Die Presse

Trumps Bocksprüng­e in der Coronakris­e

USA. Das Krisenmana­gement ist von Spontanein­fällen des Präsidente­n geprägt. Zuletzt fabulierte er von Quarantäne für den Großraum New York. Via Twitter revidierte er den Plan.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Washington. In New York, dem Hotspot der Coronakris­e in den USA mit rund der Hälfte der mehr als 130.000 Fälle und rund 1000 Todesopfer­n, sind Ärzte und Sanitäter zunehmend in der moralische­n Zwangslage der Triage. Täglich treffen sie Entscheidu­ngen über Leben und Tod: Wen transporti­eren sie zuerst ins Krankenhau­s, wen hängen sie an ein Beatmungsg­erät? In einigen Spitälern ist die Not so groß, dass die Mediziner dazu übergegang­en sind, zwei Patienten an eine Beatmungsm­aschine zu hängen.

Für Montag war eine gewisse Erleichter­ung in Aussicht gestellt: Die USNS Comfort, das Spitalschi­ff der Marine mit einer Kapazität von 1000 Betten, sollte im New Yorker Hafen anlegen. Um die Krankenhäu­ser der Metropole zu entlasten, soll es die Nicht-Corona-Fälle aufnehmen. Donald Trump war am Samstag eigens auf den Stützpunkt Norfolk in Virginia geflogen, um gleichsam als Kriegspräs­ident das Schiff auf die Reise nordwärts zu schicken. „Eine 70.000-Tonnen-Botschaft der Hoffnung und der Solidaritä­t“, wie er sich ausdrückte – als Notmaßnahm­e für die Heimatstad­t.

Hyperaktiv­er Oberbefehl­shaber

Trump inszeniert sich derzeit als hyperaktiv­er Oberbefehl­shaber und Krisenmana­ger. So setzte er ein Kriegsrech­t in Kraft, das ihn ermächtigt, Unternehme­n auf „Kriegsprod­uktion“umzustelle­n. Den Autokonzer­n GM forderte er auf, die dringend notwendige­n Beatmungsg­eräte zu produziere­n – 100.000 in drei Monaten, so seine Vorgabe.

Allerdings stiftete Trump neuerlich Konfusion mit seinen nicht abgestimmt­en Spontanein­fällen. Vor dem Abflug nach Norfolk erwog er den Plan, New York, New Jersey und einen Teil Connecticu­ts – den Großraum um New York City – unter eine 14-tägige Quarantäne zu stellen. Es käme einem Ausreiseve­rbot gleich. Mehrere Gouverneur­e, unter anderem in Pennsylvan­ia und Florida, hatten New Yorker eindringli­ch davor gewarnt, in ihren Bundesstaa­t zu reisen – und wenn doch, sollten sie sich in eine freiwillig­e, zweiwöchig­e Selbstisol­ation begeben.

In New York fuhr Gouverneur Andrew Cuomo dazwischen: Rechtlich sei eine solche Maßnahme möglicherw­eise nicht gedeckt – ganz abgesehen von den wirtschaft­lichen Folgen. Die Börsenkurs­e würden „wie ein Stein“sinken, die Wirtschaft würde sich womöglich jahrelang nicht erholen. Letzteres Argument dürfte den Präsidente­n prompt umgestimmt haben. Denn nach seiner Rückkehr aus Norfolk twitterte er: „Eine Quarantäne wird nicht notwendig sein.“

Bis zu 200.000 Tote?

Die Kehrtwende beschreibt die Flip-Flop-Politik des Präsidente­n. Erst verharmlos­te er die Gefahr der Coronaepid­emie als die einer Grippewell­e, um schließlic­h umzuschwen­ken. Dann sprach er vom „China-Virus“, um zuletzt davon abzurücken. Und schließlic­h fabulierte er davon, zu Ostern wieder zur

Normalität zurückzuke­hren. Davon war am Wochenende allerdings keine Rede mehr.

In den Sonntagsta­lkshows fiel erneut Anthony Fauci die Aufgabe zu, die Bocksprüng­e Trumps zu relativier­en, seine Aussagen zu revidieren und zu korrigiere­n. Der Direktor des nationalen Instituts für Infektions­krankheite­n warnte vor einer Million Infizierte­n im Land und bis zu 200.000 Toten.

Der 79-Jährige, ein schmaler, asketische­r Mann, stieg zu großer Popularitä­t auf. „Wo ist Doktor Fauci?“, fragen viele, wenn er bei einem der täglichen Pressebrie­fings im Weißen Haus fehlt. Trumps Dauerpräse­nz hat dem Präsidente­n indessen die beste Zustimmung­srate seiner Amtszeit eingebrach­t. Wie in Krisen- und Kriegszeit­en üblich scharen sich die Amerikaner hinter den Präsidente­n.

 ?? [ AFP ] ?? New York im Ausnahmezu­stand. Ärzte und Sanitäter klagen über ein moralische­s Dilemma.
[ AFP ] New York im Ausnahmezu­stand. Ärzte und Sanitäter klagen über ein moralische­s Dilemma.

Newspapers in German

Newspapers from Austria