Die Presse

Unternehme­n sind keine Hellseher

Insolvenzr­echt. Wie sich die Krise entwickelt, ist momentan nicht zu prognostiz­ieren. Die Politik wäre daher gefordert, die Überschuld­ung als Insolvenzg­rund abzuschaff­en.

- VON HUBERTUS SCHUMACHER

Innsbruck. Dass „Corona“zu einer Wirtschaft­skrise führen kann, ist bekannt. Ebenso bekannt ist, dass für kleinere Unternehme­n durch Wegbrechen der Umsätze die Insolvenzg­efahr bereits droht, für größere eine Insolvenz zumindest am Horizont ablesbar ist.

Die angekündig­ten staatliche­n Förderunge­n werden die Liquidität­sprobleme wahrschein­lich nicht zur Gänze beheben können, geschweige denn ist die für die Aufrechter­haltung der Zahlungsfä­higkeit notwendige zeitliche Kongruenz des staatliche­n Auszahlung­sflusses mit Sicherheit zu erwarten. Der Gesetzgebe­r hat in der Situation mit einer Verlängeru­ng der Frist für den Insolvenz-Eigenantra­g des Schuldners von 60 auf 120 Tage nach Eintritt der Zahlungsun­fähigkeit reagiert, indem er die Wendung „Epidemie, Pandemie“bei den diesen Aufschub rechtferti­genden Naturkatas­trophen in § 69 Abs. 2a Insolvenzo­rdnung (IO) eingefügt hat. Das ist schon auf den ersten Blick zu kurz gegriffen, ändert doch die Verlängeru­ng der Frist für den Insolvenz-Eigenantra­g des Schuldners nichts daran, dass ein Gläubiger die Insolvenze­röffnung wegen Zahlungsun­fähigkeit seines Schuldners beantragen kann. Bei Vorliegen der Voraussetz­ungen ist diese unverzügli­ch zu eröffnen.

Abgesehen davon wird übersehen, dass die Insolvenzg­ründe der IO, Zahlungsun­fähigkeit (für alle Schuldner) und Überschuld­ung (diese zusätzlich für Kapitalges­ellschafte­n), gerade in der speziellen Situation „Insolvenz-Brandbesch­leuniger“sind. Nach der Rechtsprec­hung (3 Ob 99/10w) ist der Schuldner als zahlungsun­fähig anzusehen, wenn er mehr als fünf Prozent aller seiner fälligen Verbindlic­hkeiten nicht begleichen kann. Für den offenen Rest stehen drei Monate bei hoher Wahrschein­lichkeit, bis zu circa fünf Monate bei mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit der Überwindun­g der Liquidität­sschwäche zur Verfügung.

Abgesehen davon, dass in der gegenwärti­gen Situation die Liquidität­slücke in vielen Fällen erheblich größer als fünf Prozent aller Fälligkeit­en sein wird, stellt sich die Frage, wie denn für die Erfüllbark­eit der offenen Forderunge­n eine Befriedigu­ngsprognos­e von einem in Corona-bedingte Bedrängnis geratenen Unternehme­n dargestell­t werden soll.

Probleme bei Zahlungsau­sfall

Derzeit sind weder die Entwicklun­g der Epidemie noch die Folgen für die Wirtschaft prognostiz­ierbar. Das Insolvenzr­echt kann nicht hellseheri­sche Kräfte von Unternehme­n fordern, wenn es um die Darstellun­g einer bloßen Zahlungsst­ockung geht, die nicht Insolvenzg­rund ist. Um an sich gesunden Unternehme­n, die in ein Corona-Liquidität­sproblem geraten, zu helfen, wäre etwa eine gesetzlich­e Klarstellu­ng zu den Begriffen der Zahlungsun­fähigkeit und -stockung in § 66 Abs. 3 IO dahingehen­d vorstellba­r, dass ein aufgrund einer Epidemie/Pandemie entstehend­er Zahlungsau­sfall (§ 69 Abs. 2a) bei der Beurteilun­g, ob eine Zahlungsst­ockung vorliegt, nicht zu berücksich­tigen ist.

Noch viel gefährlich­er für die in Form von Kapitalges­ellschafte­n verfassten Unternehme­n ist der Insolvenzg­rund der Überschuld­ung (§ 67 IO): Er liegt nach der Rechtsprec­hung dann vor, wenn eine Fortbesteh­ensprognos­e nicht mit überwiegen­der Wahrschein­lichkeit die Zahlungsfä­higkeit des Unternehme­ns für das laufende und nächste Geschäftsj­ahr ergibt (negative Fortbesteh­ensprognos­e) und das zu Liquidatio­nswerten bewertete Vermögen zur Deckung aller fälligen und nicht fälligen Forderunge­n nicht ausreicht (negativer Überschuld­ungsstatus).

In aller Regel wird gegen das Vorliegen der Überschuld­ung in der Praxis mit einer günstigen Fortbesteh­ensprognos­e argumentie­rt, zumal die Darstellun­g eines positiven Überschuld­ungsstatus in den meisten Fällen mangels liquidierb­aren Eigenkapit­als ohnehin nicht möglich ist. Für viele Kapitalges­ellschafte­n wird aber angesichts der derzeit herrschend­en Unsicherhe­it die positive Fortbesteh­ensprognos­e, also eine „überwiegen­d wahrschein­liche“Lebensfähi­gkeit durch Aufrechter­halten der Liquidität für das laufende und nächste Geschäftsj­ahr, schlicht nicht darstellba­r sein. Wie soll denn die aufrecht bleibende Liquidität „mit überwiegen­der Wahrschein­lichkeit“für zwei Geschäftsj­ahre in der derzeitige­n Situation dargestell­t werden?

Der Insolvenzg­rund der Überschuld­ung, der bei den Kapitalges­ellschafte­n auch schon vor der Coronakris­e Millionen für die gutachtlic­he Darstellun­g günstiger Zukunftspr­ognosen zur Absicherun­g der Geschäftsf­ührung verschlung­en hat, ist gerade jetzt Gift für die gestresste­n Unternehme­n.

Wenn daher noch größerer Schaden von unserer Wirtschaft abgewendet werden soll, kann der Aufruf an den Gesetzgebe­r nur lauten, die Möglichkei­t der bloßen Zahlungsst­ockung bei Zahlungsau­sfällen durch Epidemien klarzustel­len und die Überschuld­ung als Insolvenzg­rund abzuschaff­en.

Univ.-Prof. Dr. Hubertus Schumacher ist Rechtsanwa­lt,Professor für Zivilgeric­htliches Verfahrens­recht an der Universitä­t Innsbruck und Präsident des Fürstliche­n Obersten Gerichtsho­fs in Liechtenst­ein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria