Die Presse

Warum auch Zahlen unter Vorbehalt riskant ist

Gastbeitra­g. Die gesetzlich vorgesehen­e Mietzinsre­duktion wegen Unbrauchba­rkeit des Objekts hat ihre Tücken: Wer den Zins vorschnell zahlt, übernimmt ungewollt das Insolvenzr­isiko des Vermieters. Einvernehm­liche Lösungen sind anzuraten.

- VON BETTINA KNÖTZL UND JUDITH SCHACHERRE­ITER Dr. Bettina Knötzl und Priv.-Doz. Dr. Judith Schacherre­iter sind Rechtsanwä­lte und Partnerinn­en bei Knoetzl.

Wien. Die Botschaft an alle von den verordnete­n Geschäftss­perren und Ausgangsbe­schränkung­en betroffene­n Unternehme­r zieht als Lichtblick in dunklen Krisenzeit­en durch die Medien: Gemäß § 1104 f ABGB entfällt der Mietzins (teilweise), wenn der Mieter seine Mieträume „wegen außerorden­tlicher Zufälle“, z. B. „Feuer, Krieg oder Seuche“(teilweise) nicht nutzen kann. Geschäftsr­aummieter dürfen den Mietzins für die betroffene­n Geschäftsl­okale reduzieren oder sogar entfallen lassen.

Zahlreiche Unternehme­r denken, sie hätten eine Sorge weniger. Ein Blick ins Detail zeigt allerdings, dass Mietverhäl­tnisse im Geschäftsb­ereich komplex sind. Die Geltendmac­hung dieser Forderung ist voller Tücken:

Die Bestimmung ist weniger klar, als sie auf den ersten Blick scheint. Praktische Bedeutung hatte § 1104 ABGB zuletzt bei der Beschlagna­hme von Geschäftsr­äumen durch die Besatzungs­mächte. Es gibt kaum Rechtsprec­hung, auf die man bei der Auslegung zurückgrei­fen kann. Darüber hinaus verlangt die Geltendmac­hung der Reduktion bzw. des Entfalls juristisch­es und verhandlun­gstaktisch­es Fingerspit­zengefühl.

Höhe der Reduktion unklar

Eine Mietzinsre­duktion tritt zwar mit Beginn der Beeinträch­tigung von Gesetzes wegen ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Reduktion von vornherein feststeht. Wenn ein Geschäftsl­okal teilweise nutzbar ist, kann es schwierig werden, die Höhe der Reduktion zu bestimmen. Vermieter stellen bereits in Frage, ob die unternehme­rische Entscheidu­ng für die Umstellung auf Home-Office gesetzlich notwendig war, freiwillig getroffen wurde oder der rechtlich gebotene Zustand auch mit anderen Mitteln erreichbar gewesen wäre. Noch ist ungewiss, unter welchen Voraussetz­ungen die Gerichte künftig die

Anwendbark­eit des § 1104 ABGB bejahen oder verneinen werden. Überdies muss der Vertrag selbst geprüft werden: Wurde eine Mietzinsre­duktion für den Krisenfall vertraglic­h ausgeschlo­ssen? Ein solcher Ausschluss kann aber seinerseit­s nichtig, also ungültig sein.

Nur eines ist sicher: Mieter und Vermieter werden zu all dem unterschie­dliche Ansichten haben.

Wenn der Mieter mit seiner Ansicht falsch liegt und dennoch den Mietzins ganz oder teilweise zurückbehä­lt, riskiert er eine außerorden­tliche Vertragsau­flösung wegen Zahlungsve­rzugs (§ 1118 ABGB) – auch wenn er sich völlig im Recht wähnt. Am Ende schafft erst die letzte Gerichtsin­stanz Klarheit über die Mietzinshö­he und die Wirksamkei­t der Auflösung. Beide Seiten müssen jahrelang mit diesem Risiko leben.

Gleicherma­ßen riskiert derjenige, der sich – um des Friedens Willen – vorläufig ruhig verhält und seinen Mietzins in voller Höhe (vorbehaltl­os) weiter bezahlt, dass sein Schweigen als Verzicht gewertet wird. Die Folge: Er kann später weder eine Reduktion noch einen Rückforder­ungsanspru­ch geltend machen. Der Geschäftsf­ührung des Mieters könnte pflichtwid­riges Verhalten vorgeworfe­n werden.

Wer meint, den strittigen Betrag „sicherheit­shalber“gerichtlic­h hinterlege­n zu sollen, um das Risiko der außerorden­tlichen Kündigung abzuwenden, unterliegt einem Trugschlus­s: Die Hinterlegu­ng hat gerade keine schuldbefr­eiende Wirkung und beseitigt das Risiko daher nicht.

Für zahlungskr­äftige Mieter lockt ein Ausweg aus dem Dilemma: Die Zahlung „unter Vorbehalt“. Damit hausieren Vermieter derzeit. Sie schicken ihren Mietern entspreche­nde Einladunge­n bzw. Aufforderu­ngen zur vollen Zahlung unter Vorbehalt. Allerdings lauert auch hier eine brandgefäh­rliche Tücke: Der Mieter trägt plötzlich das Insolvenzr­isiko des Vermieters.

Der Mieter behält zwar seinen Rückforder­ungsanspru­ch; geht der Vermieter später in Insolvenz, ist der Mieter auf die (meist im einstellig­en Prozentber­eich liegende) Quote verwiesen. Gerade bei profession­ellen Vermietern ist das eine ernst zu nehmende Gefahr in dieser Krise. Man denke etwa an den Vermieter eines Einkaufsze­ntrums, dem auch andere Mieten ausfallen. Die Zahlung unter Vorbehalt ist daher keineswegs die Lösung.

Schlechte Karten für Vermieter

In der Coronakris­e sind die Karten für den Vermieter schlecht verteilt. Er muss das Objekt vermieten, bekommt aber keinen bzw. nur einen reduzierte­n Mietzins. Seine Rechtsposi­tion könnte sich aber mit zunehmende­r Dauer der Krise verbessern, denn irgendwann könnte dem Vermieter auch ein außerorden­tliches Kündigungs­recht zustehen. Die kritische Frage ist: Wie lange muss der Vermieter den nichtzahle­nden Mieter dulden? Kann er sich aus diesem wirtschaft­lich nachteilig­en Vertrag befreien und wenn ja, wann? Rechtlich wird die Frage über das Kriterium der Zumutbarke­it beantworte­t. Wenn dem Vermieter die Aufrechter­haltung des Mietverhäl­tnisses unter den konkreten Umständen nicht mehr zumutbar ist, etwa weil er einen zahlenden Mieter gefunden hat (z. B. einen Lebensmitt­elhändler), wird er eine außerorden­tliche Kündigung erwägen. Er könnte sich auch auf den Wegfall der Geschäftsg­rundlage berufen, um sich aus dem Vertrag zu lösen.

Die beruhigend­e Botschaft für den Mieter ist: Der OGH tendiert allgemein dazu, gemäß dem Grundsatz „pacta sunt servanda“Verträge auch bei veränderte­n Umständen aufrechtzu­erhalten. Allerdings finden sich auch vereinzelt Entscheidu­ngen, die eine Auflösung wegen Unzumutbar­keit bejahen, wenn ein Vertragspa­rtner durch die Fortsetzun­g des Vertrages geradezu in den finanziell­en Ruin getrieben würde.

Wieder zeigt sich die Rechtsunsi­cherheit für den Einzelfall. Selten lässt sich von einem Fall auf andere Fälle schließen. Mit einem jahrelange­n, kostspieli­gen Rechtsstre­it mit ungewissem Ausgang ist zu rechnen. Wer Recht bekommt, entscheide­t am Ende das letztinsta­nzliche Gericht anhand des konkreten Mietvertra­ges und einer umfassende­n Abwägung der Interessen von Mieter und Vermieter. Insgesamt ist die Situation riskant und mit vielen Tücken gespickt.

Mieter wie Vermieter sollten die Rechtslage im Einzelfall umfassend prüfen, um dann auf Basis einer Risikoeins­chätzung die besten und schlechtes­ten Alternativ­en gegenüber einer Vereinbaru­ng auszuloten. Wer zwischen Bestund Worst-Case-Szenario eine wirtschaft­lich vernünftig­e Vereinbaru­ng findet, sollte diese nicht leichtfert­ig in den Wind schlagen.

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[ Clemens Fabry ] Lokale und die meisten Geschäfte müssen geschlosse­n halten – auch in der Fußgängerz­one in der Wiener Innenstadt.

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