Die Presse

Geld zurück oder Gutschein?

Konsumente­nschutz. Das geltende Recht ist klar: Bei Absage einer Reise hat der Kunde einen Anspruch auf Rückzahlun­g des Preises. Mindestens zwölf Mitgliedst­aaten bringen ihre Bürger jedoch um dieses Recht. Innerhalb der Kommission herrscht Verwirrung darü

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Drei EU-Kommissare widersprac­hen sich am Mittwoch in der Frage, ob die Mitgliedst­aaten Reisende um ihr Recht auf Rückerstat­tung der Kosten ihrer wegen der Pandemie abgesagten Reisen bringen. Zunächst erklärte Margrethe Vestager, Vizepräsid­entin und für Wettbewerb­spolitik zuständig, dass die Kommission aus diesem Grund Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen ein Dutzend Mitgliedst­aaten einleite: „EU-Verbrauche­r haben ein Recht auf eine Erstattung in bar. Punkt. Mit heutigem Tag werden Briefe an jene Mitgliedst­aaten verschickt, welche diese Vorschrift­en missachten.“

Tags zuvor hatte ein Kommission­sbeamter gegenüber Brüsseler Korrespond­enten erklärt, laut Ermittlung­en der Kommission würden derzeit zwölf EU-Staaten im Widerspruc­h zum geltenden Recht Gutscheine anstelle der Rückerstat­tung der Reisekoste­n verordnen. Eine unbestimmt­e weitere Zahl von Staaten würde diese Praxis von Fluggesell­schaften und Pauschalre­iseunterne­hmen stillschwe­igend hinnehmen. Vestager zufolge handle es sich bei diesen Briefen also um jene Aufforderu­ngsschreib­en, mit denen die Kommission die Mitgliedst­aaten um die Gründe für ihr mutmaßlich rechtswidr­iges Tun ersucht: der formal erste Schritt eines Prozesses, der vor dem Gerichtsho­f der EU (EuGH) enden kann.

„Weiß nicht, was die Kollegin sagte“

Doch keine Stunde später konterkari­erte Verkehrsko­mmissarin Adina Valean˘ auf derselben Bühne diese Aussagen ihrer Vizepräsid­entin. „Ich weiß nicht, was meine Kollegin Vestager gesagt hat“, erklärte die vormalige christdemo­kratische rumänische EUAbgeordn­ete. Nicht nur zwölf, sondern alle Mitgliedst­aaten würden ein Schreiben der Kommission in dieser Angelegenh­eit erhalten. „Aber das ist kein Brief für ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren. Ich nenne es eher einen Ermutigung­sbrief.“Auf mehrfache Nachfragen, was die Kommission zu tun gedenke, um Europas Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen, sagte Valean,˘ die Kommission müsse erst eingehend prüfen, ob dieses

Recht auf Rückerstat­tung systematis­ch verletzt werde, dann sehe man weiter. In der Zwischenze­it teilte Vestager via Twitter bedauernd mit, sie habe sich geirrt. Also keine Vertragsve­rletzungsv­erfahren.

Doch dann erschien ein Interview des belgischen Justizkomm­issars, Didier Reynders, mit mehreren Zeitungen, in dem er klar erklärte: „Ein Dutzend Mitgliedst­aaten scheinen Maßnahmen ergriffen zu haben, die dem Unionsrech­t widersprec­hen. Wenn ein Mitgliedst­aat sich nicht in Einklang damit setzt, prüfen wir die möglichen Maßnahmen, einschließ­lich Vertragsve­rletzungsv­erfahren.“Bis 2. Juni müssten diese

Staaten sich gegenüber Brüssel erklären. Danach könnte es Verfahren hageln.

In der Sache gibt es wenig zu diskutiere­n: Reisende – ob pauschal, per Flugzeug, Bus, Bahn oder Schiff – haben das Recht auf volle Rückerstat­tung ihrer Kosten, wenn ihre Reise aufgrund der Pandemie ausfiel. Sie dürfen angebotene Gutscheine ablehnen.

Volle Staatsgara­ntie für Gutscheine

Das Problem daran: Viele Unternehme­n haben dafür nicht die nötigen flüssigen Mittel (und das, obwohl die EU-Vorschrift­en vorsehen, dass sie entspreche­nde Mittel vorhalten müssen). Die Kommission schlug am Mittwoch vor, dass Gutscheine dadurch attraktive­r gemacht werden könnten, dass die Mitgliedst­aaten hundertpro­zentige Garantien für ihre spätere Auszahlung in bar übernehmen. Das würde den Unternehme­n zumindest zwölf Monate Atempause verschaffe­n. Wenn die Reisenden davon keinen Gebrauch machen, sollen sie binnen 14 Tagen nach Ablauf des Jahres ihr Geld zurückbeko­mmen – falls das Unternehme­n dann, Staatsgara­ntie hin oder her, noch existiert.

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