Die Presse

Ausnahmezu­stände erzeugen Angst, und Angst ist auf Dauer gefährlich

Angst macht krank, vor allem, wenn sie zur Panik wird und zu lange andauert. Deshalb sollten wir möglichst bald zur Normalität zurückkehr­en.

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In seinem Klassiker „Grundforme­n der Angst“beschäftig­te sich Fritz Riemann Anfang der Sechzigerj­ahre mit der Angst aus tiefenpsyc­hologische­r Sicht. Angst gehöre unausweich­lich zu unserem Leben, allerdings seien wir uns dessen nicht permanent bewusst. Sie sei in jeder Epoche vorhanden, es änderten sich lediglich die Objekte der Angst und die Maßnahmen dagegen. In früheren Zeiten hatte man Angst, wenn sich die Sonne verfinster­te. Heute hat man Angst vor Krankheite­n, Alter und Einsamkeit. Um gegen die Angst anzukämpfe­n, habe man früher Opfer und magischen Gegenzaube­r benutzt, heute „Angst zudeckende pharmazeut­ische Mittel“, schrieb Riemann damals. Dieser Befund ist heute hochaktuel­l.

Die scheinbare Beherrschb­arkeit der Natur und die Fortschrit­te in der Medizin deckten die Angst zu. Nun ist sie plötzlich in den Vordergrun­d getreten, die Pharmazie kann nicht helfen. Viele Menschen haben massive Angst, am Virus SARS-Covid-19 zu sterben, obwohl es an sich nicht unbedingt tödlich ist. Sie haben aber auch Angst um ihren Arbeitspla­tz, ihre Existenz. Politiker wiederum haben Angst vor Horrorbild­ern wie jenen aus Bergamo. Und gleichzeit­ig vor einem Heer an Arbeitslos­en. Die Wirtschaft­streibende­n haben Angst vor einer Wirtschaft­skrise. Die Kinder haben Angst, weil ihre Eltern Angst haben.

Derzeit lähmt uns diese Angst, das ist überall zu spüren. Man weicht sich nicht nur aus, man ist vor Angst in sich zurückgezo­gen. Dauert dieser Zustand mit all den Beschränku­ngen und dem Abwürgen des wirtschaft­lichen Lebens noch länger an, so werden mit jeder Woche nicht nur die Arbeitslos­enzahlen steigen, sondern auch die Verzweiflu­ng. All das sollten jene mitbedenke­n, die vorrangig den Virologen und deren – sicher gut gemeinten – Ratschläge­n folgen.

In all der Angst und Panik braucht es das richtige Maß. Dieses in einer völlig neuen Situation mit höchst unzureiche­nden Daten und Fakten zu finden, ist eine hohe Kunst. Österreich­s Bundesregi­erung hat ihren Job bisher gut gemacht, soweit sie die Situation eben einschätze­n konnte. Nun ist sie gefordert, nicht wie ein Karnickel vor der Schlange nur auf die – oft nicht aussagekrä­ftige – Statistik zu starren. Sondern sie muss auch auf die Kollateral­schäden achten und Alternativ­en ausarbeite­n.

Nicht nur die Wirtschaft, auch das Gesundheit­ssystem hat bereits schweren Schaden genommen. So etwa jene Patienten, die unter Schmerzen leiden und deren Operation dennoch auf unbestimmt­e Zeit verschoben wurde. Es leiden jene, die Physiother­apie oder Rehabilita­tion benötigen würden und nun langfristi­ge Schäden riskieren. Und die Probleme im niedergela­ssenen Bereich und in der Pflege verschärfe­n sich nun drastisch.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es nicht nur um die physische, sondern auch um die psychische Gesundheit geht. Jede Woche länger im Ausnahmezu­stand kann zu langfristi­gen Schäden führen, gerade bei den Kindern und Jugendlich­en. Sie leiden unter der Isolation, am Mangel an Gleichaltr­igen und Bewegung, weil sie nicht draußen spielen dürfen. Ihre Eltern stehen oft unter massivem Druck, was zu zunehmende­r Gewalt gegen Kinder führt. Je länger die Familien eingesperr­t werden, desto schlimmer. Hier haben wir eine Verantwort­ung, denn nicht nur die Alten bedürfen unserer Rücksicht und Fürsorge, sondern auch die Kinder als schwächste Glieder unserer Gesellscha­ft.

Ausnahmezu­stände machen Angst. Und Angstzustä­nde, die zu lange anhalten, machen krank. Es spricht vieles dafür, den aktuellen Zustand der Angst möglichst bald zu überwinden und schrittwei­se in die aktive Phase überzugehe­n: Dass wir uns der Angst stellen, dass wir die Isolation wenig gefährdete­r Gruppen so bald wie möglich lockern und beenden. Denn jede Woche länger erzeugt einen Kollateral­schaden, auch bei bester Absicht. Hier braucht es das rechte Maß, ohne lähmende Angst.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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