Unternehmen sind keine Hellseher
Insolvenzrecht. Wie sich die Krise entwickelt, ist momentan nicht zu prognostizieren. Die Politik wäre daher gefordert, die Überschuldung als Insolvenzgrund abzuschaffen.
Innsbruck. Dass „Corona“zu einer Wirtschaftskrise führen kann, ist bekannt. Ebenso bekannt ist, dass für kleinere Unternehmen durch Wegbrechen der Umsätze die Insolvenzgefahr bereits droht, für größere eine Insolvenz zumindest am Horizont ablesbar ist.
Die angekündigten staatlichen Förderungen werden die Liquiditätsprobleme wahrscheinlich nicht zur Gänze beheben können, geschweige denn ist die für die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit notwendige zeitliche Kongruenz des staatlichen Auszahlungsflusses mit Sicherheit zu erwarten. Der Gesetzgeber hat in der Situation mit einer Verlängerung der Frist für den Insolvenz-Eigenantrag des Schuldners von 60 auf 120 Tage nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit reagiert, indem er die Wendung „Epidemie, Pandemie“bei den diesen Aufschub rechtfertigenden Naturkatastrophen in § 69 Abs. 2a Insolvenzordnung (IO) eingefügt hat. Das ist schon auf den ersten Blick zu kurz gegriffen, ändert doch die Verlängerung der Frist für den Insolvenz-Eigenantrag des Schuldners nichts daran, dass ein Gläubiger die Insolvenzeröffnung wegen Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners beantragen kann. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist diese unverzüglich zu eröffnen.
Abgesehen davon wird übersehen, dass die Insolvenzgründe der IO, Zahlungsunfähigkeit (für alle Schuldner) und Überschuldung (diese zusätzlich für Kapitalgesellschaften), gerade in der speziellen Situation „Insolvenz-Brandbeschleuniger“sind. Nach der Rechtsprechung (3 Ob 99/10w) ist der Schuldner als zahlungsunfähig anzusehen, wenn er mehr als fünf Prozent aller seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen kann. Für den offenen Rest stehen drei Monate bei hoher Wahrscheinlichkeit, bis zu circa fünf Monate bei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Überwindung der Liquiditätsschwäche zur Verfügung.
Abgesehen davon, dass in der gegenwärtigen Situation die Liquiditätslücke in vielen Fällen erheblich größer als fünf Prozent aller Fälligkeiten sein wird, stellt sich die Frage, wie denn für die Erfüllbarkeit der offenen Forderungen eine Befriedigungsprognose von einem in Corona-bedingte Bedrängnis geratenen Unternehmen dargestellt werden soll.
Probleme bei Zahlungsausfall
Derzeit sind weder die Entwicklung der Epidemie noch die Folgen für die Wirtschaft prognostizierbar. Das Insolvenzrecht kann nicht hellseherische Kräfte von Unternehmen fordern, wenn es um die Darstellung einer bloßen Zahlungsstockung geht, die nicht Insolvenzgrund ist. Um an sich gesunden Unternehmen, die in ein Corona-Liquiditätsproblem geraten, zu helfen, wäre etwa eine gesetzliche Klarstellung zu den Begriffen der Zahlungsunfähigkeit und -stockung in § 66 Abs. 3 IO dahingehend vorstellbar, dass ein aufgrund einer Epidemie/Pandemie entstehender Zahlungsausfall (§ 69 Abs. 2a) bei der Beurteilung, ob eine Zahlungsstockung vorliegt, nicht zu berücksichtigen ist.
Noch viel gefährlicher für die in Form von Kapitalgesellschaften verfassten Unternehmen ist der Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 67 IO): Er liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn eine Fortbestehensprognose nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens für das laufende und nächste Geschäftsjahr ergibt (negative Fortbestehensprognose) und das zu Liquidationswerten bewertete Vermögen zur Deckung aller fälligen und nicht fälligen Forderungen nicht ausreicht (negativer Überschuldungsstatus).
In aller Regel wird gegen das Vorliegen der Überschuldung in der Praxis mit einer günstigen Fortbestehensprognose argumentiert, zumal die Darstellung eines positiven Überschuldungsstatus in den meisten Fällen mangels liquidierbaren Eigenkapitals ohnehin nicht möglich ist. Für viele Kapitalgesellschaften wird aber angesichts der derzeit herrschenden Unsicherheit die positive Fortbestehensprognose, also eine „überwiegend wahrscheinliche“Lebensfähigkeit durch Aufrechterhalten der Liquidität für das laufende und nächste Geschäftsjahr, schlicht nicht darstellbar sein. Wie soll denn die aufrecht bleibende Liquidität „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“für zwei Geschäftsjahre in der derzeitigen Situation dargestellt werden?
Der Insolvenzgrund der Überschuldung, der bei den Kapitalgesellschaften auch schon vor der Coronakrise Millionen für die gutachtliche Darstellung günstiger Zukunftsprognosen zur Absicherung der Geschäftsführung verschlungen hat, ist gerade jetzt Gift für die gestressten Unternehmen.
Wenn daher noch größerer Schaden von unserer Wirtschaft abgewendet werden soll, kann der Aufruf an den Gesetzgeber nur lauten, die Möglichkeit der bloßen Zahlungsstockung bei Zahlungsausfällen durch Epidemien klarzustellen und die Überschuldung als Insolvenzgrund abzuschaffen.
Univ.-Prof. Dr. Hubertus Schumacher ist Rechtsanwalt,Professor für Zivilgerichtliches Verfahrensrecht an der Universität Innsbruck und Präsident des Fürstlichen Obersten Gerichtshofs in Liechtenstein.