Trumps Bocksprünge in der Coronakrise
USA. Das Krisenmanagement ist von Spontaneinfällen des Präsidenten geprägt. Zuletzt fabulierte er von Quarantäne für den Großraum New York. Via Twitter revidierte er den Plan.
Wien/Washington. In New York, dem Hotspot der Coronakrise in den USA mit rund der Hälfte der mehr als 130.000 Fälle und rund 1000 Todesopfern, sind Ärzte und Sanitäter zunehmend in der moralischen Zwangslage der Triage. Täglich treffen sie Entscheidungen über Leben und Tod: Wen transportieren sie zuerst ins Krankenhaus, wen hängen sie an ein Beatmungsgerät? In einigen Spitälern ist die Not so groß, dass die Mediziner dazu übergegangen sind, zwei Patienten an eine Beatmungsmaschine zu hängen.
Für Montag war eine gewisse Erleichterung in Aussicht gestellt: Die USNS Comfort, das Spitalschiff der Marine mit einer Kapazität von 1000 Betten, sollte im New Yorker Hafen anlegen. Um die Krankenhäuser der Metropole zu entlasten, soll es die Nicht-Corona-Fälle aufnehmen. Donald Trump war am Samstag eigens auf den Stützpunkt Norfolk in Virginia geflogen, um gleichsam als Kriegspräsident das Schiff auf die Reise nordwärts zu schicken. „Eine 70.000-Tonnen-Botschaft der Hoffnung und der Solidarität“, wie er sich ausdrückte – als Notmaßnahme für die Heimatstadt.
Hyperaktiver Oberbefehlshaber
Trump inszeniert sich derzeit als hyperaktiver Oberbefehlshaber und Krisenmanager. So setzte er ein Kriegsrecht in Kraft, das ihn ermächtigt, Unternehmen auf „Kriegsproduktion“umzustellen. Den Autokonzern GM forderte er auf, die dringend notwendigen Beatmungsgeräte zu produzieren – 100.000 in drei Monaten, so seine Vorgabe.
Allerdings stiftete Trump neuerlich Konfusion mit seinen nicht abgestimmten Spontaneinfällen. Vor dem Abflug nach Norfolk erwog er den Plan, New York, New Jersey und einen Teil Connecticuts – den Großraum um New York City – unter eine 14-tägige Quarantäne zu stellen. Es käme einem Ausreiseverbot gleich. Mehrere Gouverneure, unter anderem in Pennsylvania und Florida, hatten New Yorker eindringlich davor gewarnt, in ihren Bundesstaat zu reisen – und wenn doch, sollten sie sich in eine freiwillige, zweiwöchige Selbstisolation begeben.
In New York fuhr Gouverneur Andrew Cuomo dazwischen: Rechtlich sei eine solche Maßnahme möglicherweise nicht gedeckt – ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen. Die Börsenkurse würden „wie ein Stein“sinken, die Wirtschaft würde sich womöglich jahrelang nicht erholen. Letzteres Argument dürfte den Präsidenten prompt umgestimmt haben. Denn nach seiner Rückkehr aus Norfolk twitterte er: „Eine Quarantäne wird nicht notwendig sein.“
Bis zu 200.000 Tote?
Die Kehrtwende beschreibt die Flip-Flop-Politik des Präsidenten. Erst verharmloste er die Gefahr der Coronaepidemie als die einer Grippewelle, um schließlich umzuschwenken. Dann sprach er vom „China-Virus“, um zuletzt davon abzurücken. Und schließlich fabulierte er davon, zu Ostern wieder zur
Normalität zurückzukehren. Davon war am Wochenende allerdings keine Rede mehr.
In den Sonntagstalkshows fiel erneut Anthony Fauci die Aufgabe zu, die Bocksprünge Trumps zu relativieren, seine Aussagen zu revidieren und zu korrigieren. Der Direktor des nationalen Instituts für Infektionskrankheiten warnte vor einer Million Infizierten im Land und bis zu 200.000 Toten.
Der 79-Jährige, ein schmaler, asketischer Mann, stieg zu großer Popularität auf. „Wo ist Doktor Fauci?“, fragen viele, wenn er bei einem der täglichen Pressebriefings im Weißen Haus fehlt. Trumps Dauerpräsenz hat dem Präsidenten indessen die beste Zustimmungsrate seiner Amtszeit eingebracht. Wie in Krisen- und Kriegszeiten üblich scharen sich die Amerikaner hinter den Präsidenten.