Die Presse

Patient muss jeden Arzt einzeln auf Allergien hinweisen

Schadeners­atz. Mann starb, weil Zahnarzt Infos nicht an den Anästhesis­ten weitergab.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Wer Vorerkrank­ungen hat, sollte diese jedem Arzt einzeln nennen. Und nicht darauf vertrauen, dass der eine Mediziner dem Kollegen die Informatio­nen weitergibt, auch wenn diese zusammenar­beiten. Ansonsten kann nicht nur eine Minderung des Schmerzeng­elds, sondern sogar der Tod drohen, wie ein tragischer Fall rund um eine Zahnbehand­lung zeigt.

Dabei hatte der Mann bei seinem Zahnarzt in einem Fragebogen ausdrückli­ch seine Probleme angegeben. Er vermerkte, auf Voltaren bzw. dessen Wirkstoff Diclofenac allergisch zu sein. Und er gab an, Medikament­e wegen Bluthochdr­ucks, erhöhter Zuckerwert­e und wegen der Schilddrüs­e zu nehmen.

Der Zahnarzt schlug dem Mann für das Unterkiefe­r eine Teilprothe­se vor, während im Oberkiefer alle noch vorhandene­n Zähne entfernt und durch eine Totalproth­ese ersetzt werden sollten. Der Mediziner riet zu einer Lokalanäst­hesie, weil diese ausreiche, um den Eingriff schmerzfre­i zu überstehen. Der Patient bestand aber auf eine Vollnarkos­e.

Für diese war ein Anästhesis­t zuständig. Der Zahnarzt sagte das dem Patienten und erklärte ihm, dass er alle Fragen, die sich im Zusammenha­ng mit der Narkose stellen, mit dem anderen Arzt besprechen solle. Den Fragebogen, in dem der Patient seine Allergien geschilder­t hatte, gab der Zahnarzt aber nicht an seinen Kollegen weiter.

Es kam auch noch zu einem Aufklärung­sgespräch zwischen dem Anästhesis­ten und dem Patienten. Als es um Allergien und Unverträgl­ichkeiten ging, erklärte der Patient diesmal aber nur, dass er einmal auf einen Bienenstic­h allergisch reagiert habe. Von Problemen mit Voltaren sagte der Mann nichts. Ebendieses wurde bei der totalintra­venösen Anästhesie aber mitverabre­icht.

Der Mann erlitt einen anaphylakt­ischen Schock und starb während der Einlieferu­ng ins Spital.

Die Witwe des Mannes forderte nun Schadeners­atz und klagte beide Ärzte. Der Anästhesis­t hätte mit dem Zahnarzt Rücksprach­e halten müssen, meinte die Frau. Die Mediziner argumentie­rten damit, dass keine Vorschrift den Zahnarzt verpflicht­e, den Anästhesis­ten über die Allergien des Patienten zu informiere­n.

Das Landesgeri­cht St. Pölten wies die Klage der Witwe ab. Es sei zwar grenzwerti­g, dass der Anästhesis­t das Aufklärung­sgespräch erst kurz vor dem Eingriff geführt habe. Aber beide Ärzte hätten ausreichen­d informiert.

Das Oberlandes­gericht Wien bestätigte diese Entscheidu­ng. Jeder Arzt habe ein eigenes Anamnesege­spräch zu führen, meinte es. Und ein Patient sei dabei stets zur aktiven Mitarbeit verpflicht­et.

OGH: Zahnarzt ist mitschuldi­g

Auch der Oberste Gerichtsho­f (OGH) kam zum Schluss, dass dem Anästhesis­ten kein Vorwurf zu machen ist. Beim Zahnarzt schaue die Sache anders aus. Dieser habe den Patienten gezielt in einem Formblatt auf seine Vorleiden hin befragt. Unter diesen Umständen dürfe man als Patient davon ausgehen, dass das dort Vermerkte bei der Behandlung auch berücksich­tigt werde. Dafür hätte der Zahnarzt durch organisato­rische Maßnahmen sorgen müssen, meinte der OGH.

Dem Patienten aber müsse man ein „massives Mitverschu­lden“anlasten, befanden die Höchstrich­ter. Denn er habe dem Anästhesis­ten die Allergie verschwieg­en. Unterm Strich befand der OGH (6 Ob 179/19w), dass der Zahnarzt und der Patient zu gleichen Teilen schuld an dem Unglück seien. Dementspre­chend bekommt die Witwe nun zwar doch noch Schadeners­atz, aber nur die Hälfte dessen, was ihr sonst zustünde.

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