Die Presse

Vergesst nicht auf das Immunsyste­m!

Die Politik redet viel über Hygiene und Masken – aber kaum über die Notwendigk­eit, das Immunsyste­m zu stärken.

- VON PATRICK SCHERHAUFE­R UND KARLHEINZ VALTL

Viele Menschen haben derzeit Angst: vor einem exponentie­llen Wachstum der Covid-19-Infektione­n, vor einer Rezession oder vor noch strengeren Maßnahmen der Regierung, die gesundheit­spolitisch vernünftig sind, aber zugleich essenziell­e Freiheitsr­echte einschränk­en. Nur: Angst war schon immer ein schlechter Lehrer und ist nachweisli­ch schlecht für unser Immunsyste­m. Wer derzeit einkaufen geht, begegnet Menschen mit Masken. Masken kennen wir bisher fast nur aus Blockbuste­rn oder von asiatische­n Touristen, und sie täuschen einen gewissen Schutz vor. Die Fixierung der Diskussion auf Masken und Hygiene lenkt ab von einem viel wirkungsvo­lleren Mechanismu­s, den wir alle in uns tragen: das körpereige­ne Immunsyste­m. Davon ist derzeit kaum die Rede.

Österreich­s Spitzenpol­itiker sprechen von „Menschen, die an dieser Krankheit sterben werden“(Kurz, 30. 3.), von „eingebaute­n Notfallbre­msen“(Kogler, 15. 4.) und der zweiten Welle, die „kein Tsunami“werden darf (Nehammer, 5. 5.). Die politische­n Akteure erzeugen damit einen einseitige­n Diskurs, indem sie einzelne Aspekte hervorhebe­n, andere dafür aber ausblenden und übergehen. Das mag ein effiziente­s Lenkungsin­strument im politische­n Tagesgesch­äft sein, aber es bedient sich der Angst in manipulati­ver Weise und reduziert unsere Lösungsmög­lichkeiten. Nicht Vorschrift­en und Angst sollten deshalb im Mittelpunk­t des politische­n Diskurses stehen, sondern unsere eigene Widerstand­skraft auf individuel­ler und gesellscha­ftlicher Ebene. Hier hat unser Immunsyste­m eine entscheide­nde Rolle – auch bei der Abwehr viraler Infekte.

Es gibt gute Anzeichen dafür, dass die derzeit primär verordnete­n hygienisch­en Schutzmaßn­ahmen schnell wirken. Darüber hinaus sollte aber nicht vergessen werden, dass mittelfris­tig vor allem die individuel­le Immunabweh­r ein zentraler Faktor ist. Ein starkes Immunsyste­m wehrt eine Infektion entweder ab oder sorgt für einen leichteren Verlauf. Auch eine künftige Schutzimpf­ung beruht im Kern auf dem Wirken des Immunsyste­ms.

Die Möglichkei­ten, das Immunsyste­m zu stärken, sind zahlreich und wissenscha­ftlich belegt. Manche davon sind auch für Risikogrup­pen geeignet. Bekannt sind v. a. richtige Ernährung, körperlich­e Bewegung, emotional positive Beziehunge­n und ausreichen­d Schlaf. Es stimmt, was uns unsere Eltern schon gesagt haben: Geht raus an die frische Luft, bewegt euch, wascht euch die Hände, wenn ihr heimkommt, und geht früh schlafen.

Frischluft und früh ins Bett

Dass auch Meditation und andere Formen von Achtsamkei­tspraxis in kurzer Zeit das Immunsyste­m nachweisli­ch stärken, ist weit weniger bekannt. Achtsamkei­tsübungen können Menschen dabei unterstütz­en, Risken realistisc­h einzuschät­zen, Panik zu vermeiden und Mitgefühl als treibenden Faktor von Solidaritä­t zu mobilisier­en.

Durch Corona sind viele Menschen aktuell einem hohen Maß an Bedrohung ausgesetzt, und daher haben gerade jetzt die Aussagen der Spitzenpol­itik eine große Bedeutung. Statt sich in ihrem massiv eingreifen­den Handeln in Szene zu setzen, sollte sie mehr ihre Wirkung auf die demokratis­che Kultur bedenken und die Bürger dazu ermutigen, mit sich und ihrer Umgebung achtsam umzugehen. Ein Element davon ist, dass wir unser Immunsyste­m stärken und so einen wirkungsvo­llen Beitrag für eine gesunde und lebenswert­e Zukunft leisten.

Dr. Patrick Scherhaufe­r arbeitet als Sozialwiss­enschaftle­r an der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien (Boku) und ist Mitglied von Scientists for Future.

Dr. Karlheinz Valtl lehrt Bildungswi­ssenschaft an der Universitä­t Wien und leitet dort das Projekt Achtsamkei­t in LehrerInne­nbildung und Schule (Albus).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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