AUSLAND: Eine Odyssee durch das US-Gesundheitssystem; das Virus erreicht die Elendsviertel; Chinas neuer Normalzustand; Sorge in Syrien
Erfahrungsbericht. Vor zehn Tagen ließ ich mich nach Fieber auf Covid-19 testen. Auf das Ergebnis warte ich immer noch.
Die Symptome kamen blitzschnell. Gerade hatte ich mit meinem siebenjährigen Sohn den Hausunterricht absolviert. Fünf Minuten später lag ich mit 39 Grad Fieber auf der Couch. Selbst der Gang zur Toilette ließ mich keuchend zurück. Es sollte eine zehntägige Odyssee durch New Yorks Corona-Dschungel folgen, die das Ausmaß der Verbreitung des Virus erahnen lässt.
Nach knapp zwei Wochen bin ich ziemlich sicher, dass ich mich mit Corona infiziert habe. Die Symptome sind eindeutig. Nur: Das Testergebnis steht weiterhin aus. Es hätte vor knapp einer Woche kommen sollen. Vielleicht kommt es nie. Aber der Reihe nach.
Vorweg: Ich gehöre nicht zur sogenannten Risikogruppe. 40 Jahre, keine Vorerkrankung, fit. Die letzte Erkältung hatte ich vor Jahren, ernst zu nehmendes Fieber das letzte Mal vor mehr als zehn Jahren. Das Internet kennt kein Pardon, und Google klärt schnell auf: Auch jüngere, gesunde Menschen kann die vom Virus ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19 ins Krankenhaus bringen, auf Fälle Verstorbener stößt man schnell.
Innere Unruhe macht sich breit, als das Fieber auf knapp 40 steigt, die Knochen schmerzen und der Husten über Nacht deutlich stärker wird. Dann greife ich zum Telefon. Es ist der 18. März, gerade erreicht die erste Welle New York. Die Stadt hat eine Corona-Hotline eingerichtet.
Nach 35 Minuten in der Warteschleife fragt der junge Mann: Atembeschwerden? Nein. Kontakt mit einem Infizierten gehabt? Ich lebe in Brooklyn und fuhr täglich mit der U-Bahn. Haben Sie den Namen eines Infizierten? Nein. Sorry, reicht nicht. Von den Behörden werden nur schwere Fälle mit erwiesenem Krankenkontakt getestet. Sollten Sie Probleme mit der Atmung bekommen, wählen Sie den Notruf. Auf Wiederhören.
Meine Frau hat zu diesem Zeitpunkt nur geringe Symptome, und die Kinder springen vergnügt herum, während uns die Decke auf den Kopf zu fallen droht. Ich will Gewissheit und rufe einen Arzt an, bei dem ich vor drei Jahren eine Gesundenuntersuchung durchführen ließ. Ja, wir haben soeben mit Corona-Tests begonnen, erklärt die Sekretärin. Vergessen Sie ihre Kreditkarte nicht. Zu erwartende Laborkosten: 1700 Dollar.
Ein unangenehmer Test
Sie können gern vorbeikommen. Äh, ich dachte, man solle zu Hause bleiben? „It’s fine“, erklärt die Dame. Passen Sie am Weg hierher auf, dass Sie anderen nicht zu nahe kommen. Social Distancing heißt das, steht schon jetzt als Ausdruck des Jahres 2020 fest. Auf dem Weg zum Doktor wird rasch klar, dass
New York und die USA zum globalen Pandemiezentrum werden. Vor dem Brooklyn Hospital Center im Stadtviertel Fort Greene hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Menschen tragen Masken, stützen sich teilweise gegenseitig, viele husten. In Windeseile haben die Ärzte auf dem Parkplatz ein Zelt mit Krankenbetten errichtet, um den Ansturm zu bewältigen.
Ein groteskes Bild: Direkt nebenan, im Fort Greene Park, wird Tennis gespielt, werden Picknicks abgehalten, vergnügen sich Leute in mittelgroßen Gruppen.
Der Test ist unangenehm, die Probe wird mit dünnen Wattestäbchen tief aus den Nasenlöchern geholt. Als Erstes führt der Arzt einen Soforttest auf Grippe durch: negativ. Die Resultate werden in maximal fünf Tagen kommen, versichert das Büro bei der Verabschiedung. Mittlerweile hat meine Frau hohes Fieber, die Kinder sind ebenfalls krank. Sobald ich positiv getestet bin, kann die Familie den scheinbar so wichtigen Direktkontakt nachweisen und wird von der Stadt getestet. Denken wir. Mit Stand Freitag, 27. März, warte ich immer noch auf das Resultat. Seit meinem Besuch haben sich die Ereignisse überschlagen, heißt es aus der Ordination des Arztes. Das Labor muss Tausende dringende Tests abarbeiten. „Wir rufen Sie an, sobald wir Ihr Ergebnis haben.“Wann das sein wird? „Kann ich Ihnen nicht sagen.“
Ich schätze mich glücklich und kann mich keineswegs beschweren. Nach zehn Tagen haben die Symptome ein wenig nachgelassen, das Fieber ist zurückgegangen. Es bleiben eine konstante
Müdigkeit und der starke Husten. Der Geruchssinn ist mir, hoffentlich nur vorübergehend, abhanden gekommen. Der Riecher kann nicht mehr riechen, scherzen Freunde. Witzig. Inzwischen kann ich schmunzeln. Sorge bleibt. Immer noch kommt das Fieber bei mir und meinen fünf- und siebenjährigen Söhnen ab und an zurück.
Wieder ist die Recherche der Feind: In manchen Fällen ließen die Symptome nach, ehe sie verstärkt zurückkamen und Patienten auf der Intensivstation landeten, erfahre ich im Internet. Es ist diese Unberechenbarkeit von Covid-19, die zu schaffen macht.
Der Gouverneur warnt
Die Schlange vor dem Brooklyn Hospital Center ist mittlerweile noch länger. New York zählt bereits mehr als 23.000 bestätigte Fälle. Ich und vermutlich Zehntausende, vielleicht Hunderttausende andere, die nicht getestet wurden oder auf ihr Resultat warten, scheinen in dieser Statistik freilich nicht auf. Die Krankenhäuser platzen aus allen Nähten. Aus meiner Wohnung im 36. Stock sehe ich deutlich mehr Krankenwagen als sonst durch die Häuserschluchten Brooklyns rasen. Das Javits-Kongresszentrum in Manhattan wird in ein Notspital umgewandelt. Ein Krankenschiff der Navy soll in den nächsten Tagen im Hafen anlegen.
Es wird nicht reichen, warnt der Gouverneur, Andrew Cuomo. Es fehlt an Beatmungsgeräten und medizinischem Personal. Ich baue darauf, dass die Beschwerden bald vergehen und meine Familie und ich als geheilt gelten. Dann zählen wir zu den Glücklichen.