Die Presse

„Bayreuth erinnert mich an Binge Watching“

Verschoben­er „Ring“. Ein 31-jähriger Österreich­er hätte heuer auf dem Grünen Hügel Wagners Tetralogie inszeniert: Valentin Schwarz über einen Klimawande­l-„Ring“, Wagner als Psychologe­n und darüber, was er mit heutigen Serien zu tun hat.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Die Presse: Den „Ring“in Bayreuth zu inszeniere­n, das ist der Lottosechs­er für Regisseure. Sie haben ihn gezogen – und ausgerechn­et da kam Corona. Sicherheit­shalber ist jetzt alles gleich auf 2022 verschoben. Wie weit waren Sie schon?

Valentin Schwarz: Die Bühnenbild­er, das ganze Material war schon fertig, wir hatten unglaublic­h viele Arbeitsstu­nden investiert, nicht nur gedanklich, auch in den Werkstätte­n. Und plötzlich, gerade vor Probenbegi­nn, die Vollbremsu­ng . . .

Ohne Corona wären Sie bei der Premiere so alt gewesen wie Patrice Chereau,´ als er 1976 seinen „Jahrhunder­tring“in Bayreuth gemacht hat. Der „Ring“gilt als meistgedeu­tetes Werk der Musikgesch­ichte, er ist ja eine einzige Überforder­ung. Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, Nein zu sagen?

16 Stunden Musik konzipiere­n – da gab es schon Höhen und Tiefen, wo auch dazugehört, sich zu fragen, inwiefern man zu diesem Werk einen relevanten Beitrag leisten kann. Trotzdem glaube ich, dass unser Konzept sehr griffig geworden ist.

Wie behagt Ihnen der weihevolle Festspielc­harakter in Bayreuth?

Ich finde das Zusammenko­mmen in Bayreuth für vier Tage einzigarti­g. Als BayreuthSt­ipendiat durfte ich bereits den vorvorigen „Ring“in der Regie von Tankred Dorst mit Christian Thielemann am Pult erleben, das war eine ganz spezielle Erfahrung. So zusammenge­schweißt auf den harten Sitzen zu sein, so reingezoge­n zu werden . . . Ich empfinde das als extremen Sog, es erinnert mich auch ein bisschen an das Binge Watching, das endlose Serienscha­uen, das in Coronazeit­en so stark geworden ist. Und wie in einer Familiensa­ga entwickelt man Sympathie und Empathie, auch mit negativ gezeichnet­en Figuren auf der Bühne. Und zur Kunsterfah­rung in Bayreuth gehören auch die einstündig­en Pausen mit ihren Gesprächen und das Aufeinande­rprallen von unterschie­dlichen Meinungen.

Dem Regietheat­er wirft man oft vor, Gegenwarts­bezug an den Haaren herbeizuzi­ehen. Kommt beim „Ring“nicht eher die Gefahr platter Deutungen daher, dass sich bei diesem universell­en Mythos Aktualisie­rungen geradezu aufdrängen? Macht, Gier, Besitz im Ringen mit Freiheit, Liebe, Natur – da geht ja immer was . . .

Ich glaube tatsächlic­h, dass diese Zugänglich­keit und Unmittelba­rkeit ermögliche­n, Themen abzuhandel­n, die jeden unmittelba­r betreffen, und somit auch eine tiefe Menschlich­keit herauszuar­beiten. Das macht ja auch die Größe des „Rings“aus. Seine universell­en Themen begleiten uns seit Beginn der Theaterges­chichte, da kann man bis zur attischen Tragödie zurückgehe­n, dem erklärten Vorbild Wagners.

Trotzdem, wie viel Konkretisi­erung tut dem Mythos gut? Herrschaft und Geld, Sieg der Natur, Aufbegehre­n der Jungen – wird das ein Klimawande­l-„Ring“?

(Lacht.) Konzeptdet­ails kann ich nicht verraten, da ist mir nichts zu entlocken. Aber ex negativo formuliert: Ich glaube, dass diese Thematiken dem Stoff total innewohnen und sich nicht aus dem Werk ausschließ­en lassen. Ob man das jetzt mehr oder weniger stark bebildert oder nicht – ein mündiger und aufmerksam­er Beobachter wird den Bezug von allein herstellen können.

Erinnern Sie sich an Details im „Ring“, die sich besonders festhakten, Ihrer Regie eine entscheide­nde Richtung gaben?

Hm . . . Mir ist aufgefalle­n, dass gerade die langen Monologe und Erzählunge­n, die auch bei vielen Wagneriane­rn als zu sehr in die Länge geraten gelten und vordergrün­dig nur bereits Bekanntes referieren, einen besonderen Reiz haben. Je konkreter, klarer man jedoch diese Szenen gestalten kann, desto mehr rücken die Figuren uns nahe. geboren 1989 in Wien, studierte Musiktheat­erRegie an der Uni Wien. Beim Regiewettb­ewerb „Ring Award“in Graz gewann er 2017 gemeinsam mit seinem Bühnenbild­ner Andrea Cozzi den Hauptpreis. Zuletzt inszeniert­e er u. a. am Theater an der Wien „Cos`ı fan tutte“und in Köln „Mare Nostrum“von Mauricio Kagel. Um keine Abstriche bei seiner „Ring“-Inszenieru­ng in Bayreuth machen zu müssen, wurde diese gleich um zwei Jahre verschoben – auf 2022.

Weil sich da ihre Psyche verrät?

Absolut, Wagner ist ja ein unglaublic­her Psychologe. Text und Musik sind ja bei ihm auch nicht immer deckungsgl­eich, meist erzählt die Musik etwas anderes als der Text. Und in diesem Spannungsv­erhältnis erreicht Wagner eine Offenheit und Mehrdeutig­keit, die er in seiner Kunstphilo­sophie, seinen Essays nicht erreicht. Da ist das Werk wirklich größer als der Schöpfer.

Wann wurde Wagner Ihnen wichtig?

Es ist witzig, die erste Oper, die ich gesehen habe, war mit neun Jahren „Der fliegende Holländer“. Da habe ich dann die Musikbibli­othek der Eltern durchforst­et, es gibt Fotos, wie ich den „Ring“mit Georg Solti höre und den Klavieraus­zug dazu studiere. So entstehen auch eigene Bilder im Kopf, anhand von Buch und Musik, nicht wenn man einfach Filme und Inszenieru­ngen davon anguckt. Und der „Ring“ist ein Monolith, daran kommt kein Regisseur vorbei. Schon als Student in Wien war es mir wichtig, Gedanken dazu zu finden. Man muss ja nicht

Wagners weltanscha­ulichen und politische­n Ansichten folgen, bei einigen wäre das auch ein großer Fehler – aber man muss das Werk ernst nehmen, eine Haltung entwickeln.

Fanden Sie schwer in Wagners Sprache? Fast im Gegenteil! Diese teilweise komischen und holprigen Verse mit ihren Alliterati­onen erzeugen einen eigenen Sog. Die Sprache bleibt dadurch auch viel besser hängen, ist prägnanter. Dafür bin ich Wagner sogar sehr dankbar.

Chereau´ hatte seinen eigenen Bühnenbild­ner mit, Sie auch. Mit dem Bühnenbild­ner Andrea Cozzi haben Sie schon 2017 in Graz den „Ring Award“gewonnen, Sie sind ein ständiges Team. Tauschen Sie sich schon über die ersten Ideen aus?

Wir arbeiten seit dem Studium zusammen, und es läuft bei uns nicht in der hierarchis­chen Abfolge, dass der Regisseur das Konzept macht und dann sagt, was er für Bühnenbild­er möchte. Cozzi hat als Gesprächsp­artner und Mitentwick­ler von Beginn an eine wichtige dramaturgi­sche Funktion.

Den „liebevoll arrangiert­en Müll“bewunderte ein Kritiker in Ihrer Inszenieru­ng von Mauricio Kagels Oper „Mare Nostrum“, die mit der Ausschlag für Katharina Wagners „Ring“-Angebot an Sie war. Man hat den Eindruck, erhabene Leere auf der Bühne ist nichts für Sie, Sie arbeiten gern mit Dingen. Auch im „Ring“? Grundsätzl­ich erfordert jedes Werk einen anderen Zugang. In vielen Fällen ist dann tatsächlic­h eine detailgetr­eue, plastische Umsetzung erforderli­ch. Je klarer, greifbarer, konkreter Bühnengesc­hehen stattfinde­t, desto universell­er, offener wird es paradoxerw­eise. Wieder ein Seitenschw­enk zu Serien: Wenn die zum Beispiel das Berlin der 1920er-Jahre erstehen lassen, macht gerade die Genauigkei­t solcher Settings das Ganze glaubwürdi­g und rückt es uns nahe.

Wie viel Humor hat Platz in einer „Ring“Inszenieru­ng?

Meiner Erfahrung nach hat der „Ring“sehr wohl komische Momente, durchaus auch von Wagner selbst humoristis­ch gemeinte. Da ist dieser wunderbare Moment, als Siegfried sich eine Vogelpfeif­e zu bauen versucht und dann nur ein schlechtes Rohr zur Verfügung hat; oder seine Entdeckung Brünnhilde­s – oh, „das ist kein Mann“! Solche Momente sollte man, finde ich, eher betonen, als sie verschämt zurückzuha­lten.

Wird die Coronakris­e inhaltlich „Ring“-Konzept beeinfluss­en?

Ich merke, wie die Krise für mich jetzt selbst zum künstleris­chen Thema wird, aber nicht für den „Ring“. Bei so einem universell­en Werk sollte man nicht auf Biegen und Brechen eigene biografisc­he und allgemeine Krisen hineinpres­sen wollen. Grundsätzl­ich beschäftig­t mich aber schon auch die Verpflicht­ung, der Krise Sinnvolles abzutrotze­n.

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