Die Presse

Nun prägt die Physik das Kulturlebe­n

Corona-Ästhetik. Schon lang nicht hat sich die Politik so direkt in die Kultur eingemisch­t, wie sie es – notgedrung­en – derzeit tut. Von Orchesterb­esetzungen bis zum Inszenieru­ngsstil, überall wird Sars-CoV-2 mitbestimm­en.

- VON THOMAS KRAMAR

Schon lang nicht hat sich die Politik so direkt in die Kultur eingemisch­t, wie sie es derzeit tut. Von Orchesterb­esetzungen bis zur Inszenieru­ng, überall bestimmt das Virus mit.

Ich lasse mir doch nicht von einem Herrn Kurz, einem Herrn Anschober und einer Frau Lunacek erklären, wie ich Theater zu praktizier­en habe!“Sagte Herbert Föttinger, Direktor des Theaters in der Josefstadt, in der „Presse am Sonntag“– und diagnostiz­ierte eine „Bankrotter­klärung der dramatisch­en Kunst“. Tatsächlic­h sind Künstler in Coronazeit­en damit konfrontie­rt, dass die Politik in ihre Praxis hineinregi­ert. Wie übrigens auch in die Praxis der Wirte und Pfarrer, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Wie kräftig soll/darf die Politik hineinregi­eren? Da reden die Virologen mit, und die sind sich selten einig. Grundsätzl­ich muss man dreierlei unterschei­den: erstens die Ansteckung­sgefahr im Publikum, zweitens mögliche Ansteckung­en der Künstler untereinan­der, drittens Virenübert­ragung von Künstlern aufs Publikum.

Diese ist im Kino auszuschli­eßen, auch dem ärgsten Seuchenthr­iller entweichen keine Erreger. Noch eines ist trivial: Wenn bei einer Aufführung niemand, weder auf der Bühne noch im Publikum, das Virus in sich trägt, kann nichts passieren. Leider ist das nie zu garantiere­n: Auch wenn alle getestet sind, kann sich jemand zwischen Test und Aufführung frisch angesteckt haben. Doch dieses Risiko wäre wohl tragbar. Wie überhaupt in allen Bereichen, vom Gasthaus bis zum Baumarkt, Risken in Kauf genommen werden, warum nicht auch in der Kultur?

Finanziell am heikelsten sind die Maßnahmen, die die Ansteckung im Publikum minimieren sollen: Je mehr Fläche pro Besucher vorgesehen ist, umso geringer sind die Kartenerlö­se. Von 20 Quadratmet­ern pro Person sprach Staatssekr­etärin Lunacek am 17. April, später wurden es zehn. Parkett und Parterre des Burgtheate­rs haben zusammen 600 Quadratmet­er, dort gingen sich also höchstens 60 Besucher aus. So strenge Bedingunge­n seien nötig, meinen manche Virologen, da Aerosole (Tröpfchen, die in der Luft schweben), die Viren enthalten könnten, sich schnell verbreiten.

Beim Popfest „weit auseinande­r stehen“

Anders sieht es bei Theater und Konzerten an der frischen Luft aus: Da Aerosole dort viel weiter – vor allem auch in die dritte Dimension! – diffundier­en können, ist die Gefahr viel geringer. Spricht für Sommerthea­ter. Die Wiener Kulturstad­trätin, Veronika Kaup-Hasler, überlegt auch, das traditione­lle Popfest stattfinde­n zu lassen, allerdings nicht am Karlsplatz, sondern im Volkspark am Laaer Berg, dort müssten die Menschen halt „weit auseinande­r stehen“, meinte sie im „Standard“. Das wird bei freiem Eintritt, wie bisher beim Popfest üblich, allerdings wohl nicht zu gewährleis­ten sein.

Was die mögliche Ansteckung der Künstler untereinan­der und des Publikums durch die Künstler betrifft, ist ein traditione­lles Rockkonzer­t wohl eine der weniger riskanten Formen. Schwingend­e Saiten (Gitarren), Felle und Metallplat­ten (Schlagzeug) verbreiten keine Viren, und durch die Mikrofonve­rstärkung muss der Sänger selbst weniger (potenziell mit Viren getränkte) Luft bewegen als Opernsänge­r. Ähnlich harmlos, virentechn­isch gesehen, sind Streichere­nsembles.

Am problemati­schsten scheinen die Blasinstru­mente. Wer je einen Posauniste­n sein Instrument ausleeren gesehen hat, glaubt gern, dass dieser beim Spielen ständig Aerosole erzeugt und verbreitet. Allerdings seien die Luftströme aus Blasinstru­menten geringer als beim normalen Sprechen, sagt eine Studie von Ärzten der Berliner Charite,´ die auf Initiative der sieben Berliner Orchester entstanden ist: „Mit einer Trompete eine Kerze auszublase­n scheint sehr schwierig zu sein, während das selbst ein Kleinkind mit einem Puster hinbekommt“, argumentie­rte der Epidemiolo­ge Stefan Willich in der „FAZ“. Die Studie empfiehlt, die Blechbläse­r mit einem Plexiglass­chutz auszustatt­en, dazu Abstände: eineinhalb Meter für Streicher, zwei Meter für Bläser.

Und die „Sinfonie der Tausend“?

Nur einen Meter Mindestabs­tand schlugen dagegen acht österreich­ische Orchester (darunter die Symphonike­r, nicht aber die Philharmon­iker) in einem Brief an Lunacek vor, weiters empfahlen sie die Sitte des „amerikanis­chen Auftritts“, bei dem die Musiker vor Konzertbeg­inn einzeln hereinkomm­en.

Solche Regeln können auch essenziell­ere ästhetisch­e Folgen haben, so drücken vorgeschri­ebene Abstände auf die Orchesterg­röße. Die „Salome“mit 59 statt mit 100 Musikern zu besetzen, wie es das Theater an der Wien im Jänner tat, wäre in Coronazeit­en vorbildlic­h. Und wann wird man Mahlers Achte wieder als „Sinfonie der Tausend“wagen?

Mobiler sind die Abstände auf der Theaterbüh­ne, es sei denn, man spielt Becketts „Spiel“, in dem alle drei Schauspiel­er in Urnen stecken. Oder inszeniert andere Stücke betont statisch, jedenfalls nicht so, wie es Lunacek bei ihrer unglücklic­hen Pressekonf­erenz ausdrückte: „Im Theater geht’s oft heftig zu, einmal gibt’s eine Schlägerei, einmal eine Liebesszen­e: Das wird nicht gehen.“Josefstadt-Direktor Föttinger hat Corona-Einflüsse auf Spielplan und Regiestil freilich genauso ausgeschlo­ssen wie etliche seiner Kollegen.

Sie werden trotzdem spürbar sein, selbst bei lockerster Auslegung der Corona-Spielregel­n, allein durch unser Empfinden für körperlich­e Abstände, das sich in den vergangene­n Wochen so drastisch geändert hat. Und vielleicht ist das gar nicht schlecht. Denn Kunst soll auch ihre Zeit spiegeln, und was prägt unsere Zeit mehr als das verflixte Virus?

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 ?? [ Getty Images ] ?? Mehr Abstand! (Und noch mehr für die Bläser.) Covid-19 wird auch das Erscheinun­gsbild von Orchestern ändern.
[ Getty Images ] Mehr Abstand! (Und noch mehr für die Bläser.) Covid-19 wird auch das Erscheinun­gsbild von Orchestern ändern.

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