ECONOMIST: Interview mit ÖGB-Chef Katzian; auf den Baustellen wird wieder gearbeitet; was der Datenschutz erlaubt; Billionen gegen den Kollaps.
Interview. Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian sieht eine „Grundsatzdiskussion“über die Verteilung der Krisenkosten auf uns zukommen. Vorwürfe, die Corona-Kurzarbeit sei für kleine Unternehmen zu bürokratisch, weist er vehement zurück.
Die Presse: Gemeinsam appellieren Gewerkschaft, Wirtschaftskammer und Regierung an die Unternehmen, die Kurzarbeit zu nützen. Helfen Sie mir: Wann gab es diese Eintracht zuletzt?
Wolfgang Katzian: Ein bisschen war es in der Wirtschaftskrise 2008/09 so. Sonst gibt es in der Geschichte nicht sehr viele Beispiele. Wir erleben eine außergewöhnliche Situation. Jeder hat seine Interessen, aber uns eint, dass wir gemeinsam den Karren aus dem Dreck ziehen wollen. Wenn man die Gesellschaft einfriert, muss man schauen, dass es dabei allen gut geht. Deshalb gab es so rasch eine Einigung auf die Kurzarbeit.
In den letzten Jahren hatte die Sozialpartnerschaft nicht gerade Hochkonjunktur. Sie haben sich immer wieder beschwert, dass die Regierung die Gewerkschaft nicht in Entscheidungen einbezieht.
Jeder kann sich weiterentwickeln, das gestehe ich auch den Regierungsmitgliedern zu. Ich will keine alten Geschichten strapazieren. Es war eine schwierige Zeit, besonders unter Türkis-Blau. Da gab es das eine oder andere freundliche Gespräch, aber keine Verhandlungen. Aber wir haben schon vor der Corona-Krise gemerkt, dass es wieder Interesse an einem Dialog gibt. Und gerade jetzt ist es, glaube ich, allen wichtig, einen gemeinsamen Weg zu finden. Wir arbeiten gut zusammen, mit großer Wertschätzung.
Die Gewerkschaft sagt, die Kurzarbeit passe für den kleinen Friseur wie für den Industriekonzern. Experten meinen, für viele Kleinbetriebe sei sie nicht geeignet, weil der bürokratische Aufwand zu groß sei. Haben Sie zu viel versprochen?
Absolut nicht. Früher dauerte ein Antrag sechs Wochen, jetzt zwei Tage. Natürlich muss man ein Formular ausfüllen, natürlich ist das komplex. Würden wir das durchwinken, mit falschen Angaben, müsste der Prozess von vorn beginnen und Missbrauch und Betrug wäre Tür und Tor geöffnet. Die Wirtschaftskammer muss unterstützen und auch die Gewerkschaften beraten an manchen Tagen mehr Unternehmer als Arbeitnehmer. Aber wer das als übertriebene Bürokratie sieht, der lebt echt auf dem Mond.
Arbeiterkammer und Gewerkschaft orten erste Missbrauchsfälle. Wie viele sind das? Wir haben Informationen, dass ein paar Firmen Kurzarbeit angemeldet haben, die Mitarbeiter aber voll weiter arbeiten sollen. Wer so etwas macht, kriegt ein Problem.
Verhalten sich die meisten Unternehmen jetzt in der Krise redlich?
Die Frage ist: Was ist redlich? Einige haben ihre Leute gleich rausgehaut, andere wollen alles tun, um sie zu halten. Die werden Gott sei Dank immer mehr. Bei der Kurzarbeit bekommt man bis zu 90 Prozent des Nettolohnes, in der Arbeitslose nur 55 Prozent. Das ist ein Riesenunterschied. Wir werden diese Kaufkraft dringend brauchen, wenn
das Land wieder hochgefahren wird. Wir sehen aber auch Betriebe, in denen sich die Führungskräfte ins Home-Office vertschüssen, und die Mitarbeiter arbeiten weiter wie bisher, ohne Schutzmaßnahmen.
Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung?
Ich verteile jetzt sicher keine Haltungsnoten. Aber die Dinge, die getan werden müssen, werden getan. Alle, auch die Oppositionsparteien, bemühen sich. Und die Regierung macht ihren Job, das ist o. k. so.
Also im Zweifelsfall Team Sebastian Kurz und nicht Team Peter Hacker?
Ich bin nicht im Team eines Politikers, ich bin Team Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich arbeite mit der Wiener Stadtregierung gut zusammen und genauso mit der Bundesregierung.
Nach dem Hilfspaket ist vor dem Sparpaket. Wo darf nach der Krise auf keinen Fall Geld gekürzt werden?
Nach der Krise werden wir uns ansehen, wie wir mit den Folgen umgehen. Das wird eine Grundsatzdiskussion werden. Wir werden Geld brauchen. Und da kann es nur so sein, dass diejenigen, die mehr haben, einen größeren Beitrag leisten als jene, die weniger haben. Wer glaubt, dass man die Kosten der Krise auf den Schultern der Arbeitnehmer ablegen kann, ist auf dem Holzweg.
Ein Plädoyer für Erbschafts- und Vermögensteuern, um die Krise zu bezahlen?
Wir im ÖGB haben da verschiedene Überlegungen. Aber die laufen gerade erst an. Jetzt geht es um die Bewältigung der Krise.