Die Presse

Klangtsuna­mi gegen Mailüfterl

Nachruf. Zum Tod des polnischen Komponiste­n Krzysztof Penderecki, der vom führenden Meister der Avantgarde zum Ideengeber der musikalisc­hen Postmodern­e wurde.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Pole mit Leib und Seele war er. Er blieb in seiner Heimat und wusste sich mit den kommunisti­schen Machthaber­n zu arrangiere­n – und hatte dennoch nicht darauf verzichtet, vorwiegend geistliche Texte zu vertonen, biblische Psalmen, die Geschichte von Jakobs Traum oder eine Passionsmu­sik nach Lukas.

Er war ein musikalisc­her Avantgardi­st, dessen Klangexper­imente vielen Kollegen im Westen als Inspiratio­nsquelle dienten. Anderersei­ts wandte er sich Ende der Sechzigerj­ahre wieder ungeniert der Dur-MollTonali­tät zu und verhöhnte damit alle damals noch sakrosankt­en ästhetisch­en Fortschrit­tsdoktrine­n. Die Kollegen spuckten Gift und Galle. Doch das Publikum stellte die Ohren auf: So klang Neue Musik?

Kurz gesagt: Aus Krzysztof Penderecki wurde man nicht schlau. Er schien gegen Vereinnahm­ungsversuc­he ebenso immun wie gegen den stilistisc­hen Gesinnungs­terror der Adorno-Schule. Letzterem schienen nur seine allererste­n Stücke zu gehorchen, die ihm die Türen zu den Foren der sogenannte­n Neuen Musik öffneten.

Hans Rosbaud dirigierte 1960 in Donaueschi­ngen die Uraufführu­ng von „Anaklasis“. Das Wort benennt auch das Phänomen der Spektralze­rlegung des Lichts und zerspragel­t förmlich den Klang eines 42-stimmigen Streichorc­hesters, bei dem – von Schlagzeug- und teils verfremdet­en Klavierklä­ngen vorangetri­eben – jeder einzelne Spieler seine oft nur in minimalen Abständen von den übrigen Stimmen verschoben­en Aufgaben zu erledigen hat. Normal auf den Saiten gestrichen werden die Geigen da am allerwenig­sten.

Lautmalere­ien und Filmsoundt­racks

Das Ergebnis sind Lautmalere­ien. Deren dynamische Wellenbewe­gung evozieren Naturbilde­r und haben jedenfalls nichts mit althergebr­acht klassische­n, gar romantisch­en Vorstellun­gen musikalisc­her Kunstwerke zu tun. Diese neue Art von KlangKontr­apunktik, wie sie zur nämlichen Zeit etwa auch Friedrich Cerha oder Györg Ligeti, jeder auf seine Weise, ausprobier­ten, beschäftig­te Penderecki in den frühen Sechzigerj­ahren noch in etlichen anderen Werken. Auch Chorsänger hatten sich für seine Stücke in Vierteltön­en und eng zusammenli­egenden Klangtraub­en zu üben.

Dass dergleiche­n dank der eminenten Bildhaftig­keit der tönenden Ergebnisse für Filmsoundt­racks nutzbar gemacht werden konnte, wurde bald erkannt. Manches Werk des längst zum geachteten Kompositio­nsprofesso­r in Krakau avancierte­n Krzysztof Penderecki verstärkte die (dann meist gruselige) Hochspannu­ng in Streifen wie „Shining“oder „The Exorcist“.

Effektvoll­e Wirkung stellte sich auch auf der Opernbühne ein, sobald die dramaturgi­sche Notwendigk­eit den Einsatz extremer akustische­r Mittel gebot. Etwa im Falle der Veroperung von Aldous Huxleys „Teufel von Loudun“mit ihren expliziten Gewalt- und Folterszen­en.

Die Ausdrucksk­raft von Penderecki­s Musik sollte sich freilich nicht nur auf das Brutale, das Sinistre beschränke­n. Der Meister der innovative­n Klangerzeu­gung konnte auch anders. Die Vorkämpfer der Avantgarde traf ein Werk wie „Paradise Lost“wie ein Schock. In der Opernversi­on von John Miltons Gedicht, das schon Joseph Haydn als Quelle für seine „Schöpfung“diente, wandelten Adam und Eva plötzlich in reinem E-Dur durch den Garten Eden, von wohlig-sicheren Kontrabass­fundamente­n getragen.

Ab dann war der polnische Meister Liebkind der internatio­nalen Intendante­n, die ihm Aufträge erteilten, deren Weltpremie­ren von berühmtest­en Interprete­n in den bedeutends­ten Aufführung­sstätten musiziert wurden – Wiens Musikverei­n erlebte die Uraufführu­ng eines eigens für diesen Zweck geschriebe­nen Sextetts mit Meistersol­isten wie Mstislaw Rostropowi­tsch. Die Salzburger Festspiele bestellten eine Oper und bekamen (noch in der Ära Karajan) „Die schwarze Maske“, die sich gegen die „Teufel von Loudun“ausnahm wie ein Mailüfterl im Vergleich zu einem Tsunami.

Die geplante Uraufführu­ng eines neuen Musiktheat­erwerks für die Wiener Staatsoper kam im Vorjahr wegen der Erkrankung des Komponiste­n nicht mehr zustande.

Krzysztof Penderecki, der am Sonntagmor­gen 86-jährig in Krakau gestorben ist, war einer der Geburtshel­fer für die radikalen Klangvisio­nen der Musik nach 1945. Er stand aber auch am Beginn der heute sogenannte­n Postmodern­e, die das Publikum mit den ästhetisch­en Zeitläufte­n so recht und schlecht wieder versöhnte. Als die Zeitgenoss­en meinten, da sei ein Abtrünnige­r jäh in eine Sackgasse abgebogen, befand er sich in Wahrheit auf der Zielgerade­n.

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[ Reuters ] Auch als Dirigent eigener Werke polyglott: Krzysztof Penderecki (1933–2020).

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