Im Grün von Gabun: Gorillafamilien und Waldelefanten
Gabun gehört ebenso zu jenen Ländern, die ihre Grenzen aufgrund des Coronavirus geschlossen haben. Mittlerweile stehen auch die Flachland-Gorillas im Nationalpark Loango unter Quarantäne.
VON WERNER ZIPS UND ANGELICA V. MARTE
Youri Ragwoundon hält inne und hebt die Hand. Ich erstarre augenblicklich. Das Zeichen bedeutet zumeist Gutes: die Nähe von Gorillas, Schimpansen oder anderen Affen. Youri lauscht angestrengt. Meine Spannung steigt. Schließlich bin ich hier, um genau diese Regenwaldbewohner für eine 3sat-Doku zu filmen. Aber ohne entsprechende Instruktion darf ich nicht einmal daran denken, die Kamera vorzubereiten. Das musste ich Youri hoch und heilig versprechen. Nach einer gefühlten Ewigkeit flüstert er, dass uns Waldelefanten entgegenkämen. Das ist hier alles andere als ungewöhnlich, zumal wir deren Wegesystem durch den Regenwald benützen. Die Wege sehen zwar täuschend aus wie menschliche Pfade, sind aber das Werk von Elefanten, Rotbüffeln und Gorillas. Im Lauf der Zeit werden sie zu „Elephant Highways“. Einmal geschaffen, verwenden alle Vierbeiner sie – und mangels Alternativen auch Zweibeiner. Das erhöht die Chance, überhaupt die Tiere zu Gesicht zu bekommen, und die Gefahr, ihnen unvermittelt zu begegnen.
Safaris in Gabun haben nur wenig mit jenen in Ost- und Südafrika gemeinsam. Dort müssen sich Veranstalter anstrengen, trotz Sicherheit in offenen Jeeps mit häufig bewaffneten Guides Abenteuerfeeling aufkommen zu lassen. Im Regenwald von Gabun ist es umgekehrt. Hier freuen sich die Eco-Guides, wenn sie und ihre Kunden wieder einmal eine Fotopirsch unbeschadet überstanden haben. Viele unternehmen ziemliche Anstrengungen, um wagemutigen Touristen die Jungle-Walks auszureden oder auf die unmittelbare Nähe des einzigen Regenwald-Camps von Loango zu beschränken. Youri ist eine Ausnahme. Er gilt als bester Guide für solche Zwecke. Das hat seinen Grund. Er entstammt einer Jägerfamilie und lernte von Kind an, die vielfältigen Zeichen des Waldes und seiner Bewohner richtig zu deuten. Deshalb kennt er vor ihnen keine Furcht. Mit einer Einschränkung: Waldelefanten.
„Elephant Highways“
Wir sind seit einer Woche gemeinsam im Herzen des Loango-Nationalparks, wo der Ngove-´Fluss in den Eshira-Fluss mündet. Zeit genug, um eine Vielzahl an Elefantengeschichten aus seinem Mund gehört zu haben. Sie enden immer gleich: mit befreiendem Lachen und Kopfschütteln – noch einmal gut gegangen. In der Trockenzeit von Juni bis September ziehen die meisten Waldelefanten hierher nach Akaka, um sich in den Sümpfen am frischen Papyrus satt zu fressen. Dabei lassen sie sich gefahrlos vom Boot aus beobachten. Aber eben nicht in der Umgebung, der sie ihren Namen und Körperbau verdanken: dem Wald. Diesem Lebensraum haben sie sich durch ihre kleinere Statur und die langen, geraden Stoßzähne angepasst. Dadurch sind sie im dichten Regenwald wendiger als ihre Verwandten in der Savanne. Aber all das ist jetzt nebensächlich, wie Youris Gesichtsausdruck verrät: „Schnell, sie sind gleich hier. Hinter diesen Baum!“
Dann taucht der Rüssel der Leitkuh aus dem Blätterwerk auf. Sie kann uns nicht sehen, aber mit großer Wahrscheinlichkeit riechen. Hat die Situation noch nicht für erhöhten Puls gesorgt, dann schafft es ihr wütendes Trompeten und empörtes Kopfschütteln endgültig. Einen Augenblick später ist die Hölle los. Es hört sich an, als würde ein Lastzug mitten durch den Wald brechen. Zum Glück in die richtige Richtung, aus unserer Sicht. Nämlich in die Flucht. Youri lächelt erleichtert: „Das waren mindestens sechs Elefanten, wahrscheinlich mehrere Kühe mit Jungtieren.“Gerade junge, noch nicht selbstständige Bullen sind jedoch das Problem. Sie wollen der Herde offenbar beweisen, was sie schon draufhaben, und greifen oft an.
Normalerweise finden solche Walking-Safaris nur in Begleitung von mindestens zwei Eco-Guides statt. Bei Begegnungen mit potenziell gefährlichen Tieren kümmert sich einer der beiden um die Touristen, während dem Leiter der Mini-Expedition die undankbare Aufgabe zukommt, die Aufmerksamkeit der Wildtiere auf sich zu ziehen. Im konkreten Fall wäre das schlicht lebensgefährlich gewesen. Eco-Guides, die in Loango immer unbewaffnet sind, gelten als Seele des Nationalparks, der mit Recht als eines der an Wildleben und Artenvielfalt reichsten Naturschutzgebiete Afrikas gilt. Sie arbeiten zwar für die einzige Lodge im Nationalpark, diese wird aber im Auftrag der Nationalparkbehörde betrieben. Daher kooperieren sie eng mit der Verwaltung. Jede verdächtige menschliche Aktivität wird ihnen umgehend gemeldet. Daher kommt Wilderei hier kaum vor.
Die Guides gehören alle zur lokalen Gemeinschaft und vertreten die Interessen des Naturschutzes. Wie in vielen Teilen Afrikas bedeutet effektiver Tierschutz durch Nationalparks und Wildreservate gravierende Einschränkungen für die Lokalbevölkerung. Jagd ist innerhalb der Parkgrenzen generell verboten; Fischfang und Entnahme natürlicher Ressourcen wurden stark eingeschränkt. Das macht den Tier- und Naturschutz auch in Gabun höchst unpopulär, weil die Kosten überwiegend die ohnehin arme Landbevölkerung trägt, während der Nutzen überwiegend Touristen zugutekommt. Noch steckt der Tourismus in dem zentralafrikanischen Staat in den Kinderschuhen. Daher sind es nur die wenigen Hoteliers, Guides, Lodgeund Nationalpark-Angestellten, die direkt profitieren. Wenn es jedoch eine allgemeine Regel für erfolgreichen Arten- und Naturschutz in Afrika gibt, dann die: Ohne Unterstützung durch die Lokalbevölkerung existieren die schönsten Parks und Wildreservate nur auf dem Papier und sind letztlich zum Scheitern verurteilt.
In Gabun steht dabei mehr auf dem Spiel als „nur“die Existenz von Waldelefanten und Flachlandgorillas. Das 267.000 km2 große Land ist zu 80 Prozent von Regenwald bedeckt. Dieser gehört zum äquatorial-afrikanischen Regenwaldgürtel, der hier zwar deutlich geringer schrumpft als in der Amazonasregion, aber immer noch rund 7000 km2 jährlich verliert. Nur Gabun hält im Unterschied zu seinen Nachbarn Äquatorialguinea, Kamerun, Republik Kongo und Demokratische Republik Kongo seine Gesamtwaldfläche stabil. Das erstaunt, wenn man durchs Land reist: Lkw-Kolonnen mit gefällten Urwaldriesen auf den Überlandstraßen, kilometerlange Holztransporte auf der Transgabonais, Gabuns einziger Zugstrecke zwischen Franceville und der Hauptstadt Libreville. Nach der Ölindustrie ist die Holzwirtschaft der zweitwichtigste Exportsektor und wichtigste Arbeitgeber.
Strategie „Green Gabun“
Der scheinbare Widerspruch löst sich so auf: Gabun entnimmt dem Regenwald nur die wirtschaftlich wichtigen Hölzer, ohne ganze Gebiete zu entwalden. Das führt jedoch zu einer drastischen Verschlechterung des Bestandes. Nur noch geschätzte 30 Prozent Wald sind intakter Regenwald. Doch selbst diese Gebiete sind nicht mehr Primärwald. Die Auswirkungen für Biodiversität und Artenschutz sind gravierend, aber kaum erforscht. Wer mit Kleinbauern in den Dörfern spricht, hört, dass sich das Elefantenproblem erhöht hat. Werden große Fruchtbäume gefällt, sind die Tiere nahezu gezwungen, sich an Obstbäumen auf Plantagen schadlos zu halten. Gorillas, Schimpansen und andere Affenarten trauen sich kaum in menschliche Nähe. Sie nehmen still und leise in ihrem Bestand ab.
Laut National Geographic sterben weltweit pro Jahr bis zu 6000 Regenwaldarten aus. Damit ist Gabun im Kampf gegen den Klimawandel zum einen systemrelevant, zum anderen ein seltenes Positivbeispiel, an dem sich andere Staaten orientieren könnten. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Entscheidung für das staatliche Konzept des „Green Gabon“nicht nur beim Artenschutz und zukünftigen Tourismus eine absehbare Erfolgsgeschichte, sondern auch in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung. Noch fehlen zwar verbindliche Entscheidungen zum weltweiten Emissionshandel, aber Gabun steht in den Startlöchern. Künftige
Generationen könnten von den vorausblickenden Umweltschutzmaßnahmen auf lange Sicht profitieren. 2002 erklärte der frühere Präsident 13 Naturschutzgebiete (elf Prozent Landesfläche) zu Nationalparks und schuf die Grundlage für das Entwicklungskonzept „Green Gabon“mit dem Motto: „Gabon, designed by nature“.
Verhaltensforscher als Minister
Kaum jemand scheint berufener, die staatlichen Vorgaben zu skizzieren, als Professor Lee White, Gabuns Umweltminister, zu dessen Portfolio auch der Kampf gegen Klimawandel gehört: „Unter ,Green Gabon‘ verstehen wir nachhaltige Forstwirtschaft, nachhaltige Fischerei und klimaneutrale Landwirtschaft. Zudem die Erhaltung der Nationalparks und der Wildtiere. Gabun hat viele Naturattraktionen, wo wir Ökotourismus entwickeln können, statt Bäume zu fällen. Wo lassen sich an einem einzigen Tag Flachlandgorillas, Schimpansen und Buckelwale beobachten? Wir versuchen die richtige Balance finden.“Zum Portfolio von Gabuns „unwahrscheinlichem“Umweltminister (so die Lokalpresse) gehören auch die Wälder, Meeresgebiete und der Klimaschutz. Das zwingt ihn, gegensätzliche Interessen unter einen Hut zu bekommen. Als zehnter Umweltminister in zehn Jahren weiß er über den Schleudersitz seines Amtes Bescheid. Wer sich mit der Holzindustrie und anderen wirtschaftlich Mächtigen anlegt, biegt in die Verliererstraße ein. Sein politischer Spielraum ist die „Machbarkeit des Möglichen“. Darüber mag man denken, wie man will, für alle mit Naturschutz befassten Personen, mit denen ich auf meinen Gabun-Reisen gesprochen habe, gilt White als eine Art Umweltheiliger, der in führender Funktion die 13 Nationalparks mitgestaltete.
Whites Biografie hört sich an wie ein Abenteuerroman: Geboren in England, kam er mit seinen Eltern als Kind nach Uganda, ging mit den Söhnen von Idi Amin zur Schule, betrieb Primatenforschung in Sierra Leone, half Nigerias Nationalparks aufzubauen und kam vor 30 Jahren für sein Doktorat über Waldelefanten nach Gabun. Danach wurde er Repräsentant bei den UN-Klimakonferenzen, dann Direktor der neuen Nationalparkverwaltung und schließlich Minister für Wald, Meer, Umwelt und Klimawandel. Letzteres bereitet ihm größte Kopfschmerzen, obwohl Gabun noch kaum betroffen ist. Die gewaltige Bedrohung besteht in den Auswirkungen auf die Länder der Sahelzone. Dehnt sie sich weiter aus und steigt der Meeresspiegel, werden große Flüchtlingsbewegungen zum fruchtbaren Regenwaldgürtel des Kongobeckens entstehen: „Wälder und Wildtiere werden keine Chance haben, die Ankunft Millionen hungriger Menschen zu überleben.“
Der Erhalt des Regenwaldes mit all seiner biologischen Vielfalt ist Grundlage des Klimaschutzes in ganz Afrika. Seine Existenz sorgt für Regen bis in die Sahelzone. Das kaum bekannte Gabun hat damit globale Bedeutung für Klima- und Artenschutz. Die Zahlen sprechen