Das Heimwerken hat mehr Gewicht als Kunst
Die Coronakrise offenbart das politische Desinteresse an der Kultur. Jetzt wäre die Chance, eine echte Künstlersozialversicherung zu schaffen.
Ein unsichtbares Virus befällt nicht nur die Lungen der Menschen, sondern unser gesamtes System. Die Gesellschaftsordnung, in der wir seit 75 Jahren gelebt haben, wird völlig auf den Kopf gestellt. Nicht nur drehen sich die Hierarchien auf unvorstellbare Weise um, die Lagerarbeiter eines Supermarktes, Pflegerinnen oder Erntehelfer sind plötzlich „systemrelevanter“als so manche Universitätsprofessorin, Spitzensportlerin oder prominenter Künstler . . . Das kleine unsichtbare Virus macht vieles sichtbar, was man bisher nicht sehen wollte.
Es herrscht eine massive Ungleichheit in unserer Gesellschaft – sogar innerhalb der einzelnen Berufssparten: Auf der einen Seite leben Menschen in sicheren Anstellungsverhältnissen, auf der anderen Seite Menschen, die als freie Dienstnehmer keinerlei Absicherung und meist nur sehr geringe
Rücklagen haben. Und das sogar oft in demselben Beruf. Ein Schauspieler, der am Burgtheater angestellt ist, lebt in einer völlig anderen Wirklichkeit als ein möglicherweise sogar gleichaltriger Schauspieler in derselben Stadt, der in der freien Szene arbeitet.
Dieses kleine, unsichtbare Virus zeigt plötzlich, dass im Kulturland Österreich die Kultur des Heimwerkens mehr Gewicht hat als die Produktion von Kunst. Baumärkte sind lebensnotwendig, Museen oder gar Theater verzichtbar, bloß Divertissement für Touristen. Auch im Selbstverständnis der Museumsdirektoren und -direktorinnen scheint es so zu sein: „Dürfen keine Touristen ins Land, brauchen wir auch nicht zu öffnen.“Als hätten die Österreicher kein Anrecht auf und kein Bedürfnis nach Werken, die ihre Identität reflektieren.
So ist es auch nur konsequent, dass Österreich eine der allerschlechtesten Künstlersozialversicherungen der Welt hat, hastig und entgegen aller fachlicher Einwände zusammengeschustert von Franz Morak und Wolfgang Schüssel mit dem damals vom Generaldirektor der SVA bei der Pressekonferenz verblüffend ehrlich formulierten Ziel, „der SVA Tausende neue Zwangsmitglieder zu verschaffen und so ihren Gewinn zu steigern“.
Museen, Theater verzichtbar?
Die Versicherung verlangt nicht nur einen hohen Selbstbehalt für alle ihre Leistungen und ist gemeinhin inkulant bei durch Notlagen verspätet eingezahlten Prämien, sondern bietet auch keinerlei Hilfestellung während erzwungener Phasen ohne Einkommen, etwa durch Krankheit, Auftragsmangel oder eine Pandemie. Diese Versicherung berücksichtigt keineswegs die Lebensrealität der Künstler und Künstlerinnen.
Dieses kleine, unsichtbare Virus, das so viel zu leisten imstande ist – denken Sie nur an die Abertausenden Jugendlichen,
die seit vielen Monaten weltweit als „Fridays for Future“-Bewegung vergeblich versuchten, die Flugzeuge am Boden zu halten und die Industrie zurückzufahren, das kleine Virus schaffte das in wenigen Tagen –, bewirkt vielleicht auch, in Österreich endlich ein allgemeines Sozialversicherungssystem zu etablieren, in dem es nicht einzelne, ja nicht einmal Berufs-, sondern Menschengruppen gibt, die jetzt plötzlich vor dem Nichts stehen, wenn eine Pandemie über das Land hereinbricht oder eine sonstige Notlage eintritt.
Viele Länder, wie etwa Frankreich seit 1968, haben ein Künstlersozialversicherungssystem, das diesen Namen auch verdient und das genau solche Situationen, in denen sich die meisten Künstler und Künstlerinnen heute befinden, systemimmanent vorhersieht und ohne jegliche Überforderung unaufgeregt, schnell und effizient hilft. Wahrscheinlich wäre sogar ein System eines Grundeinkommens, wie es in der Schweiz und in Teilen Deutschlands Realität ist, am einfachsten administrierbar, ein System, das sämtlichen Menschen, nicht nur Künstlern, in diesem Land bei Bedarf unbürokratisch zur Verfügung steht.
Unerträglich aber ist die jetzige Situation, in der erst nach Wochen Hilfe in Aussicht gestellt wird und durch unzählige bürokratische Hürden letztlich verunmöglicht wird.
Die Idee eines flächendeckenden Arbeitsstipendiums, wie es vom Kulturamt der Stadt Wien vergeben werden soll, ist grundsätzlich gut. Was mir besonders daran gefällt, ist, dass es sich nicht um Almosen handelt, sondern Arbeit gefördert wird, die alle Antragsteller leisten können und wollen. Dass dieser Topf aber nur sehr zögerlich aufgefüllt wurde und überhaupt erst Mitte Mai darüber befunden werden soll, wem dieses Stipendium tatsächlich gewährt wird, zwei Monate nach dem Shutdown, annulliert die damit verbundene Hilfestellung. Denn bis dahin sind die meisten freischaffenden KünstlerInnen längst zahlungsunfähig, da die wenigsten von ihnen relevante Rücklagen haben bilden können.
Dasselbe gilt für die unklaren und immer wieder modifizierten Vorbedingungen des Härtefallfonds der Wirtschaftskammer, der mit einem enormen administrativen Aufwand und der Datenpreisgabe an die Kammer verbunden ist.
Völlig unmöglich ist allerdings, den Künstlersozialversicherungsfonds mit der Aufgabe zu betrauen, von heute auf morgen die Tausenden Härtefälle zu bearbeiten, wo doch offensichtlich ist, dass dieser weder die nötigen finanziellen Mittel noch die personellen Ressourcen hat, so eine Antragsflut überhaupt zu bewältigen.
Desinteresse an der Kultur
Und hier sind wir beim Kern des Problems: So unsichtbar dieses kleine Virus auch sein mag, es zeigt uns das immense Desinteresse der österreichischen Politik an der Kultur und an den 180.000 Menschen, die in diesem Segment arbeiten, überdeutlich.
Ich erwarte mir kein überragendes Interesse der politischen Entscheidungsträger an Kunst und Kultur. Das ist Privatsache. Aber an uns als Teil der Gesellschaft sollten sie interessiert sein.
Was wir Bühnenangehörigen und FreiberuflerInnen jetzt allerdringendst benötigen, ist
eine klare und verlässliche Perspektive, wann und unter welchen Bedingungen wir unsere Arbeit wieder aufnehmen dürfen. Wenn wir diese Bedingungen kennen, finden wir Wege, diese zu erfüllen und unsere Arbeit so zu gestalten, dass niemand gefährdet ist. Wir sind flexibel und voller Ideen – und wir sind viele.
eine rasche, effiziente und unbürokratische Hilfe, die einzelnen KünstlerInnen, Bühnenangehörigen, VermittlerInnen sowie Kulturvereinen das Überleben sichert. Am wirksamsten und am schnellsten umsetzbar ist das wohl als unbürokratisches, bedingungsloses Grundeinkommen für alle FreiberuflerInnen in diesem Land.
die Gründung einer echten Künstlersozialversicherung unter vernünftigen und realitätsbezogenen Bedingungen nach internationalem Vorbild und
die soziale Gleichstellung innerhalb der einzelnen Berufsgruppen.
Anstatt in unser altes System zurückzukehren, sollten wir die Gelegenheit nutzen, es zu verbessern. Dann haben wir diesem Virus bei aller Grässlichkeit sogar etwas zu danken.
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