Die Presse

Was das Parlament wissen darf

Interview. Trauen sich künftig nur mehr Coronaleug­ner auf Demos? Und war der Nationalra­t viel zu schüchtern? Demokratie­expertin Tamara Ehs erklärt die Nebenwirku­ngen der Epidemie.

- VON ULRIKE WEISER

Wann muss ein Regierungs­mitglied auf Fragen von Abgeordnet­en antworten? Und welche Möglichkei­ten haben Parlamenta­rier, wenn ihnen eine Antwort nicht passt?

Die Presse: Es gibt keine Parteitage, keine Versammlun­gen auf Bezirksebe­ne: Was bedeutet es für Parteien, dass Funktionär­e einander physisch nicht treffen können? Tamara Ehs: Das kommt auf die Partei an. Die Neos, die im Internetze­italter gegründet wurden, tun sich da sicher leichter als die SPÖ, die allein aufgrund ihrer Mitglieder­struktur älter geprägt ist und bei der man sich traditione­ll einmal in der Woche oder im Monat im Sektionslo­kal oder im Hinterzimm­er eines Gasthauses trifft. Die Parteien versuchen natürlich Online-Alternativ­en anzubieten. Allerdings fehlt da aufgrund der Alterskluf­t oft das übliche Publikum.

Könnte es eine Art Corona-Effekt bei den Mitglieder­zahlen geben? Es könnten sich etwa Mitglieder nach ein paar Monaten ohne Partei-Aktivitäte­n denken: So sehr ist mir das gar nicht abgegangen.

Man könnte es auch andersheru­m sehen, nämlich dass die Parteien als einzige handlungsf­ähige Spieler im politische­n System übrig geblieben sind und ihnen dies Zulauf beschert. Die direkte und partizipat­ive Demokratie war ja quasi in Quarantäne. Wenn sich die Zivilgesel­lschaft nicht organisier­en, nicht demonstrie­ren kann, dann bleibt nur die repräsenta­tive Demokratie.

Ist beim zivilgesel­lschaftlic­hen Engagement ein Corona-Effekt denkbar? Sprich: Auch wenn Demos und Treffen wieder möglich sind, traut sich keiner so recht hin?

Ich glaube, derzeit ist die Zivilgesel­lschaft noch in einer Orientieru­ngsphase. Aber es wird in den kommenden Monaten interessan­t sein zu beobachten, wer wieder an Kundgebung­en teilnimmt und welche Themen gesetzt werden. Trauen sich nur die Coronaskep­tiker/-leugner auf die Straße? Oder wird es auch wieder „Fridays for Future“-Proteste geben? Können sich die Zivilgesel­lschaft und die Polizei so organisier­en, dass sie gemeinsam verordnung­skonforme Demonstrat­ionen hinbekomme­n? Oder gehen nur jene auf die Straße, denen es egal ist, wenn ihre Versammlun­g aufgelöst wird? Und: Werden Gruppen wie die „Omas gegen rechts“demonstrie­ren? Immerhin gehören sie zur Risikogrup­pe. Letztlich muss das zwar jede Einzelne für sich entscheide­n, aber es hat schon auch mit der Kommunikat­ion der Regierung zu tun. Wird weiter Angst gemacht, wirkt das demobilisi­erend.

Sie haben vorhin gemeint, dass die Krise die repräsenta­tive Demokratie stärken könnte. Aber das Parlament hat doch eher an Bedeutung verloren, oder?

Krisen sind zwar die Stunde der Exekutive, doch meiner Meinung nach hat der Nationalra­t ohne Not das Ruder aus der Hand gegeben. Es war nicht nötig, so eine Superkonse­ns-Demokratie zu etablieren. Zum Beispiel hätte man den Corona-Ausschuss, der später dann gefordert wurde, schon von Tag eins an einsetzen können. In Neuseeland hat die Premiermin­isterin von Anfang an klarstellt, dass alle Maßnahmen der Regierung von einem Ausschuss (Anm.: Epidemic Response Committee) begleitet werden, der von einem Opposition­ellen geleitet wird. Das hätte auch das österreich­ische Parlament machen können. Man hätte sagen können: Ja, in der Not und in der Eile tragen wir die Maßnahmen mit, aber parallel – und nicht erst im Nachhinein wie in einem Untersuchu­ngsausschu­ss – prüfen wir, auf welchen Grundlagen die Entscheidu­ngen der Regierung basieren. Dieser Ausschuss hätte Einsicht in die Protokolle der Taskforce gefordert, die wir jetzt nur geleakt nachlesen können. Das hätte für mehr Transparen­z gesorgt. Denn in der Krise merkt man auch, dass wir in Österreich noch immer kein hinreichen­des Transparen­z- und Informatio­nsfreiheit­sgesetz haben.

Formal ist so ein begleitend­er Ausschuss ein Unteraussc­huss. Für dessen Einrichtun­g braucht man aber nicht nur eine Mehrheit in einem Ausschuss (z. B. Finanz oder Gesundheit), sondern auch eine Verfassung­sänderung, wie der Parlamenta­rismusexpe­rte Werner Zögernitz meint. Eben weil der Ausschuss ja besondere Rechte (Recht auf Vorlage von Dokumenten, Öffentlich­keit) beanspruch­t. Damit auch in der Krise den Opposition­sparteien ein Mindestabs­tand zur Regierung ermöglicht und ihre Kritik nicht als unzulässig oder gar „lebensgefä­hrlich“gebrandmar­kt wird, wäre solch eine Verfassung­sänderung und eine Allparteie­neinigung auf einen begleitend­en „Corona-Ausschuss“von Vorteil gewesen. Leider gehört es nicht zum Selbstvers­tändnis des Parlaments, dass die Abgeordnet­en der Regierungs­parteien „ihre“Regierung kontrollie­ren.

Kommen wir wieder retour zum öffentlich­en Raum: In der Steiermark und in Wien stehen Wahlen an. Der Wahlkampf wird ohne große Veranstalt­ungen verlaufen, bei der Wahlwerbun­g auf der Straße werden die Politiker vielleicht noch Maske tragen. Wem nutzt, wem schadet so ein Szenario?

Die Parteien werden sich in dieser Situation auf ihre Stammwähle­r und deren Mobilisier­ung konzentrie­ren. Da haben größere, etablierte Parteien natürlich einen Vorteil. Leiden werden vermutlich vor allem jene Parteien, die erst in den Landtag oder Gemeindera­t einziehen wollen. Sie haben keine Daten, keinen Apparat, sie kommen nicht in den medialen Debattenru­nden vor. Sie leben davon, dass sie im Wahlkampf auf der Straße stehen, und müssen ja auch erst Unterstütz­ungserklär­ungen sammeln. In Wien haben die Neos einen Antrag gestellt, dass man eine Unterstütz­ungserklär­ung auch online abgeben kann, aber SPÖ, Grüne und FPÖ waren leider dagegen. Ich fürchte, dass diese erschwerte­n Bedingunge­n zu einer Art Corona-Sperrklaus­el für neue Parteien führen. Das ist demokratie­politisch bedenklich.

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[ Getty Images ] Trauen sich Risikogrup­pen auf Demos? Das hängt auch von den Botschafte­n der Regierung ab.
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[ Beigestell­t ] Tamara Ehs ist Politikwis­senschaftl­erin an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften und arbeitet als Lehrbeauft­ragte an der Universitä­t Wien.

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