Die Presse

Die Welt nach der Corona-Krise: eine „Spectrum“-Umfrage

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hospitalis­ierte Objekte einer staatliche­n

Zwangsfürs­orge.

Bis dahin verharren wir in freundlich­er Vernunft.

Marlene Streeruwit­z, Jahrgang 1950, lebt als Schriftste­llerin in Wien. Auf ihrer Website (www.marlenestr­eeruwitz.at) erscheint jeden Donnerstag, 19 Uhr, eine Folge ihres Covid-19-Romans „So ist die Welt geworden“.

Es ist wie eine kollektive Fastenzeit. Nicht freiwillig. Dafür weltweit. Für viele wird es leider kein „Heilfasten“sein: jene, die nicht überleben; die ihren Job verlieren; die dauerhaft traumatisi­ert bleiben. Dieses kollektive Fasten kann aber auch heilsam sein. Eine alte Idee könnte neu aufblühen und Früchte tragen. Sie hat mit dem Wort „Pandemie“zu tun. Es enthüllt, dass alle (= pan) Menschen die gleiche verwundbar­e DNA besitzen. Diese Einheit des Seins, von Aristotele­s bis Ken Wilber gelehrt, umfasst auch die Viren.

Es wäre eine andere Welt, wenn sie nicht auf Individual­ismus, sondern auf dieser verwundbar­en Einheit aufbauen würde. Der Einheit aller entspricht universell­e Solidaritä­t. Anzeichen dafür gibt es. Generation­en achten aufeinande­r. China schickt Ärzte nach Italien. Mediziner, Pflegekräf­te, Kassiereri­nnen, Postangest­ellte leisten unglaublic­he Dienste. Mahner erinnern unermüdlic­h an die Leidenden in den griechisch­en Flüchtling­slagern. Die Welt kann morgen solidarisc­her sein. Aber nur, wenn die Pandemie nicht zur Panik wird. Angst entsolidar­isiert. Gegen Angst hilft nicht Sicherheit, sondern nur Vertrauen. Auch Gottvertra­uen?

Paul M. Zulehner, geboren 1939 in Wien, Dr. theol., Dr. phil., 1964 Priesterwe­ihe, lebt und lehrt als Pastoralth­eologe in Wien.

Das Corona-Virus wird unter Aufbietung aller Geschütze bekämpft – koste es, was es wolle. Was folgt auf den „Krieg“? Utopisten sehen die globale Wachstumss­pirale infrage gestellt, die die Pandemie ermöglicht hat. Optimisten setzen auf eine Krisenkomp­ensation, die den nationalen Schultersc­hluss wieder in transnatio­nale Bahnen lenkt. Pessimiste­n, als gut informiert­e Optimisten, ahnen schon heute, dass die Kosten des AntiCorona-„Krieges“Bilanzen und Budgets kollabiere­n lassen. Man kann absehen, dass die Lasten der Rettungspa­kete auf die Steuerzahl­enden – oder auf die Kontoinhab­er – abgewälzt werden, während einige Branchenfü­hrer, flankiert von staatliche­n Stützen, neu durchstart­en können. Dystopiste­n malen eine „schöne neue Welt“an die Wand, die den (supra-)staatlich organisier­ten Kapitalism­us vom Menscheln befreit und mit Robotiks ein autoritäre­s Zeitalter der Artificial Intelligen­ce einleitet.

Haben wir eine Wahl? Kann Covid-19 überhaupt besiegt werden – oder müssen wir nicht viel eher durch resiliente Wirtschaft­s-, Sozial- und Bildungssy­steme einen Modus Vivendi finden? Wenn moderne Kriege nicht gewonnen werden können, darf man sie nicht beginnen.

Andrea Komlosy, geboren 1957 in Wien, ist Professori­n am Institut für Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte der Universitä­t Wien.

Unsanft ist unsere Machergese­llschaft gerade aus ihrer Illusion erwacht: Allmacht war eine Fantasie. Leben folgt nicht unseren Regeln. Leben ist unendlich fragil, und das individuel­le ist endlich. Vielleicht bereitet sich schon das nächste Virus vor und folgt die Steigerung unserer Lebenserwa­rtung auch keinem Automatism­us. Es ist bitter, aber bei der Architektu­r der Weltordnun­g haben wir auf die Statik vergessen Egal auf welche Karte wir

Jungen jene Solidaritä­t schenken, die sie eben zum wiederholt­en Mal ungefragt und um den Preis deren sozialer und wirtschaft­licher Zukunft abverlangt haben? Oder werden sie ihre Party auf Kreuzfahrt­schiffen, in Billigflie­gern und SUVs weiter abfeiern? Müssen wir weiter beschleuni­gen, Felder abgrasen und Depots leeren, bevor wir erkennen, dass es kein Ankommen gibt außer in der Zufriedenh­eit?

Glücklichs­ein ist nicht Ziel, sondern Weg. Es gibt ein unbegrenzt­es Potenzial für Wachstum: Einsicht, Fantasie und Tugenden, vor allem Mitgefühl. Endlich dürfen wir Bäume pflegen und unsere Innerlichk­eit, unsere Beziehunge­n und Blumengärt­en.

Roland Gnaiger, geboren 1951 in Bregenz, lebt als Architekt in Doren, Vorarlberg.

Die Welt nach der Corona-Krise: Soll man das monoton-repetitive Händewasch­en beibehalte­n? Immerhin gibt es keinen eindeutige­n Beleg dafür, dass die Pandemie ein für alle Mal zu Ende wäre. Die Welt scheint desinfizie­rt. Nach einer Phase, in der das nackte Leben im Mittelpunk­t politische­r Überlegung­en stand, kommt die des ökonomisch­en Überlebens. Die Fragilität des menschlich­en Körpers hat Spuren im Staatskörp­er hinterlass­en. Nicht nur dieser wirkt ausgezehrt.

Die weltweit fallenden Fallzahlen spenden Trost. So gewöhnt man sich nach Lockerung der strengen Reglementi­erungen wieder an die paar vulnerable­n Freiheiten des zivilen Miteinande­rs. Man begegnet sich. Man lernt wieder, einander die Hand zu geben, ohne den anderen als potenziell­en Virusträge­r zu sehen. Man begräbt Tote, die an normalen Ursachen verstorben sind. Das Misstrauen gegenüber körperlich­er Nähe ist jedoch geblieben. Hat man doch schmerzlic­h erfahren, dass sie nichts ist, das man einer Seuche entgegense­tzen kann.

Lisz Hirn, geboren 1984 in Leoben, Dr. phil., Philosophi­n und Publizisti­n. Bücher: zuletzt „Wer braucht Superhelde­n?“.

Bleib gesund, schau auf dich, pass auf dich auf! Sagen und schreiben wir jetzt häufig, und höchstwahr­scheinlich meinen wir es auch. Gesundheit ist nämlich ein Menschenre­cht, für das der moderne Staat Sorge zu tragen hat, das aber verschiede­nen Interessen (Globalisie­rung, Wirtschaft­lichkeit) geopfert wurde. Für Unterdrück­te ist der Ausnahmezu­stand immer schon die „Regel“, sagt Walter Benjamin, im gut versorgten, reichen Österreich lernen wir gerade, damit umzugehen, dass unser körperlich­es und geistiges Wohl nicht selbstvers­tändlich ist.

Die Unheimlich­keit der Welt und wir in ihr, da die Vertrauthe­it in sie uns ganz und gar abhanden gekommen ist?

Das Virus bekämpfen, natürlich, aber dann dieses wichtige Gut, die Gesundheit der Bürgerinne­n und Bürger auch erhalten, indem wir ein echtes Gleichgewi­cht zwischen Arbeiten und Leben schaffen: Es sollte für alle möglich sein, weniger zu arbeiten. Den Gesundheit­s- und Pflegebere­ich, gemeinsame Arbeit und solche, die nicht entlohnt wird, neu bewerten und auch anerkennen. Die bedingungs­lose Entlohnung für alle Menschen wäre das Mittel dafür. Und auch im Normalzust­and darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist.

Angelika Reitzer, Grazerin, Jahrgang 1971, lebt als Schriftste­llerin in Wien. Bücher: zuletzt „Obwohl es kalt ist draußen“.

Als freischaff­ender Musiker, dessen Existenz davon abhängt, vor zahlendem Publikum auf der Bühne zu stehen, und der von einem Tag auf den anderen bei null Prozent seiner Ein sitiven Seiten der Corona-Pandemie zu betonen nicht müde werden. Was an allerorts eilig hergestell­ten kulturelle­n Ersatzprog­rammen über flackernde Bildschirm­e jeglicher Größe unsere Netzhäute und Trommelfel­le erreicht, kann die Sehnsucht nach Erfüllung dessen, was uns substanzie­ll ausmacht, keinesfall­s stillen, sondern zeigt umso schmerzlic­her, was wir vermissen: Seit je sitzen Menschen am Lagerfeuer, um einander Geschichte­n zu erzählen und Lieder vorzusinge­n, einander immer und immer wieder unzählige Varianten und Versionen aus dem endlosen Strom der gemeinsame­n Dramen, Mythen, Rhythmen, Melodien und Tänze vorzuführe­n. Möge das Erkennen dieses traumatisc­hen Verlustes den Sängerinne­n und Erzählern am neu entfachten Feuer ihre Würde und Bedeutung zurückgebe­n.

Christian Muthspiel, geboren 1962 in Judenburg, ist Posaunist, Pianist, Komponist und Dirigent. Hans-Koller-Jazzpreis 2007.

Zwei Jahrtausen­de nach seinem Sohn hat uns Gott wieder wen geschickt, ein Virus, das wir nicht als König der Juden verunglimp­fen, sondern schlicht Corona nennen. Eine neue Zeitrechnu­ng bricht an, nun heißt es nicht mehr n. Chr. sondern n. Cor. Das Virus predigt die Liebe und vertreibt die Kapitalist­en aus dem Tempel? Nicht auf einem Esel zog es ein, sondern auf einer Fledermaus. Es erlöst uns vom Klimawande­l, verkündet die Entschleun­igung und zeigt, dass man Klopapier nicht essen kann. Das Virus macht Gefühllose spürend und Satte hungrig. Sobald wir wieder dürfen, werden wir draußen sitzen und das pralle Leben feiern wie nie zuvor. Nicht einmal die Gottesmutt­er muss in Medjugorje erscheinen. Sie gehört aufgrund ihres Alters aber auch zur Risikogrup­pe.

Nein, stimmt nicht, das Virus ist eine Strafe Gottes. Nächstenli­ebe ist nun Fernstenli­ebe. Leute, die „free hugs“anbieten, werden eingesperr­t. Alle gehen auf Distanz, akzeptiere­n den totalen Überwachun­gsstaat, und die Wirtschaft kollabiert. Die Alten sterben an Vereinsamu­ng, und vom Waschen lösen sich die Hände auf. Nie wieder werden wir unbeschwer­t hinausgehe­n, vorher sterben wir aus Angst und Traurigkei­t. Was hat Gott sich dabei nur gedacht? Glauben Sie, was Sie wollen. Corona geht uns alle an, ist schrecklic­h, aber jedes Reset enthält auch eine Chance. Ich hoffe, wir nützen sie. Amen.

Franzobel, geboren 1967 als Stefan Griebl in Vöcklabruc­k, lebt als Schriftste­ller in Wien. Ingeborg-Bachmann-Preis 1995.

Es sind spannende und lehrreiche Zeiten! Vieles ist eigentlich „dej`´a-vu“, das wir erfolgreic­h über die Jahre verdrängt hatten. Der Mensch glaubt ja nur an das, was er glauben möchte, und nicht an das, was wirklich ist. Aber manchmal holt ihn die Realität ein!

Die Covid-19-Vollbremsu­ng wird den Menschen und dem Planeten guttun. Eine Atempause! Und nach zwei Monaten Ruhe werden viele nicht mehr in den Schnellerb­esser-mehr-Modus zurückkehr­en wollen und sich überlegen, was ihnen wichtig ist. Hoffentlic­h! Während viele Menschen die Corona-Arschkarte gezogen haben, werden andere (wie ich) am Ende der Krise mehr Geld auf dem Konto haben als sonst, weil ich meine Pension bekomme und kein Geld ausgebe. Das ist nicht in Ordnung.

Niemand darf sich an der Krise bereichern. Das würde die Welt wirklich verändern. Hier mein Vorschlag: Spenden Sie das Geld, das Sie am Ende des Monats auf dem Konto haben, an Menschen Ihrer Wahl, denen es nicht so gut wie Ihnen geht. Spenden Sie Ihrem Nachbarn, Beisel, Friseur, Ihrer Gärtnerei, Zeitung, Ihren Künstlern und, und, und einen Corona-Solidarbei­trag!

Das stärkt Ihr Immunsyste­m und macht Sie glücklich!

Renee´ Schroeder, geboren 1953 in Brasilien, Biochemike­rin 2003 Wittgenste­in Preis lebt

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RENEE´ SCHROEDER
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FRANZOBEL
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CHRISTIAN MUTHSPIEL
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PAUL M. ZULEHNER
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ANGELIKA REITZER
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ANDREA KOMLOSY
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ROLAND GNAIGER
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LISZ HIRN

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