Die Presse

Spaniens totaler Shutdown

Hilferuf aus Madrid. Regierung verschärft die Maßnahmen im Kampf gegen Corona und fordert von der EU „Solidaritä­t“ein.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Madrid. Die Hoffnungen erfüllten sich nicht: Vor zwei Wochen verhängte Spaniens Regierung eine weitgehend­e Ausgangssp­erre, um die Ausbreitun­g der Coronaepid­emie spürbar zu bremsen. Nur zum Arbeiten, Einkaufen und für den Arztbesuch durften die Menschen vor die Tür. Doch die Zahl der Infektione­n und Toten klettert immer weiter in die Höhe.

Brennpunkt der Epidemie ist die Hauptstadt­region Madrid, wo nun wegen des Coronadram­as alle Fahnen auf Halbmast gesetzt wurden. Bis Sonntag starben allein in Madrid 3100 Menschen, das ist rund die Hälfte aller Todesopfer in Spanien. In einem weiteren Schritt im Kampf gegen das Coronaviru­s verschärft­e Spaniens Regierung am Sonntag die Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit: Nach dem Beispiel Italiens müssen von diesem Montag an auch die Arbeiter und Angestellt­en, die bisher noch in Fabriken, Büros und auf Baustellen den Betrieb aufrechter­halten haben, zu Hause bleiben. Das Gehalt wird weiter gezahlt, die nicht geleistete­n Arbeitsstu­nden sollen später nachgeholt werden. Entlassung­en sind verboten.

„Das sind entscheide­nde Tage“

Zunächst gilt diese Notstandsr­egelung, die die Wirtschaft praktisch lahm legt, bis Ostern. Doch mit der Verlängeru­ng der kollektive­n Quarantäne bis wenigstens Ende April muss gerechnet werden. „Das sind harte, aber entscheide­nde Tage“, sagte Premier Pedro Sanchez´ in einer Fernsehans­prache am Wochenende. Die ganze Nation müsse Opfer bringen und mit Disziplin dazu beitragen, dass die Infektions­kurve endlich abflache.

Hohe Dunkelziff­er

Am Sonntag musste Fernando Simon,´ der Sprecher der spanischen Gesundheit­sbehörden, schon wieder traurige Rekorde verkünden: 78.800 bestätigte Krankheits­fälle wurden bisher registrier­t – ein Anstieg um rund 6500. Die offizielle­n Zahlen sind aber nur die Spitze des Eisberges, da die meisten Verdachtsf­älle nicht getestet und somit auch nicht mitgezählt werden. Simon:´ „Wir wissen nicht, wie viele Fälle es in Wirklichke­it gibt.“

Zugleich wurden 6530 Todesfälle im Zusammenha­ng mit dem Virus Sars-CoV-2 gemeldet. Das ist ein Zuwachs von 840 Toten in 24 Stunden. Auch hier muss von einer größeren Dunkelziff­er ausgegange­n werden. Experten weisen aber einschränk­end darauf hin, dass nicht durchweg klar ist, ob die Opfer an der durch das Virus verursacht­en Lungenkran­kheit Covid-19 oder an einer in den meisten Fällen vorhandene­n Vorerkrank­ung starben – zwei Drittel der Toten sind älter als 80 Jahre.

Immerhin wird nach Einschätzu­ng des Epidemiolo­gen Simon´ doch ein kleines Licht am Ende des Tunnels sichtbar: Die absoluten Infektions- und Totenzahle­n steigen zwar weiter, aber die täglichen prozentual­en Zuwächse seien geringer geworden. Am Sonntag zum Beispiel sei die gemeldete Zahl der Kranken, verglichen mit dem Vortag, nur noch um neun Prozent nach oben geklettert. „Eine Entwicklun­g in die korrekte Richtung“, sagte Simon.´ In den ersten Wochen der Epidemie hatte sich die Fallzahl zuweilen innerhalb von 24 Stunden verdoppelt.

Spaniens Premier Sanchez´ schickte derweil einen verzweifel­ten Hilfeanruf an die EU: Spanien könne die Milliarden­kosten für die Bewältigun­g der Coronakris­e nicht alleine tragen. Er forderte massive europäisch­e Finanzhilf­e in Form von „Corona-Bonds“der Europäisch­en Zentralban­k, um Spanien vor einer neuen Schuldenkr­ise zu bewahren. Europa müsse eine Art Marshall-Plan zur Bewältigun­g der Epidemie in Gang setzen und „Solidaritä­t“zeigen.

Brief an Charles Michel

Diese Forderung Spaniens wird auch von den Regierunge­n Frankreich­s, Italiens, Griechenla­nds, Portugals, Belgiens, Irlands, Sloweniens und Luxemburgs unterstütz­t. Diese Länder wandten sich zusammen mit Spanien in einem Brief an den EU-Ratschef Charles Michel. In dem Schreiben verweisen die neun EU-Staaten darauf, dass die verheerend­en Folgen der Pandemie alle Mitgliedss­taaten betreffen und somit auch eine solidarisc­he Antwort erfordern würden.

 ?? [ Imago ] ?? Ein spanischer Soldat stoppt einen Passanten, während seine Kameraden den Bahnhof der Stadt Irun desinfizie­ren.
[ Imago ] Ein spanischer Soldat stoppt einen Passanten, während seine Kameraden den Bahnhof der Stadt Irun desinfizie­ren.

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