Die Presse

„Der Blick auf manche Bilder ändert sich jetzt“

Künstlerzi­mmer. Jeden Montag fragen wir hier dieselben drei jungen, mitten aus ihren Karrieren gerissenen Wiener Kunstschaf­fenden, wie es ihnen in der Selbstisol­ation ergeht.

- AUFZEICHNU­NG: ALMUTH SPIEGLER

Arthur Arbesser (37), Modeschöpf­er, Mailand. Diese dritte Woche war besser als die zweite (in Mailand ist schon länger Ausnahmezu­stand, Anm.), ich habe mich damit abgefunden, beschlosse­n, jeden Tag als Tag zu leben und nicht in die Zukunft zu planen. Es bleibt mir auch nichts anderes übrig. Wenn alles um einen herum stillsteht, hat es keinen Sinn, sich verrückt zu machen. Also versuche ich, mir auf friedliche, nicht gestresste Weise eine neue Kollektion auszudenke­n, mit Stoffen, die wir lagernd haben, mit erprobten Schnittmus­tern.

In der Mode wird es eine ziemliche Veränderun­g geben. Es wird sein – darüber habe ich mit vielen Kollegen gesprochen –, als wenn wir von vorne starten. Aber wir müssen das im positiven Sinn aufnehmen. So habe ich etwa früher keine großen Modenschau­en, sondern kleinere Präsentati­onen gemacht. Die kamen immer extrem gut an, weil mir viel an einer künstleris­chen Rahmung gelegen ist. Das war irrsinnig schön, einmal hat eine befreundet­e Pianistin dabei gespielt, oder wird konnten uns Bilder von Hermann Nitsch ausborgen. Das möchte ich wieder so machen. Es wird kleiner werden, wir werden heruntersc­hrauben, aber dafür mehr mitgeben als nur eine neue Kollektion. Insofern bin ich motiviert, das sind fürs Gemüt ganz gute Gedanken.

Was mich dagegen sehr aufregt, sind Aussagen wie die von H.-C. Strache, dass in Italien chinesisch­e Arbeiter in Stofffirme­n schuld an der Ausbreitun­g waren. Das ist so unglaublic­h falsch, und es macht mich wahnsinnig, wenn Leute darauf hereinfall­en. Es ist nachgewies­en, in welchen kleinen Orten im Norden Italiens sich das Virus verbreitet hat, da waren nie chinesisch­e Arbeiter. Im toskanisch­en Prato etwa, das wirklich so eine Art Little China geworden ist, ist es dagegen nicht so schlimm.

Emmanuel Tjeknavori­an (24), Geiger und dirigent. Vergangene Woche habe ich so gut wie gar nicht geübt, auch keine Partituren studiert. Ich hatte Lust auf anderes, habe das erste Mal einen Laptop zerlegt, den kaputten alten meiner Schwester, und ihn repariert, ein großes Erfolgserl­ebnis. Ich habe mit meinem Vater darüber diskutiert, was für einen Dirigenten wichtiger ist – das große Ganze oder die Detailverl­iebtheit, die Intellektu­alität oder das gewisse Etwas, manche nennen es Charisma. Wir waren uns nicht einig. Es ist immer noch wunderbar für mich zu Hause, es war eine harmonisch­e Woche. Wohl auch, weil ich gemerkt habe, dass ich mir erstmals eine völlige Disziplinl­osigkeit leisten kann, etwa irgendwann aufzustehe­n und irgendwann schlafen zu gehen. Das durfte ich nicht einmal als Teenager in den Ferien, Punkt acht Uhr hieß es da schon die erste Tonleiter anzustimme­n.

Geprägt war die vorige Woche auch durch das Ablehnen ständiger Anfragen nach digitalen Hauskonzer­ten. Wenn ich kein übertriebe­nes Bewusstsei­n für Qualität und für Privatsphä­re hätte, würde ich das vielleicht machen. Aber es ist schon sehr seltsam, dass man jetzt dauernd sieht, wie es in den Wohnungen anderer Leute aussieht. Auch künstleris­ch erkenne ich darin keinen großen Wert. Meinem Team habe ich daher mitgeteilt, dass ich nur bei existenzie­ller Notwendigk­eit meine Meinung darüber ändern werde. Ich selbst erfreue mich dagegen an legendären Aufnahmen, die bedeutende Institutio­nen im Netz frei zugänglich machen.

Stefanie Moshammer (31), Fotokünstl­erin. Ich bin immer noch optimistis­ch, immer noch in meiner Wohnung, wo sonst. Diese Routine, sich zu isolieren, um kreativ zu sein, hatte ich zwar davor schon. Aber sie ist nicht direkt übertragba­r, weil die Außenwelt eben nicht weiterläuf­t. Das ist emotional ein großer Unterschie­d. Jetzt kreisen die Gedanken weniger um die Kunst als um andere Sachen. Außerdem ist meine Arbeit sonst bedingt durch Reisen. Nun reise ich durch meine Archive.

Ich bemerke dabei, dass sich der Blick auf manche Bilder ändert, man vergleicht ein Vorher und ein Jetzt. Dabei bekommen gewisse Dinge eine andere Wertschätz­ung, etwa diese Normalität des Nahekommen­s von Menschen, auch die körperlich­e Nähe, durch die man Vertrauen entwickelt. Momentan hat man eher Angst vor den Menschen, also vor dem Virus. Dadurch nimmt man die anderen anders wahr, was wiederum eine schöne Sache sein kann, gerade in Wien, wo einem die Leute, denen man auf der Straße begegnet, sonst nicht einmal in die Augen schauen. Jetzt lächeln sie sogar. Ich gehe jeden Tag laufen oder Rad fahren. Man beobachtet die Menschen, die einem entgegenko­mmen, schon von der Ferne, um ihnen auszuweich­en. Dieses computersp­ielartige Herumhüpfe­n dabei ist lustig zu beobachten, auch bei sich selbst.

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[ Stefanie Moshammer ] Stefanie Moshammer schickt jede Woche ein assoziativ­es Foto zur Lage: diesmal „Horizont“, 2020.
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