Staatliche Tracking-App bei Bedarf denkbar
Corona. Der EU-Datenschutzausschuss hält die Auswertung persönlicher Daten zur Virusbekämpfung im Extremfall für zulässig; sie bedürfte aber einer Gesetzesgrundlage. Das private „Stopp Corona“könnte mittelbar strafrechtlich brisant sein.
Wien. Der Ruf nach Nutzung der Mobilfunktechnologie zur Virusbekämpfung wird immer lauter – aber wo ist die rechtliche Grenze?
Die derzeit diskutierten Technologien zur Auswertung von Mobilfunkdaten teilen sich in drei große Gruppen auf, die unterschiedlich zu behandeln sind.
Dürfen anonyme Bewegungsdaten mit Big Data analysiert werden?
Dies ist eine bekannte und erprobte Technik zur Seuchenbekämpfung: Schon im Jahr 2015 nutzte UN Global Pulse – eine Big-DataInitiative der UNO – diese Technologie etwa während des Ausbruchs der Ebolakrise in Afrika zur Beobachtung der geografischen Bewegung der Bevölkerung, um vorhersagen zu können, wo Ebola als Nächstes ausbricht. Datenschutzrechtlich sind solche Big-DataAuswertungen, wenn sie tatsächlich anonymisiert, also vor allem ausreichend aggregiert durchgeführt werden, unbedenklich, denn sie fallen dann sogar aus dem Datenschutzrecht heraus.
Was ist von privaten Tracking-Apps zu halten?
Private Tracking-Apps wie die Stopp-Corona-App des Roten
Kreuzes sollen von möglichst vielen Österreichern auf freiwilliger Basis genutzt werden, Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der Nutzerdaten ist somit deren Einwilligung. Die Stopp-Corona-App ermöglicht einen „digitalen Handshake“, der darin besteht, dass man mit Mobiltelefonen von Menschen in seiner Umgebung mittels Bluetooth in Kontakt tritt und einen Zifferncode austauscht. Dieser soll Warnungen generieren:
Wird ein User positiv auf Covid-19 getestet, werden vorher vernetzte „Begegnungen“anonymisiert informiert, dass sie womöglich angesteckt worden sind. Dass diese Handshakes an das Rote Kreuz übermittelt werden, wurde von Sicherheitsforschern kritisiert. Ob die in der zugehörigen Datenschutzinformation genannte Rechtsgrundlage des § 10 Datenschutzgesetz (DSG) für die Übermittlung der Daten an Gesundheitsdienste vollständig passt, ist diskutabel. Denn dieser sogenannte Tsunami-Paragraf wurde nach der Tsunami-Katastrophe ins Datenschutzgesetz aufgenommen, um u. a. „Hilfeleistung für die von der Katastrophe unmittelbar betroffene Person“zu geben. Ob dies die Kontaktperson in der App auch mitumfasst, ist fraglich. Eine rasche Novelle dieser Bestimmung könnte diese Unsicherheit aber aus der Welt schaffen.
Freiwillige User der App könnten allerdings in eine Straf-Falle tappen: Covid-19 ist eine meldepflichtige Krankheit. Wer eine meldepflichtige Krankheit hat und vorsätzlich oder fahrlässig andere Menschen gefährdet, macht sich nach §§ 178 f StGB strafbar (bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe, bei Vorsatz sogar bis zu drei Jahre). Wenn nun ein App-User in der App wie dort vorgesehen unter Angabe seiner Telefonnummer seine Infektion meldet, könnte er sich strafbar machen, wenn er sich nicht zu Hause in Quarantäne aufhält oder gegenüber Dritten behauptet, kein Verdachtsfall zu sein und diese daher gefährdet. Gesundheitsbehörden und Strafverfolgungsbehörden hätten in diesem Fall auch Zugriffsmöglichkeit auf die vom Roten Kreuz gespeicherte Telefonnummer als Beweis, dass der konkrete User selbst schon von der Infektion wusste.
China und neuerdings auch die Slowakei werten auch personenbezogene Daten einzelner Bürger aus. Derzeit gäbe es dafür in Österreich keine Rechtsgrundlage. Laut EU-Datenschutzausschuss könnte aber unter außergewöhnlichen Umständen und abhängig von konkreten Maßnahmen der Verarbeitung ein Tracking von Einzelpersonen, inklusive der Auswertung historischer Bewegungsdaten, zulässig sein. Der Gesetzgeber könnte also auch in Österreich eine entsprechende Eingriffsnorm schaffen. Diese müsste aber den Vorgaben des § 1 Abs 2 DSG und des Art 8 EMRK entsprechen: Die Maßnahme müsste verhältnismäßig, geeignet und das gelindeste Mittel zur Zweckerreichung sein. Berechnungsmodelle, die die Geeignetheit dokumentieren, gibt es für Österreich aber soweit ersichtlich noch nicht. Rechtlich völlig undenkbar wäre diese Maßnahme aber nicht. Es bleibt also abzuwarten, ob wir auch in Österreich noch vor die Wahl gestellt werden, Bewegungsfreiheit gegen Überwachungsfreiheit einzutauschen und dies unser Weg in die „Normalität“wird.
Dr. Rainer Knyrim ist Gründungspartner von Knyrim Trieb Rechtsanwälte.