Warum auch Zahlen unter Vorbehalt riskant ist
Gastbeitrag. Die gesetzlich vorgesehene Mietzinsreduktion wegen Unbrauchbarkeit des Objekts hat ihre Tücken: Wer den Zins vorschnell zahlt, übernimmt ungewollt das Insolvenzrisiko des Vermieters. Einvernehmliche Lösungen sind anzuraten.
Wien. Die Botschaft an alle von den verordneten Geschäftssperren und Ausgangsbeschränkungen betroffenen Unternehmer zieht als Lichtblick in dunklen Krisenzeiten durch die Medien: Gemäß § 1104 f ABGB entfällt der Mietzins (teilweise), wenn der Mieter seine Mieträume „wegen außerordentlicher Zufälle“, z. B. „Feuer, Krieg oder Seuche“(teilweise) nicht nutzen kann. Geschäftsraummieter dürfen den Mietzins für die betroffenen Geschäftslokale reduzieren oder sogar entfallen lassen.
Zahlreiche Unternehmer denken, sie hätten eine Sorge weniger. Ein Blick ins Detail zeigt allerdings, dass Mietverhältnisse im Geschäftsbereich komplex sind. Die Geltendmachung dieser Forderung ist voller Tücken:
Die Bestimmung ist weniger klar, als sie auf den ersten Blick scheint. Praktische Bedeutung hatte § 1104 ABGB zuletzt bei der Beschlagnahme von Geschäftsräumen durch die Besatzungsmächte. Es gibt kaum Rechtsprechung, auf die man bei der Auslegung zurückgreifen kann. Darüber hinaus verlangt die Geltendmachung der Reduktion bzw. des Entfalls juristisches und verhandlungstaktisches Fingerspitzengefühl.
Höhe der Reduktion unklar
Eine Mietzinsreduktion tritt zwar mit Beginn der Beeinträchtigung von Gesetzes wegen ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Reduktion von vornherein feststeht. Wenn ein Geschäftslokal teilweise nutzbar ist, kann es schwierig werden, die Höhe der Reduktion zu bestimmen. Vermieter stellen bereits in Frage, ob die unternehmerische Entscheidung für die Umstellung auf Home-Office gesetzlich notwendig war, freiwillig getroffen wurde oder der rechtlich gebotene Zustand auch mit anderen Mitteln erreichbar gewesen wäre. Noch ist ungewiss, unter welchen Voraussetzungen die Gerichte künftig die
Anwendbarkeit des § 1104 ABGB bejahen oder verneinen werden. Überdies muss der Vertrag selbst geprüft werden: Wurde eine Mietzinsreduktion für den Krisenfall vertraglich ausgeschlossen? Ein solcher Ausschluss kann aber seinerseits nichtig, also ungültig sein.
Nur eines ist sicher: Mieter und Vermieter werden zu all dem unterschiedliche Ansichten haben.
Wenn der Mieter mit seiner Ansicht falsch liegt und dennoch den Mietzins ganz oder teilweise zurückbehält, riskiert er eine außerordentliche Vertragsauflösung wegen Zahlungsverzugs (§ 1118 ABGB) – auch wenn er sich völlig im Recht wähnt. Am Ende schafft erst die letzte Gerichtsinstanz Klarheit über die Mietzinshöhe und die Wirksamkeit der Auflösung. Beide Seiten müssen jahrelang mit diesem Risiko leben.
Gleichermaßen riskiert derjenige, der sich – um des Friedens Willen – vorläufig ruhig verhält und seinen Mietzins in voller Höhe (vorbehaltlos) weiter bezahlt, dass sein Schweigen als Verzicht gewertet wird. Die Folge: Er kann später weder eine Reduktion noch einen Rückforderungsanspruch geltend machen. Der Geschäftsführung des Mieters könnte pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen werden.
Wer meint, den strittigen Betrag „sicherheitshalber“gerichtlich hinterlegen zu sollen, um das Risiko der außerordentlichen Kündigung abzuwenden, unterliegt einem Trugschluss: Die Hinterlegung hat gerade keine schuldbefreiende Wirkung und beseitigt das Risiko daher nicht.
Für zahlungskräftige Mieter lockt ein Ausweg aus dem Dilemma: Die Zahlung „unter Vorbehalt“. Damit hausieren Vermieter derzeit. Sie schicken ihren Mietern entsprechende Einladungen bzw. Aufforderungen zur vollen Zahlung unter Vorbehalt. Allerdings lauert auch hier eine brandgefährliche Tücke: Der Mieter trägt plötzlich das Insolvenzrisiko des Vermieters.
Der Mieter behält zwar seinen Rückforderungsanspruch; geht der Vermieter später in Insolvenz, ist der Mieter auf die (meist im einstelligen Prozentbereich liegende) Quote verwiesen. Gerade bei professionellen Vermietern ist das eine ernst zu nehmende Gefahr in dieser Krise. Man denke etwa an den Vermieter eines Einkaufszentrums, dem auch andere Mieten ausfallen. Die Zahlung unter Vorbehalt ist daher keineswegs die Lösung.
Schlechte Karten für Vermieter
In der Coronakrise sind die Karten für den Vermieter schlecht verteilt. Er muss das Objekt vermieten, bekommt aber keinen bzw. nur einen reduzierten Mietzins. Seine Rechtsposition könnte sich aber mit zunehmender Dauer der Krise verbessern, denn irgendwann könnte dem Vermieter auch ein außerordentliches Kündigungsrecht zustehen. Die kritische Frage ist: Wie lange muss der Vermieter den nichtzahlenden Mieter dulden? Kann er sich aus diesem wirtschaftlich nachteiligen Vertrag befreien und wenn ja, wann? Rechtlich wird die Frage über das Kriterium der Zumutbarkeit beantwortet. Wenn dem Vermieter die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses unter den konkreten Umständen nicht mehr zumutbar ist, etwa weil er einen zahlenden Mieter gefunden hat (z. B. einen Lebensmittelhändler), wird er eine außerordentliche Kündigung erwägen. Er könnte sich auch auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, um sich aus dem Vertrag zu lösen.
Die beruhigende Botschaft für den Mieter ist: Der OGH tendiert allgemein dazu, gemäß dem Grundsatz „pacta sunt servanda“Verträge auch bei veränderten Umständen aufrechtzuerhalten. Allerdings finden sich auch vereinzelt Entscheidungen, die eine Auflösung wegen Unzumutbarkeit bejahen, wenn ein Vertragspartner durch die Fortsetzung des Vertrages geradezu in den finanziellen Ruin getrieben würde.
Wieder zeigt sich die Rechtsunsicherheit für den Einzelfall. Selten lässt sich von einem Fall auf andere Fälle schließen. Mit einem jahrelangen, kostspieligen Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang ist zu rechnen. Wer Recht bekommt, entscheidet am Ende das letztinstanzliche Gericht anhand des konkreten Mietvertrages und einer umfassenden Abwägung der Interessen von Mieter und Vermieter. Insgesamt ist die Situation riskant und mit vielen Tücken gespickt.
Mieter wie Vermieter sollten die Rechtslage im Einzelfall umfassend prüfen, um dann auf Basis einer Risikoeinschätzung die besten und schlechtesten Alternativen gegenüber einer Vereinbarung auszuloten. Wer zwischen Bestund Worst-Case-Szenario eine wirtschaftlich vernünftige Vereinbarung findet, sollte diese nicht leichtfertig in den Wind schlagen.