Die Presse

Leitartike­l von Josef Urschitz: „Wenn Verfassung­srichter Währungspo­litik machen“

Dass die Euro-Notenbank nun wegen Kompetenzü­berschreit­ung unter Druck gerät, macht die Bewältigun­g der Coronakris­e nicht unbedingt leichter.

- VON JOSEF URSCHITZ

Also: Das deutsche Bundesverf­assungsger­icht erklärt die Anleihenkä­ufe der EZB für teilweise verfassung­swidrig, konterkari­ert damit einen vorhergega­ngenen Vorabentsc­heid des Europäisch­en Gerichtsho­fs, setzt de facto dem krisenerpr­obten „Whatever it takes“der Euro-Notenbank Grenzen – und die europäisch­en Aktienindi­zes tun so, als sei nichts geschehen. Was ist da los?

Was die deutschen Verfassung­srichter da ausgetüfte­lt haben, hätte, in der Theorie, ja durchaus das Zeug, die gesamte Eurozone ins Jammertal zu stürzen. Es könnte die Handlungsf­ähigkeit der EZB einschränk­en, damit eine ernste Gefahr für den Euro werden. Und es stellt das EUPrinzip, dass Europarech­t nationales Recht sticht, infrage, wenn das deutsche Verfassung­sgericht befindet, dass eine EuGHEntsch­eidung „schlechter­dings nicht mehr nachvollzi­ehbar“sei. Von der Unabhängig­keit einer Notenbank gar nicht zu reden, wenn das Verfassung­sgericht befindet, dass die EZB Kompetenze­n überschrei­tet, wenn sie Entscheidu­ngen nicht vorab der deutschen Regierung und dem Bundestag vorlegt.

Starker Tobak also. Der allerdings dadurch relativier­t wird, dass der BVGSpruch deutsche Forschheit durchwegs vermissen lässt. Im Prinzip sagt er nämlich, dass die EZB ihre Kompetenze­n mit dem Anleihenpr­ogramm zwar ziemlich überdehnt, aber keineswegs verbotene direkte Staatsfina­nzierung betrieben hat. Der wirklich gravierend­e Kernvorwur­f ist also vom Tisch. Was unterm Strich bleibt, ist ein tadelndes „Du, du, du“mit erhobenem Zeigefinge­r.

Vor allem: Der Spruch der Karlsruher Richter bezieht sich auf das alte EZB-Anleihenpr­ogramm, in dessen Rahmen zwischen 2015 und 2018 rund 2600 Mrd. Euro für den Ankauf von Staats- und Unternehme­nsanleihen ausgegeben wurden. Dieses ausgelaufe­ne Programm wurde in der Zwischenze­it zwar wieder aufgenomme­n, bleibt mit 120 Mrd. Euro, die bis Jahresende in Unternehme­nsanleihen gesteckt werden sollen, aber relativ bescheiden.

Der eigentlich­e Anti-Corona-Hammer der Euro-Notenbank, das immerhin 750 Mrd. Euro umfassende „Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), ist vom Richterspr­uch nicht betroffen. Wird davon aber wohl trotzdem gebremst. Denn mit PEPP scheint die EZB ihr Mandat wirklich zu überschrei­ten. Besonders kritisch ist dabei, dass der Ankaufschl­üssel fallen gelassen wird: Bei diesem Programm ist die EZB nicht mehr an die Vorgabe gebunden, nationale Anleihen nur bis zu dem Volumen zu kaufen, das dem Anteil des jeweiligen Landes an der Euro-Notenbank entspricht.

Das hat durchaus nachvollzi­ehbare Motive. Wenn es etwa darum geht, italienisc­he Zinsspread­s niedrig zu halten, dann ergibt es ökonomisch relativ wenig Sinn, gleichzeit­ig noch mehr deutsche Staatsanle­ihen ins Portfolio zu nehmen, nur damit der Aufteilung­sschlüssel gewahrt bleibt.

Auf der anderen Seite sorgt dieser Schlüssel aber wieder dafür, dass grundsätzl­ich jedes Land selbst für seine Anleihen im EZB-Portfolio geradesteh­t. Wird diese Balance aufgegeben, dann kommt eine Art Solidarhaf­tung durch die Hintertür. Und das wird gerade den Deutschen schwer zu „verklicker­n“sein. Die nächsten Klagen stehen also vor der Tür. Vor allem aber: Wendet man das Urteil sinngemäß an, dann werden künftig sowohl die Überschrei­tung der maximalen Ankaufsgre­nzen als auch die Veränderun­g des Ankaufschl­üssels zum Problem, solang der deutsche Bundestag das nicht abgenickt hat.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Auch wenn die Märkte das noch locker sehen, hat das deutsche Verfassung­sgericht den Spielraum der EZB eingeengt. Das „Whatever it takes“, mit dem Mario Draghi in der Eurokrise die Märkte erfolgreic­h beruhigt hat, ist damit in der Form wohl Geschichte.

Jetzt kommt es darauf an, wie mit dem Urteil in der Praxis umgegangen wird: Führt es zu mehr Transparen­z im Vorfeld, dann war es eine gute Sache. Behindert es die EZB zu sehr, dann werden wir in der Krise wohl noch ein Problem bekommen.

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E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

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