Im Sport lebt Weißrusslands Scheinwelt weiter
Staatssache. Die weißrussische Fußballliga läuft als einzige in Europa, Präsident Lukaschenko spielt demonstrativ Eishockey. „Schockierend“findet das ÖFB-Legionär Darko Bodul, doch ganz lasse sich die Bevölkerung nicht täuschen.
Minsk/Wien. Weißrussland hält eisern an seiner Ausnahmestellung in der ansonsten ruhenden Sportwelt fest. Am Wochenende fand plangemäß die zweite Runde der Fußballmeisterschaft statt. „Mit dieser Psychose haben wir die Wirtschaft fast auf der ganzen Welt zum Stillstand gebracht“, kritisierte Präsident Alexander Lukaschenko die in anderen Ländern gesetzten Coronamaßnahmen.
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, warf sich der autokratische Staatschef am Samstag für ein Showmatch selbst in Eishockeymontur – die offizielle PuckLiga des Landes geht ohne Unterbrechung in ihr Finale. Die Gefahr einer Ansteckung redete der 65-Jährige neuerlich klein: „Das ist ein Kühlschrank. (...) Sport, besonders Eissport, ist die beste Antivirenmedizin.“Er habe nicht bemerkt, dass Viren herumfliegen.
Anders ist die Stimmungslage bei Darko Bodul. Der ÖFB-Legionär erreichte am Samstag mit Schachzjor Salihorsk einen 2:0-Auswärtssieg bei FK Gorodeja, zum Feiern dürfte ihm angesichts der derzeitigen Umstände aber nicht sein. „Es ist schockierend. Wir Spieler und alle Menschen, die in Weißrussland die Nachrichten verfolgen, wissen, was in Europa los ist. Aber wir können es nicht ändern“, erklärte der 31-Jährige unter der Woche in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“.
Bodul wuchs in Wien auf, wurde im Nachwuchs von Heerenveen und Ajax Amsterdam (ein Profieinsatz) ausgebildet und spielte für Sturm Graz (2011 bis 2013) und Altach (2015). Nach Engagements bei den russischen Klubs Perm und Krasnojarsk heuerte er 2019 bei Salihorsk an. Seither hat der Offensivmann auch das Gehabe von Lukaschenko, der als letzter Diktator Europas gilt, kennengelernt. „Er spielt gerne den Big Boss“, so Bodul. Trotzdem sei mehr Vorsicht bei der Bevölkerung zu bemerken „Es sind auch ohne Maßnahmen der Regierung viel weniger Menschen als sonst unterwegs. Alte sehe ich überhaupt keine mehr.“Er selbst kann durch die Reiserestriktionen Frau und Sohn, die in Amsterdam leben, nicht sehen. „Das ist sehr hart für mich.“
Milliardenverlust der Topligen
Europas Topligen droht indes durch die Pause der Verlust astronomischer Summen. Über sieben Milliarden Euro sollten die Erstligisten aus England, Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien in der laufenden Saison aus TV-Geldern lukrieren. Ohne die voll ausbezahlten Prämien droht etlichen Klubs die Existenzkrise. Diese Abhängigkeit sorgte auch dafür, dass in der italienischen Serie A noch gespielt wurde, als sich das Ausmaß der Corona-Krise längst abzeichnete. Weil die Ligen nicht mit Großzügigkeit der ebenfalls betroffenen TV-Anstalten rechnen dürfen, drängen sie darauf, den Betrieb so bald wie möglich mit Geisterspielen wieder aufzunehmen. Andernfalls müssten etwa die Klubs der Premier League Berechnungen zufolge 853 Millionen Euro zurückzahlen.
Die Verschiebung der EMEndrunde auf 2021 hat Zeit verschafft, jedoch begrenzt. Für UefaPräsident Aleksander Cˇeferin liegt die Deadline für die Fortsetzung des Spielbetriebs bei Ende Juni. „Wir könnten Mitte Mai, Anfang Juni oder Ende Juni starten. Wenn wir nichts davon schaffen, bringen wir die Saison wahrscheinlich nicht zu Ende.“(red.)