Geld zurück oder Gutschein?
Konsumentenschutz. Das geltende Recht ist klar: Bei Absage einer Reise hat der Kunde einen Anspruch auf Rückzahlung des Preises. Mindestens zwölf Mitgliedstaaten bringen ihre Bürger jedoch um dieses Recht. Innerhalb der Kommission herrscht Verwirrung darü
Brüssel. Drei EU-Kommissare widersprachen sich am Mittwoch in der Frage, ob die Mitgliedstaaten Reisende um ihr Recht auf Rückerstattung der Kosten ihrer wegen der Pandemie abgesagten Reisen bringen. Zunächst erklärte Margrethe Vestager, Vizepräsidentin und für Wettbewerbspolitik zuständig, dass die Kommission aus diesem Grund Vertragsverletzungsverfahren gegen ein Dutzend Mitgliedstaaten einleite: „EU-Verbraucher haben ein Recht auf eine Erstattung in bar. Punkt. Mit heutigem Tag werden Briefe an jene Mitgliedstaaten verschickt, welche diese Vorschriften missachten.“
Tags zuvor hatte ein Kommissionsbeamter gegenüber Brüsseler Korrespondenten erklärt, laut Ermittlungen der Kommission würden derzeit zwölf EU-Staaten im Widerspruch zum geltenden Recht Gutscheine anstelle der Rückerstattung der Reisekosten verordnen. Eine unbestimmte weitere Zahl von Staaten würde diese Praxis von Fluggesellschaften und Pauschalreiseunternehmen stillschweigend hinnehmen. Vestager zufolge handle es sich bei diesen Briefen also um jene Aufforderungsschreiben, mit denen die Kommission die Mitgliedstaaten um die Gründe für ihr mutmaßlich rechtswidriges Tun ersucht: der formal erste Schritt eines Prozesses, der vor dem Gerichtshof der EU (EuGH) enden kann.
„Weiß nicht, was die Kollegin sagte“
Doch keine Stunde später konterkarierte Verkehrskommissarin Adina Valean˘ auf derselben Bühne diese Aussagen ihrer Vizepräsidentin. „Ich weiß nicht, was meine Kollegin Vestager gesagt hat“, erklärte die vormalige christdemokratische rumänische EUAbgeordnete. Nicht nur zwölf, sondern alle Mitgliedstaaten würden ein Schreiben der Kommission in dieser Angelegenheit erhalten. „Aber das ist kein Brief für ein Vertragsverletzungsverfahren. Ich nenne es eher einen Ermutigungsbrief.“Auf mehrfache Nachfragen, was die Kommission zu tun gedenke, um Europas Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen, sagte Valean,˘ die Kommission müsse erst eingehend prüfen, ob dieses
Recht auf Rückerstattung systematisch verletzt werde, dann sehe man weiter. In der Zwischenzeit teilte Vestager via Twitter bedauernd mit, sie habe sich geirrt. Also keine Vertragsverletzungsverfahren.
Doch dann erschien ein Interview des belgischen Justizkommissars, Didier Reynders, mit mehreren Zeitungen, in dem er klar erklärte: „Ein Dutzend Mitgliedstaaten scheinen Maßnahmen ergriffen zu haben, die dem Unionsrecht widersprechen. Wenn ein Mitgliedstaat sich nicht in Einklang damit setzt, prüfen wir die möglichen Maßnahmen, einschließlich Vertragsverletzungsverfahren.“Bis 2. Juni müssten diese
Staaten sich gegenüber Brüssel erklären. Danach könnte es Verfahren hageln.
In der Sache gibt es wenig zu diskutieren: Reisende – ob pauschal, per Flugzeug, Bus, Bahn oder Schiff – haben das Recht auf volle Rückerstattung ihrer Kosten, wenn ihre Reise aufgrund der Pandemie ausfiel. Sie dürfen angebotene Gutscheine ablehnen.
Volle Staatsgarantie für Gutscheine
Das Problem daran: Viele Unternehmen haben dafür nicht die nötigen flüssigen Mittel (und das, obwohl die EU-Vorschriften vorsehen, dass sie entsprechende Mittel vorhalten müssen). Die Kommission schlug am Mittwoch vor, dass Gutscheine dadurch attraktiver gemacht werden könnten, dass die Mitgliedstaaten hundertprozentige Garantien für ihre spätere Auszahlung in bar übernehmen. Das würde den Unternehmen zumindest zwölf Monate Atempause verschaffen. Wenn die Reisenden davon keinen Gebrauch machen, sollen sie binnen 14 Tagen nach Ablauf des Jahres ihr Geld zurückbekommen – falls das Unternehmen dann, Staatsgarantie hin oder her, noch existiert.