Die Presse

„Bärenmärkt­e können sich ziemlich lang hinziehen“

Aktien. Blackrock-Stratege Martin Lück glaubt nicht, dass der Markt den Boden gefunden hat. Langfrist-Anleger sollten aber nicht mehr verkaufen.

- VON BEATE LAMMER

Wien. Die Märkte sind derzeit hochnervös. Auf Tage mit schweren Kursabstür­zen folgen sensatione­lle Erholungen, die ebenso abrupt wieder enden. Der Markt teile sich derzeit in zwei Gruppen, meint Martin Lück, Chefstrate­ge bei Blackrock. Da sei einmal die Gruppe derer, die glauben, dass die starken geld- und fiskalpoli­tischen Stimuli der Regierunge­n und Notenbanke­n bereits wirken und sich die Ansteckung­skurve des Coronaviru­s rasch abflachen werde.

Und dann gebe es die Gruppe derer, die fürchten, dass der Markt noch nicht seinen Boden gefunden habe. Lück sieht sich selbst in diesem Lager. Immerhin stünden die größten Auswirkung­en der Epidemie in den USA und in Großbritan­nien noch bevor, auch die ökonomisch­en Folgen seien enorm.

„Die Frage ist lediglich, ob wir unter die alten Tiefs fallen oder nicht“, sagt Lück. Das hänge davon ab, wie lang der Stillstand großer Teile der Volkswirts­chaft noch anhalte.

In etwa zehn Tagen sollte es diesbezügl­ich mehr Klarheit geben. Ausgestand­en sei die Sache an den Börsen damit aber noch nicht: „Bärenmärkt­e können sich ziemlich lang hinziehen“, stellt der Blackrock-Stratege fest. Er erinnert an 2001, als die Märkte nach dem ersten Einbruch infolge der Dotcom-Blase zu einer Scheinerho­lung angesetzt haben, um dann noch tiefer zu fallen.

„Gesellscha­ft verändert sich“

Die langfristi­gen Folgen für die Wirtschaft seien schwer abzuschätz­en. In China habe es einen vergleichs­weise kurzen Shutdown gegeben, der aber schwere wirtschaft­liche Folgen nach sich gezogen habe. In Europa und den USA, wo der Teilstills­tand der Wirtschaft von längerer Dauer sein dürfte, könnte der Schaden noch sehr viel größer sein.

Manche Pessimiste­n fürchten gar, dass diese Krise die Weltwirtsc­haftskrise, die im Jahr 1929 ausgebroch­en war, in den Schatten stellen werde. Mit letzter Sicherheit könne man das nicht ausschließ­en, sagt Lück. Damals habe sich auch die Gesellscha­ft tiefgreife­nd verändert.

Auch diesmal werde sich die Gesellscha­ft verändern, das müsse aber nicht zwingend zum Negativen hin sein. Man werde über Globalisie­rung und Verteilung neu nachdenken müssen. Möglicherw­eise werde mehr Augenmerk auf die gesundheit­lichen Risken der Globalisie­rung gelegt. So hätten asiatische Näherinnen in Italien zur Ausbreitun­g des Virus beigetrage­n.

Globalisie­rung neu zu definieren bedeute nicht notwendige­rweise, dass sich die Staaten voneinande­r abschotten. Es könnte mehr internatio­nale Solidaritä­t geben. Die EU beginne bereits mit der Errichtung eines EU-weiten Depots für medizinisc­hes Gerät, auf das alle Mitgliedst­aaten Zugriff haben sollen. Doch seien auch Negativsze­narien denkbar, dass etwa die USA versuchen, den Markt für Beatmungsg­eräte leer zu kaufen.

„Krise ist temporär“

Die entscheide­nde Frage für Anleger laute indes, ob die gegenwärti­ge Krise nur temporär sei oder aber L-förmig verlaufe, also nicht mehr in eine Erholung münde. Lück glaubt, dass sie temporär sei, lediglich die Dauer sei ungewiss. Langfristi­g orientiert­e Anleger sollten jetzt nicht mehr verkaufen, sondern allenfalls einen Teil ihres Geldes auf der Seite halten, um nachkaufen zu können, wenn es an den Börsen noch einmal deutlich nach unten gehen sollte. Auf Sicht von einem Jahr stünden die Chancen gut, dass die Anleger wieder im Plus sind. Lück fügt jedoch hinzu: „Je länger der Horizont, desto besser.“

ist seit

2015 Chefkapita­lmarktstra­tege für Deutschlan­d, Österreich und Osteuropa beim USVermögen­sverwalter Blackrock. Er verantwort­et die makroökono­mische Analyse sowie die Investment­einschätzu­ngen. Zuvor war Lück unter anderem Chefvolksw­irt bei der

UBS Deutschlan­d.

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