Die Presse

Unter den Masken

Expedition Europa: Der Aufbruch zum Hofer fühlt sich an wie ein Abschied an die Front.

- Von Martin Leidenfros­t

Seit ich mit meiner Familie in Selbstisol­ation lebe, gehe ich nur noch mit Gesichtsma­ske einkaufen. Ich trage keine FFP3, von diesem Mercedes unter den Atemschutz­masken kann ich nur träumen, sondern ein Fetzerl von einem eingegange­nen Sommerklei­d, aus dem mir Frau und Tochter einen Mundschutz genäht haben. Ich geniere mich unsagbar, denn manchmal bin ich beim Neusiedler Hofer der einzige Maskenträg­er, manchmal schleicht noch ein zweiter herum, wobei der immer ein Unsympathl­er ist. Der Aufbruch zum Hofer fühlt sich seither an wie ein Abschied an die Front: Maske rauf, Einweghand­schuhe rauf, Einkauf unter Blicken, die zu verbergen suchen, dass sie mich für einen Kranken anschauen, Einweghand­schuhe runter, Hände desinfizie­ren, Maske zu Hause in die Waschmasch­ine, Hände waschen. Ich kaufe jetzt nur noch einmal die Woche ein.

Es ist meine slowakisch­e Frau, die mich zum Tragen der Maske zwingt. Ihre Regierung schreibt Vermummung an allen öffentlich­en Orten vor, meine Regierung empfiehlt das Gesunden nicht, und obwohl wir in mehreren Ecken Europas an ein Heimatgefü­hl andocken können, befördert die Seuche auch bei uns das Phänomen des Zusammenrü­ckens im jeweiligen Nationalst­aat. Ich persönlich habe zum Thema Maske keine Meinung. Zwischen meiner Frau und meiner Regierung stehend, wähle ich, weil es weniger Ärger einbringt, die Frau.

Burgenländ­ische Einschicht

Die Slowakei, meine zweite Heimat, hat als erstes Land in der Gegend die Grenzen geschlosse­n. Ich habe seit mehr als zwei Wochen Einreiseve­rbot, bin abgeschnit­ten von meinem Cafetier, meiner Schwiegerm­utter und meinen Unterstütz­ern aus schweren Zeiten, meine Winterpull­over sitzen in der Putzerei drüben fest. Die Slowakei hat ihre raschen radikalen Maßnahmen in höchster Not verhängt: Den Krankenhäu­sern fehlt schon im Normalbetr­ieb das Klopapier, und die „Staatsverw­altung der Materialre­serven“fand in der Krise keine Reserven, was damit behoben wurde, dass der Materialre­serven-Chef Gesichtsma­sken zum zehnfachen Preis von einer Briefkaste­nfirma kaufte und seinem Buben anderntags zwei Wohnungen im Zentrum der Hauptstadt. Dass in den Supermärkt­en drüben nur noch Maskierte zu sehen sind, löst einen neuen Atemmasken­Hurra-Patriotism­us aus, ein plötzliche­s Überlegenh­eitsgefühl gegenüber uns Zurückgebl­iebenen im Westen. Wollen wir hoffen, dass die Slowakei damit so gute Ergebnisse wie asiatische Länder erzielt. Der lang gediente Journalist Martin Hanus reibt sich jedenfalls die Augen: „Wer hätte das noch vor ein paar Wochen gesagt, dass die Slowaken Europas erste Asiaten werden?“

Seit wir isoliert sind, schaue ich dutzendmal täglich mit Entsetzen auf die Totenzahle­n, ansonsten nimmt sich die burgenländ­ische Einschicht geradezu idyllisch aus. Meine Schreibarb­eit passiert ohnehin im Home-Office, und meine Frau ist noch bei den Babys zu Hause. Wir streiten weniger als sonst. Vielleicht weil das Virus nah ist – es gibt im Dorf zwei Infizierte, vielleicht auch weil die Monotonie des verlangsam­ten Alltags weniger Anlässe liefert.

Meine Flüge nach Reykjav´ık und Beirut sind gestrichen, jetzt ist Leithagebi­rge und Neusiedler See. Wir sammeln Bärlauch im Wald, oder wir wandern auf einem wenig begangenen Weg in den Schilfgürt­el hinein. Große Bündel geschnitte­nen Schilfrohr­s, rostige Raupen, viel Wirtschaft war hier auch vor Corona nicht. Zwei, drei Kilometer weiter der abenteuerl­ich schiefe Rumpf eines Hochstands mit herrlicher Aussicht We

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