„Corona ändert das Spiel“
Interview. Der Vordenker und Zukunftsforscher Franz Kühmayer macht sich Gedanken, wie wir aus der Krise herauskommen – und ob wir aus der von 2008 gelernt haben.
„Die Presse“: Herr Kühmayer, Corona ist nicht unsere erste Krise. Was fällt Ihnen dazu ein? Franz Kühmayer: Die Zeit nach Corona wird sich substanziell von der davor unterscheiden.
Inwiefern?
Ich habe regelmäßig mit Unternehmen an schockartigen Veränderungen gearbeitet. Man nennt das Wild Cards: geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, große Auswirkung. Die meisten haben das als theoretisches Experiment gesehen, ganz besonders die erfolgreichen Unternehmen. Sie dachten, Disruption betrifft nur die anderen. Erfolg ist hier ein schlechter Lehrmeister: Corona wird zeigen, wie disruptionstolerant eine Organisation ist, wie adaptionsfähig der Mensch ist und wie brüchig ein System. Die meisten Unternehmen haben bisher auf Effizienz gesetzt, auch noch das letzte bisschen Kosten herausgeschnitten. Aber Resilienz hat auch mit Redundanz zu tun, mit Mehrfachbesetzung und mehreren Wegen zum Ziel. Man weiß ja, dass heterogen aufgestellte Unternehmen erfolgreicher sind: mehr Vielfalt, weniger slim-fit.
Haben die Unternehmen nicht bereits in Szenarien geplant?
ist ein Vordenker der neuen Arbeitswelt. Der Autor des regelmäßig erscheinenden „Leadership Report“arbeitet als Trendforscher am Zukunftsinstitut in Frankfurt und führt das österreichische Consultingunternehmen KSPM. Weiters ist er im Beirat der Initiative Digitale Agenda der EU-Kommission in Österreich.
Ja, aber nur best case, worst case und den typisch österreichischen Mittelweg. Sie haben nicht den Umgang mit Überraschungen geübt. Man hat versucht, die Überlebensfähigkeit durch den Aufbau von Wissen sicherzustellen. Aber Überraschungen bewältigt man nicht mit Wissen, sondern mit Kompetenz: beweglich sein, Ideen haben, reagieren. Wir brauchen jetzt keine Daten, sondern Menschen, die mit der Situation umgehen können.
Was heißt das konkret?
Konkret befinden wir uns in einem Charaktertest. Wir erleben räumliche Isolation, das heißt nicht notwendigerweise soziale Isolation. Die Technik hilft uns, aber noch mehr hilft uns, wie gut wir neue soziale Verhaltensformen lernen. Wir werden an unsere ureigensten
Charaktereigenschaften herangeführt: etwa Vertrauen, Handschlagqualität oder Menschlichkeit. Im Moment haben alle Angst vor Arbeitslosigkeit, in den Firmen, bei den Kunden und Lieferanten. Sich Gedanken zu machen, was wir gemeinsam tun können, ist wichtiger als zu wissen, wie man ein Skype-Meeting führt.
Dann hat das Virus auch etwas Gutes.
Corona ändert das Spiel. Corona ist ein Evolutionsbeschleuniger. Wir werden den üblichen Krisenzyklus erleben – Leugnung, Schock, Aggression, Depression – und dann die Freude, dass wir es geschafft haben. Aber wir werden nicht dort anknüpfen können, wo wir aufgehört haben. Wer jetzt seinen Job verliert, sollte sich nicht fragen, wo bekomme ich einen Job wie diesen her, sondern: Welche Wege stehen mir dann offen?
Denken Sie, wir haben aus 2008 gelernt?
In den USA hat 2008 die Luftfahrtindustrie als erste um staatliche Unterstützung angesucht – jetzt wieder. Stellen wir uns doch die Frage, ob wir sie in dieser Form wirklich noch brauchen – auch unter dem Eindruck des Klimawandels. Oder die Autoindustrie: Sie denkt über E-Mobilität nach, statt über die Frage, ob wirklich jeder ein Auto braucht. Corona ändert das Spiel. Wir erleben jetzt erstmals eine Welt ohne Wachstum. Ein Meteorologe hat kürzlich gesagt, jahrzehntelang hat niemand auf die Warnungen vor CO2 und dem Klimawandel gehört. Jetzt schafft es ein kleines Virus, dass alles stillsteht.
NAVIGATOR
Verantwortung: Wie Caritas-Direktorin Edith Pinter ihren Job sieht K3 Medizinstudium: In der Krise freiwillig Praxis sammeln .................................................. K4