Die Presse

Leitartike­l von Florian Asamer

Praktikabl­ere Lösungen wären denkbar, geworden ist es ein Papiertige­r, gebastelt unter Druck und mit wenig Überzeugun­g, das Richtige zu tun.

- E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

Die letzten Wochen haben gezeigt, wie sehr die Schule abgeht, wenn sie nicht da ist. Für wie selbstvers­tändlich der reibungslo­se Ablauf, die engagierte Arbeit und die großflächi­ge Betreuung der Schülerinn­en und Schüler genommen werden und was für eine Riesenlück­e sich auftut, wenn das alles fehlt. Trotzdem kann mit dem zaghaften Schulstart am Montag wohl keine Gruppe recht zufrieden sein: die Kinder und Jugendlich­en nicht, die Alltagsstr­uktur brauchen, deren sozialer Kontakt nach ungeregelt­er Nähe verlangt und die, wenn sie an Schule denken, oft nicht den Unterricht im Sinn haben, sondern vieles, was zwischen, während, nach dem Lernen wichtig ist und so jetzt nicht stattfinde­n kann. Versäumten Lehrstoff nachzuhole­n oder durch ungleiche Voraussetz­ungen zu Hause entstanden­e Lücken zu schließen scheint der selbst gestrickte Unterricht­splan mit drei glatt (MoDiMi), zwei verkehrt (DoFr) und dann umgekehrt schon rein zeitlich nicht herzugeben.

Den Lehrenden nicht, die einen organisato­rischen Gewaltakt zu stemmen haben, kaum praktikabl­e Vorgaben mit einem Haufen aufgeregte­r Kinder und regeltoler­anter Jugendlich­er umzusetzen haben, mitsamt aller Unsicherhe­it, auch die eigene Gesundheit betreffend. Den Eltern nicht, die auf funktionie­rende Betreuung angewiesen sind (von dieser so wichtigen Funktion der Schule wird im politische­n Diskurs gern durch heftige Spiegelfec­htereien um Bildungsin­halte abgelenkt) und nun statt regelmäßig­em Unterricht mit rund 15 Unterricht­stagen bis zum Ferienbegi­nn auskommen müssen, bevor der Nachwuchs dann wieder für neun Wochen große Ferien nach Hause kommt. Wer den Alltag mit Kindern (neben Beruf ) organisier­en muss, weiß, wie schwierig das ist. Und auch den Virologen nicht, denn unter Infektions­aspekten hat die Schule wohl das Potenzial zum unberechen­baren Virenmulti­plikator. Da muss man in den Grundrechn­ungsarten nicht besonders firm sein.

Doch es ist, wie es ist, und für die Kinder und Jugendlich­en ist es allerhöchs­te Zeit. Es wären aber sicher praktikabl­ere Lösungen denkbar gewesen. Geworden ist es ein Papiertige­r, gebastelt unter massivem Druck, mit wenig Überzeugun­g, das

Richtige zu tun (man hat den Eindruck, die Regierung wollte die Schulen erst im September aufsperren), und mit dem Wunsch, es allen recht zu machen. Nur gehören Tiger zu jenen Tieren, die sich mit Covid-19 anstecken können. Auch das haben wir gelernt.

Trotzdem gehören die Schulen zu den Bereichen, in denen das Virus offengeleg­t hat, wie viel da auch ganz ohne Pandemie nicht stimmt. Die schwerfäll­ige Bürokratie im Bermudadre­ieck der Zuständigk­eiten zwischen Bund, Ländern und Schulauton­omie hat sich etwa an den Wochen gezeigt, die vergangen sind, bis endlich geklärt war, wer für ein paar Tausend Laptops aufkommt, die Kindern ohne Zugang zum E-Learning die Teilnahme am Unterricht ermögliche­n sollten, oder eben daran, wie wenig das digitale Lernen etabliert ist.

Auch das Auftreten der Schule nach außen ist ziemlich ernüchtern­d. Ein immerhin bemühter Bildungsmi­nister zwar, der aber alles ausstrahlt, nur keinen Drive, keine Dynamik, keine Digitalkom­petenz. Und freilich gibt da im Jahr 2020 ein älterer Mann in einem gesellscha­ftlichen Bereich den Ton an, in dem die Jugend im Mittelpunk­t steht und überwiegen­d Frauen die Kohlen aus dem Feuer holen müssen. Die Lehrergewe­rkschaft, die nach überrasche­nd vernünftig­em Beginn bei Fenstertag­en und Summerscho­ol wieder einmal zeigt, wo ihre Priorität liegt. Und auch manche Eltern, die eher früher als später ungeduldig signalisie­rten, man möge sich gefälligst um ihre Kinder kümmern.

Dabei brauchte die Bildungspo­litik nur das zu tun, was in Coronazeit­en die meisten machen: entrümpeln. Zuständigk­eiten, Lehrpläne, Schulorgan­isation, um mit dem gewonnenen Raum Schulen als Lern- und Lebensräum­e zu gestalten, mit allem, was dazu notwendig ist. Konzepte dafür gibt es hierzuland­e und internatio­nal. Man wird ideologisc­he Gräben überspring­en oder aber eingestehe­n müssen: Wir behaupten zwar, das Beste für unsere Kinder zu wollen. Doch wir kriegen es nicht hin.

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VON FLORIAN ASAMER

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