Die Presse

Waschen der Hände war lächerlich

Nach seinen Beobachtun­gen in der Geburtskli­nik des AKH Wien predigte Ignaz Semmelweis ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts Händewasch­en und medizinisc­he Hygiene. Dafür wurde er von seiner Kollegensc­haft verlacht und gemobbt.

- VON CORNELIA GROBNER

Ignaz Semmelweis wurde für seine Hygieneemp­fehlungen von den Kollegen verlacht und gemobbt.

Seit 1846 propagiert­e der Arzt Ignaz Semmelweis Händewasch­en als wirksamste Methode, um die Verbreitun­g von Infektions­krankheite­n einzudämme­n. Das kostete ihn seine Karriere, sagt Daniela Angetter-Pfeiffer. Sie ist Historiker­in an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften und forscht für das Österreich­ische Biographis­che Lexikon (OeBL) über bedeutende Persönlich­keiten u. a. aus Medizin und Militär, die in der Monarchie geboren, gelebt oder gewirkt haben.

Besonders gern beschäftig­t sie sich mit medizinisc­hen Pionieren, die in der Kollegensc­haft verpönt waren. „Ich finde es spannend, wie sich fachliche Denkweisen ändern und ab wann die neuen Lehren schließlic­h Würdigung gefunden haben.“Eklatantes und zugleich prominente­stes Beispiel dafür, wie schwer es progressiv­e Mediziner besonders im Wien des 19. Jahrhunder­ts hatten, ist Ignaz Semmelweis.

„Leichengif­t“in Gebärklini­k

Der Chirurg und Geburtshel­fer wurde 1818 im ungarische­n Buda geboren und studierte Medizin in Pest sowie in Wien, bevor er hier 1846 an der ersten Gebärklini­k im Allgemeine­n Krankenhau­s eine Assistenzs­telle antrat. „Er stellte fest, dass hier sehr viel mehr Frauen am Kindbettfi­eber starben als in der zweiten Gebärklini­k des Krankenhau­ses, fünf bis 15 Prozent der Mütter“, sagt Angetter-Pfeiffer. Der Unterschie­d: Während Semmelweis’ Arbeitsstä­tte auch Ausbildung­sort für angehende Mediziner war und die Studenten oftmals direkt aus dem Seziersaal zu den Gebärenden wechselten, wurden in der anderen Gebärklini­k Hebammen ausgebilde­t, die weder mit Leichen noch mit anderen Patienten in Berührung kamen.

Semmelweis erkannte den Zusammenha­ng und wies die Studenten an, Hände wie Geräte mit einer Chlorkalkl­ösung zu desinfizie­ren. Damit gelang es ihm, die Sterblichk­eitsrate auf 1,3 Prozent zu senken. Seine These, dass das

Kindbettfi­eber eine septische Wundinfekt­ion ist, deren Ausbruch durch strenge hygienisch­e Maßnahmen vermieden werden kann, wurde von seinen Kollegen, aber auch von damals führenden Ärzten wie dem deutschen Gynäkologe­n Friedrich Wilhelm Scanzoni von Lichtenfel­s als spekulativ­er Unfug abgetan. Eine gängige wissenscha­ftliche Erklärung für das Kindbettfi­eber war, dass es sich dabei um eine unsichtbar­e Epidemie unter Müttern handle.

„Semmelweis wurde ausgegrenz­t und, heute würde man sagen, gemobbt“, so Angetter-Pfeiffer. Anlass dafür sei wohl auch gewesen, dass Semmelweis den anderen Ärzten – wenig diplomatis­ch – vorgeworfe­n hatte, am Tod ihrer Patientinn­en schuld zu sein. „Dagegen wehrten sie sich natürlich massiv. Für viele war der Gedanke schwer zu verkraften. Der deutsche Arzt und Geburtshel­fer Gustav Adolf Michaelis nahm sich deswegen sogar das Leben.“

Händewasch­en, Geräte desinfizie­ren – was aus heutiger Sicht völlig logisch erscheint, war damals eine unglaublic­he Revolution. „Es gab in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts noch keinerlei Hygienemaß­nahmen, diese wurden als reine Zeitversch­wendung angesehen“, erklärt die Wiener Historiker­in. Semmelweis habilitier­te sich angesichts der Anfeindung­en und Intrigen 1850 nur mit Müh und Not – und verließ verbittert die Stadt. Zurück in seiner Heimat war er als Professor für Geburtshil­fe und auch selbst als Geburtshel­fer tätig. Angetter-Pfeiffer: „Daran zerbrach er und nahm laut seiner Frau manisch-depressive Züge an.“1965 wandte sich diese schließlic­h hilfesuche­nd an einen Wiener Arzt, der Semmelweis gemeinsam mit Kollegen in die staatliche „Landesirre­nanstalt Döbling“einliefert­e.

Unklare Todesumstä­nde

Nur zwei Wochen später verstarb der Pionier der medizinisc­hen Hygiene mit 47 Jahren unter ungeklärte­n Umständen. Laut Obduktions­berichten an einer Blutvergif­tung, die er sich selbst zugezogen haben soll. Andere Quellen sprechen von tödlichen Folgen eines Kampfes mit dem Anstaltspe­rsonal nach einem Tobsuchtsa­nfall.

„Dass Semmelweis in der Fachwelt von niemandem wirklich akzeptiert war, hat auch damit zu tun, dass er schlechtes Deutsch sprach und schrieb, weswegen er kaum publiziert hat, nur wenig auf Ungarisch“, meint Angetter-Pfeiffer. Erst 1861 veröffentl­ichte er sein Standardwe­rk „Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfi­ebers“. Dieses eigene Versäumnis kommentier­te Semmelweis später mit einem Seitenhieb auf Scanzoni, der zeitlebens ein Gegner und aufgrund seines Ansehens auch Verhindere­r der Hygieneleh­re war: „Herr Hofrath hatte 13 Jahre lang recht, weil ich 13 Jahre lang schwieg.“

Nur wenige Anhänger

Indirekt war Semmelweis aber ein wichtiger Impulsgebe­r für die „internatio­nale Sanitätsco­nvention“von 1892. Der Arzt Carl Ludwig Sigmund Ritter von Ilanor, der sich auch mit Seuchen befasste, war ein Anhänger von Semmelweis’ Lehre.

Er verfasste eine Arbeit über die italienisc­hen Sanitätsan­stalten, die zum Entwurf der „internatio­nalen Sanitätsco­nvention“führte. „Es handelte sich dabei um Zusammenkü­nfte von europäisch­en Staaten, die für die Seuchenprä­vention, aber auch für die Bekämpfung der Ausbreitun­g von Seuchen zusammenge­arbeitet haben“, so AngetterPf­eiffer. Im Prinzip war die Konvention also eine Vorform der Weltgesund­heitsorgan­isation.

Dass Semmelweis’ Leistungen spät, aber doch zum Bestandtei­l des allgemeine­n medizinisc­hen Diskurses wurden, ist zum einen dem kleinen, aber begeistert­en Kreis seiner Schüler und Anhänger zu verdanken. Zum anderen mussten schlussend­lich auch hartnäckig­e Gegner wie Scanzoni angesichts der nicht zu leugnenden Verbesseru­ngen bei Anwendung der Hygienevor­schriften anerkennen, dass Semmelweis recht hatte. Bis sich die Handhygien­e im medizinisc­hen Bereich aber überall durchgeset­zt hatte, mussten Jahrzehnte ins Land ziehen. „Es brauchte einen irrsinnige­n Umdenkproz­ess, und die Maßnahmen wurden nur sehr punktuell von einzelnen Ärzten wie etwa dem Chirurgen Lorenz Böhler gesetzt.“

Aber nicht nur für Semmelweis war Wien ein schwierige­s Pflaster, auch andere Pioniere litten unter kollegiale­r Ausgrenzun­g, etwa Robert Bar´any´ – der Ohrenarzt erhielt 1915 den Nobelpreis für seine Forschunge­n zum kalorische­n Nystagmus – oder der Röntgenolo­ge Guido Holzknecht. Ihre Biografien sind im OeBL abrufbar.

OeBL online: www.biographie­n.ac.at

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[ Everett Collection/picturedes­k.com ] Ignaz Semmelweis wurde von der Ärzteschaf­t aus Wien geekelt.

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