Strategien gegen die Angst
Psychologie. Die Angst sich anzustecken. Die Angst um den Job. Die Angst um das Unternehmen, das eben noch gesund war und jetzt taumelt. Wie geht man damit um? Business-Coach Michaela Judy weiß Rat.
Michaela Judy ist keine Psychiaterin. Sie ist Coach und Supervisorin, außerdem Vorstandsvorsitzende des ÖVS, der Österreichischen Vereinigung für Supervision und Coaching. Judy hat es mit gesunden Menschen zu tun, die in eine Krise geraten. Also mit jedem von uns.
Angst ist das Thema der Stunde, sagt sie. Die Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken, krank zu werden, zu leiden, vielleicht zu sterben. Die Angst, den Job zu verlieren, unvorbereitet und schuldlos. „Je weiter oben in der Hierarchie jemand steht, desto mehr kommt auch die Angst um das Unternehmen dazu. Eben war es noch gesund, jetzt taumelt es.“
Wie geht man mit all diesen Ängsten um? Zwei Punkte, meint Judy, sind wichtig, auch wenn sie einander scheinbar widersprechen. Erstens, Angst nicht negieren. Zweitens, sie nicht überhandnehmen lassen.
„Die Leute haben Angst und sie haben Grund dazu“, sagt Judy. Will man ihnen diese Angst ausreden, befeuert sie das nur. „Macht man die Angst aber besprechbar, portioniert man sie und sie wird handhabbar.“Ziel also: zulassen, anerkennen, besprech-, portionier- und somit lösbar machen.
Gut gefällt Judy, was Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte vormacht: „Er dramatisiert nicht, aber er lässt keine Zweifel an der Situation. Er sagt, was er vorhat und was die Leute tun können. Er sagt auch, es gibt keine Garantien, aber Wahrscheinlichkeiten. Wenn alle tun, was er sagt, ist die Wahrscheinlichkeit größer, glimpflich davonzukommen.“
Genauso gehen gute Chefs vor: Sagen, dass die Lage schwierig ist, aber man hat sich einiges überlegt. Das kann das Management tun, das können die Mitarbeiter tun, diese externen Hilfen gibt es – „und jetzt macht bitte alle mit“. Im Übrigen: „Kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren.“
Genau damit tun sich viele Chefs schwer. So mancher hält ein Rundmail für ausreichend. Was es nicht ist: „Ein guter Chef fragt nach, hält Kontakt, gibt neue Infos, hält zusammen. Das ist nicht leicht, aber da muss er durch.“Ist er selbst zerrieben von seinen Ängsten, rät sie zu professionellem Coaching, derzeit auch online. Dazu sei ihr Berufsstand da.
Wenn Kündigungen drohen
Beruhigen und Ängste nehmen ist eine Sache, schlechte Nachrichten verkünden eine andere. Kündigungen, sagt Judy, sollten erst angesprochen werden, wenn klar ist, wen genau sie treffen: „Sagt ein Chef, es wird Kündigungen geben,
ist Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Vereinigung für Supervision und Coaching (ÖVS). Die promovierte Germanistin ist selbst Trainerin, Coach und Supervisorin, daneben u. a. Personalentwicklerin der Wiener Volkshochschulen. will jeder nur mehr wissen, ob es ihn trifft.“Solche vagen Ankündigungen verunsichern die Belegschaft – alle! – nur noch mehr und schüren Ängste. Daher: „Die bittere Wahrheit erst dann sagen, wenn sie konkret ist.“Und die Betroffenen mit Verweis auf einen Sozialplan rasch zum Betriebsrat weiterleiten: „Hier kann der Chef nicht mehr trösten. Er darf sich auch selbst nicht überfordern.“
Wer Betroffenen und Angstgebeutelten Gutes tun will, lässt sie reden: „Das Schlimmste ist, wenn man seine Emotionen nicht rauslassen darf.“Für die anderen ist das oft nicht leicht auszuhalten, auch befeuert es eigene Ängste. Erneut verweist Judy auf externe Coaches: „Schon weil man auf sie keine Rücksicht nehmen muss.“
Mit Lösungsideen für Gekündigte empfiehlt sie sich zurückzuhalten: „Die müssen aus einem selbst kommen.“Viele Ideen wären längst da und müssten nur ausgesprochen werden. „Kommen sie aber von jemand anderen, kann man sie nicht annehmen.“(al)