Von toten Katzen, Bärenmärkten und Bullenfallen
Was wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, war wahrscheinlich noch nicht das Tief. Doch gibt es schlechtere Zeiten, um Aktien zu kaufen. Erst abzuwarten und dann auf dem Höhepunkt der Scheinerholung zu kaufen, kann erst recht falsch sein.
Leute, die historische Vergleiche und Statistiken mögen, kommen gegenwärtig voll auf ihre Rechnung. Binnen weniger Tage konnte man den schlimmsten Börsentag an der Wall Street seit 1987 (am 16. März) und den besten seit 1933 (am 24. März) erleben. Die Kursausschläge waren nicht nur in absoluten Zahlen die höchsten (was angesichts der in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegenen Kurse nichts Besonderes wäre), sondern auch in Prozent. Es wird Geschichte geschrieben. Und das bedeutet selten etwas Gutes.
Im Zusammenhang mit den steilen Kursanstiegen am vergangenen Dienstag wurde auch häufig die Metapher des „Dead-Cat-Bounce“(Hüpfen einer toten Katze) bemüht: Auch eine tote Katze könne noch hochspringen, wenn sie aus großer Höhe nach unten gefallen ist. Das klingt noch viel dramatischer als „Bullenfalle“(Scheinerholung in einem Bärenmarkt). Dabei wird gern auf die erste Scheinerholung nach dem schweren Crash infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 verwiesen. Nachdem die Kurse um die Hälfte abgestürzt waren, erholten sie sich zunächst um die Hälfte (womit freilich nur die Hälfte des Absturzes wettgemacht war), um dann noch tiefer abzustürzen. Etwas Ähnliches (wenn auch in geringerem Ausmaß) passierte auch 2001 nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder 2008 nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers infolge der Finanzkrise.
Sprich: Die erste Erholung nach einem Crash ist meist nicht nachhaltig, und das erste Tief vor der Erholung meist nicht das endgültig letzte. Wie viele Scheinerholungen und neue Tiefs wir diesmal ertragen müssen, bevor ein neuer Bullenmarkt anbricht, weiß keiner. Wenn das Coronavirus sich in den USA stärker ausbreitet, könnte das die Börsen dort (und im Gefolge auch die auf der ganzen Welt) noch einmal richtig ins
Wanken bringen. Oder wenn ein Impfstoff länger auf sich warten lässt. Oder wenn die Konjunktur noch tiefer einbricht, als ohnehin schon befürchtet wird.
Dass das Schlimmste schon vorbei ist, ist sehr unwahrscheinlich, sowohl was die Gesundheitskrise betrifft als auch die Wirtschaft und die Börsen. Andererseits dürfte auch schon viel Negatives in den Kursen eingepreist sein. Als in den USA am vergangenen Donnerstag eine Rekordzahl an Neuanträgen auf Arbeitslosenhilfe vermeldet wurde, stiegen die Kurse sogar, weil die Anleger offenbar noch Schlimmeres erwartet hatten.
Und eines steht auch fest: Zunächst abzuwarten, wie nachhaltig eine Erholung wirklich ist, und womöglich erst nach ein paar Monaten Anstieg wieder zu kaufen, kann erst recht falsch sein: Scheinerholungen dauern oft gerade ein paar Monate, bevor es dann richtig nach unten geht. Da hätte man besser gleich gekauft.
Zu früh dran zu sein, ist nicht immer das Schlechteste. Gleich nach der Lehman-Pleite 2008 Aktien zu kaufen, war zu früh, da im März 2009 noch tiefere Kurse erreicht wurden. Aber es war ein besserer Zeitpunkt als 2007, als die Kurse hoch waren, oder aber im Dezember 2008, als es so aussah, als wäre das Schlimmste nun wirklich vorbei. Natürlich wäre es noch besser gewesen, mit dem Einstieg auf März 2009 zu warten. Doch dann hätte man den Grundsatz, nicht ins fallende Messer zu greifen, völlig außer Acht lassen müssen.
Wer noch keine oder nur wenige Aktien hat, kann durchaus den einen oder anderen schlimmen Tag zum Kauf nützen – sofern er es aushält, zeitweise noch tiefere Kurse zu sehen und sich bewusst ist, dass man den besten Zeitpunkt ohnehin nie erwischt. Wer dafür gerade zu wenig Geld oder Nerven hat, versäumt auch nicht viel. Der nächste günstige Einstiegszeitpunkt kommt sicher.
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