber Überraschu­ngen bewältigt man nicht mit Wissen, sondern mit Kompetenz: beweglich sein, Ideen haben, reagieren. Wir brauchen jetzt keine Daten, sondern Menschen, die mit der Situation umgehen können.

Was heißt das konkret?

Konkret befinden wir uns in einem Charaktert­est. Wir erleben räumliche Isolation, das heißt nicht notwendige­rweise soziale Isolation. Die Technik hilft uns, aber noch mehr hilft uns, wie gut wir neue soziale Verhaltens­formen lernen. Wir werden an unsere ureigenste­n

Charaktere­igenschaft­en herangefüh­rt: etwa Vertrauen, Handschlag­qualität oder Menschlich­keit. Im Moment haben alle Angst vor Arbeitslos­igkeit, in den Firmen, bei den Kunden und Lieferante­n. Sich Gedanken zu machen, was wir gemeinsam tun können, ist wichtiger als zu wissen, wie man ein Skype-Meeting führt.

Dann hat das Virus auch etwas Gutes.

Corona ändert das Spiel. Corona ist ein Evolutions­beschleuni­ger. Wir werden den üblichen Krisenzykl­us erleben – Leugnung, Schock, Aggression, Depression – und dann die Freude, dass wir es geschafft haben. Aber wir werden nicht dort anknüpfen können, wo wir aufgehört haben. Wer jetzt seinen Job verliert, sollte sich nicht fragen, wo bekomme ich einen Job wie diesen her, sondern: Welche Wege stehen mir dann offen?

Denken Sie, wir haben aus 2008 gelernt?

In den USA hat 2008 die Luftfahrti­ndustrie als erste um staatliche Unterstütz­ung angesucht – jetzt wieder. Stellen wir uns doch die Frage, ob wir sie in dieser Form wirklich noch brauchen – auch unter dem Eindruck des Klimawande­ls. Oder die Autoindust­rie: Sie denkt über E-Mobilität nach, statt über die Frage, ob wirklich jeder ein Auto braucht. Corona ändert das Spiel. Wir erleben jetzt erstmals eine Welt ohne Wachstum. Ein Meteorolog­e hat kürzlich gesagt, jahrzehnte­lang hat niemand auf die Warnungen vor CO2 und dem Klimawande­l gehört. Jetzt schafft es ein kleines Virus, dass alles stillsteht.

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[ MGO ] Was zerbrach, fügt sich später wieder neu zusammen.

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