Die Presse

Wie viel Vertrauen haben die Politiker in die Bürger?

Nun wird sich zeigen, wie liberal und solidarisc­h diese Gesellscha­ft ist. Die einzelnen Staaten gehen leider nicht mit gutem Beispiel voran.

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Heute geh’n wir gar nicht raus. Wir bleiben im Pyjama zu Haus“, heißt es im Song der Wiener Rockband Wanda. Es ist längst das Lied zur Coronakris­e. Unentwegt läuft es im Radio. „Nur wir zwei, wie im Traum – und ,Columbo‘ schaun.“Noch haben Home-Office, Home-Schooling und Social Distancing diese Gesellscha­ft nicht entzweit.

Noch herrschen Verständni­s, Disziplin und Verantwort­ung für sich und seine Mitmensche­n. „Wir schaffen das“lautet die Devise. Der Satz stammt bekanntlic­h von Angela Merkel. Sie sagte ihn zu Beginn der Flüchtling­skrise im August 2015. Die Geschichte ist dann doch nicht so harmonisch ausgegange­n wie ein Wanda-Song.

„Wie lang schaffen wir das?“muss es nämlich heißen. Und diese Frage stellen sich nicht nur Unternehme­r, die um ihre Existenz bangen. Diese Frage stellen sich nicht nur Eltern, die sich nur schwer vorstellen können, dass die Schule bis Ende des Schuljahre­s nicht mehr aufsperrt. Es sind vor allem die Politiker, die sich wohl fragen müssen: Wie lang können wir die Leute ruhigstell­en und diesen Zustand aufrechter­halten?

Es ist schon interessan­t, wie sich plötzlich alles auf den Kopf stellt. Noch vor einigen Wochen wurde in Talkshows und Zeitungsko­lumnen vorwiegend über das schwindend­e Vertrauen der Bevölkerun­g in die Politik diskutiert. Da war die „Krise“der SPÖ, die „Krise“der deutschen CDU: Wie egal es doch ist, was früher einmal eine Krise war. Und mit der Angst und Ungewisshe­it steigt das Vertrauen in die Politik plötzlich in ungeahnte Sphären. Längst geht es nicht mehr darum, ob die Leute den Politikern vertrauen. Die Frage der Stunde lautet: Wie viel Vertrauen haben die Politiker in die Bevölkerun­g? Nun wird sich nämlich zeigen, wie liberal und solidarisc­h diese Gesellscha­ft ist.

In Anbetracht des unverhohle­nen Staatsegoi­smus stehen die Vorzeichen nicht gerade gut. US-Präsident Trump lässt die Märkte leer kaufen. Beatmungsg­eräte, Schutzmask­en und Medikament­e. Deutschlan­d fing für das italienisc­he Gesundheit­ssystem bestimmte Güter an der Grenze ab. Die viel gepriesene­n Schnelltes­ts werden zuerst auf den großen Märkten zu kaufen sein – kleine Länder wie Österreich werden sich wohl hinten anstellen müssen. Die Europäisch­e Union ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Grenzen dicht, Eigeninter­essen vor. Brüssel werde als „kafkaesker Papiertige­r“weiterbest­ehen, meint der österreich­ische Ökonom Rahim Taghizadeg­an. Bei all den wirtschaft­lichen und sozialen Verwerfung­en konnte man bisher immer noch das „Friedenspr­ojekt Europa“ins Treffen führen. Gilt das noch?

Dass die Regierunge­n nun Billionen an Hilfsgelde­rn zur Verfügung stellen, mag den ersten Schock lindern, mag als Erste Hilfe gut sein. Aber auch 38 Milliarden Euro, wie in Österreich, können Probleme und Gefahren bestenfall­s hinauszöge­rn. Geldspritz­en schaffen nämlich keine Kaufkraft, machen keine Produktion­sausfälle ungeschehe­n. Die Regierung führt hier quasi eine Notoperati­on durch.

Viele Unternehme­n werden trotz dieses Eingriffs nicht überleben, weil sie schon vor der Coronapand­emie zu schwach waren, oder weil sich Geschäftsm­odelle verändern werden. Vielleicht werden wir das Thema öffentlich­er Verkehr ganz neu denken müssen? Vielleicht merken wir bald, dass das Leben ohne Olympische Spiele, Champions League und Hahnenkamm­rennen auch weitergeht? Wie hoch dürfte heute der Marktwert von Lionel Messi sein?

Der Tag wird kommen. Nicht heute und auch nicht morgen. Stückweise. Und nicht überhastet. Es wird neue Regeln geben (müssen). Solang dieses Virus Menschenle­ben bedroht – und unser Gesundheit­ssystem auf die Probe stellt –, solang wird es kein Leben „wie bisher“geben. Und dennoch wird man wieder irgendwann – im Laufe dieses Jahres – in die Gänge kommen müssen. Unter klaren Regeln und Sicherheit­svorkehrun­gen, mit der gebotenen Vorsicht und Rücksicht.

Es wird die Zeit kommen, in der die Politiker das in sie gesetzte Vertrauen auch wieder an die Bevölkerun­g zurückgebe­n müssen.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

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VON GERHARD HOFER

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