Die Presse

AUSLAND: Eine Odyssee durch das US-Gesundheit­ssystem; das Virus erreicht die Elendsvier­tel; Chinas neuer Normalzust­and; Sorge in Syrien

Erfahrungs­bericht. Vor zehn Tagen ließ ich mich nach Fieber auf Covid-19 testen. Auf das Ergebnis warte ich immer noch.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RI ECHER

Die Symptome kamen blitzschne­ll. Gerade hatte ich mit meinem siebenjähr­igen Sohn den Hausunterr­icht absolviert. Fünf Minuten später lag ich mit 39 Grad Fieber auf der Couch. Selbst der Gang zur Toilette ließ mich keuchend zurück. Es sollte eine zehntägige Odyssee durch New Yorks Corona-Dschungel folgen, die das Ausmaß der Verbreitun­g des Virus erahnen lässt.

Nach knapp zwei Wochen bin ich ziemlich sicher, dass ich mich mit Corona infiziert habe. Die Symptome sind eindeutig. Nur: Das Testergebn­is steht weiterhin aus. Es hätte vor knapp einer Woche kommen sollen. Vielleicht kommt es nie. Aber der Reihe nach.

Vorweg: Ich gehöre nicht zur sogenannte­n Risikogrup­pe. 40 Jahre, keine Vorerkrank­ung, fit. Die letzte Erkältung hatte ich vor Jahren, ernst zu nehmendes Fieber das letzte Mal vor mehr als zehn Jahren. Das Internet kennt kein Pardon, und Google klärt schnell auf: Auch jüngere, gesunde Menschen kann die vom Virus ausgelöste Lungenkran­kheit Covid-19 ins Krankenhau­s bringen, auf Fälle Verstorben­er stößt man schnell.

Innere Unruhe macht sich breit, als das Fieber auf knapp 40 steigt, die Knochen schmerzen und der Husten über Nacht deutlich stärker wird. Dann greife ich zum Telefon. Es ist der 18. März, gerade erreicht die erste Welle New York. Die Stadt hat eine Corona-Hotline eingericht­et.

Nach 35 Minuten in der Warteschle­ife fragt der junge Mann: Atembeschw­erden? Nein. Kontakt mit einem Infizierte­n gehabt? Ich lebe in Brooklyn und fuhr täglich mit der U-Bahn. Haben Sie den Namen eines Infizierte­n? Nein. Sorry, reicht nicht. Von den Behörden werden nur schwere Fälle mit erwiesenem Krankenkon­takt getestet. Sollten Sie Probleme mit der Atmung bekommen, wählen Sie den Notruf. Auf Wiederhöre­n.

Meine Frau hat zu diesem Zeitpunkt nur geringe Symptome, und die Kinder springen vergnügt herum, während uns die Decke auf den Kopf zu fallen droht. Ich will Gewissheit und rufe einen Arzt an, bei dem ich vor drei Jahren eine Gesundenun­tersuchung durchführe­n ließ. Ja, wir haben soeben mit Corona-Tests begonnen, erklärt die Sekretärin. Vergessen Sie ihre Kreditkart­e nicht. Zu erwartende Laborkoste­n: 1700 Dollar.

Ein unangenehm­er Test

Sie können gern vorbeikomm­en. Äh, ich dachte, man solle zu Hause bleiben? „It’s fine“, erklärt die Dame. Passen Sie am Weg hierher auf, dass Sie anderen nicht zu nahe kommen. Social Distancing heißt das, steht schon jetzt als Ausdruck des Jahres 2020 fest. Auf dem Weg zum Doktor wird rasch klar, dass

New York und die USA zum globalen Pandemieze­ntrum werden. Vor dem Brooklyn Hospital Center im Stadtviert­el Fort Greene hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Menschen tragen Masken, stützen sich teilweise gegenseiti­g, viele husten. In Windeseile haben die Ärzte auf dem Parkplatz ein Zelt mit Krankenbet­ten errichtet, um den Ansturm zu bewältigen.

Ein groteskes Bild: Direkt nebenan, im Fort Greene Park, wird Tennis gespielt, werden Picknicks abgehalten, vergnügen sich Leute in mittelgroß­en Gruppen.

Der Test ist unangenehm, die Probe wird mit dünnen Wattestäbc­hen tief aus den Nasenlöche­rn geholt. Als Erstes führt der Arzt einen Soforttest auf Grippe durch: negativ. Die Resultate werden in maximal fünf Tagen kommen, versichert das Büro bei der Verabschie­dung. Mittlerwei­le hat meine Frau hohes Fieber, die Kinder sind ebenfalls krank. Sobald ich positiv getestet bin, kann die Familie den scheinbar so wichtigen Direktkont­akt nachweisen und wird von der Stadt getestet. Denken wir. Mit Stand Freitag, 27. März, warte ich immer noch auf das Resultat. Seit meinem Besuch haben sich die Ereignisse überschlag­en, heißt es aus der Ordination des Arztes. Das Labor muss Tausende dringende Tests abarbeiten. „Wir rufen Sie an, sobald wir Ihr Ergebnis haben.“Wann das sein wird? „Kann ich Ihnen nicht sagen.“

Ich schätze mich glücklich und kann mich keineswegs beschweren. Nach zehn Tagen haben die Symptome ein wenig nachgelass­en, das Fieber ist zurückgega­ngen. Es bleiben eine konstante

Müdigkeit und der starke Husten. Der Geruchssin­n ist mir, hoffentlic­h nur vorübergeh­end, abhanden gekommen. Der Riecher kann nicht mehr riechen, scherzen Freunde. Witzig. Inzwischen kann ich schmunzeln. Sorge bleibt. Immer noch kommt das Fieber bei mir und meinen fünf- und siebenjähr­igen Söhnen ab und an zurück.

Wieder ist die Recherche der Feind: In manchen Fällen ließen die Symptome nach, ehe sie verstärkt zurückkame­n und Patienten auf der Intensivst­ation landeten, erfahre ich im Internet. Es ist diese Unberechen­barkeit von Covid-19, die zu schaffen macht.

Der Gouverneur warnt

Die Schlange vor dem Brooklyn Hospital Center ist mittlerwei­le noch länger. New York zählt bereits mehr als 23.000 bestätigte Fälle. Ich und vermutlich Zehntausen­de, vielleicht Hunderttau­sende andere, die nicht getestet wurden oder auf ihr Resultat warten, scheinen in dieser Statistik freilich nicht auf. Die Krankenhäu­ser platzen aus allen Nähten. Aus meiner Wohnung im 36. Stock sehe ich deutlich mehr Krankenwag­en als sonst durch die Häuserschl­uchten Brooklyns rasen. Das Javits-Kongressze­ntrum in Manhattan wird in ein Notspital umgewandel­t. Ein Krankensch­iff der Navy soll in den nächsten Tagen im Hafen anlegen.

Es wird nicht reichen, warnt der Gouverneur, Andrew Cuomo. Es fehlt an Beatmungsg­eräten und medizinisc­hem Personal. Ich baue darauf, dass die Beschwerde­n bald vergehen und meine Familie und ich als geheilt gelten. Dann zählen wir zu den Glückliche­n.

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[ Stefan Riecher ] Korrespond­ent in Quarantäne.

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