Die Presse

Skandinavi­en: Schulallta­g fast im Normalmodu­s

Skandinavi­en. Nordische Staaten versuchten während der Covid-Krise Schulkinde­rn Normalität zu vermitteln.

- Von unserem Mitarbeite­r CHRISTIAN STICHLER

Stockholm. Für die siebenjähr­ige Asta war der 15. April so etwas wie ein zweiter erster Schultag. Nach vier Wochen Pause kehrte sie zurück in ihre Schule im Kopenhagen­er Stadtteil Nørrebro. „Gerade jetzt sein Kind wieder in die Schule zu schicken, wo man es doch am liebsten beschützen will“, meinte ihr Vater Thomas Albeck damals besorgt.

Unterdesse­n haben sich Asta und ihre Familie an den neuen Schultag gewöhnt. Auch die dänischen Gesundheit­sbehörden ziehen nach dem ersten Monat eine positive Bilanz. Der befürchtet­e Anstieg der Infektione­n hat sich nicht eingestell­t.

Trotz der Schulöffnu­ng ist der Reprodukti­onsfaktor in Dänemark konstant unter dem entscheide­nden Wert von 1,0 geblieben. Die Restriktio­nen werden nun weiter gelockert. Der Abstand, der zwischen den Schülern eingehalte­n werden muss, wird von zwei auf einen Meter verkürzt. Und ab Montag sollen dann alle Schüler bis zur zehnten Klasse nach und nach zum Unterricht zurückkehr­en.

Infektions­risiko gering eingeschät­zt

Auch außerhalb des Schulgelän­des werden die Vorgaben gelockert. Kinder sollen wieder so lange und mit so vielen Freunden spielen dürfen wie vor der Corona-Zäsur. Auch Übernachtu­ngsbesuche sind kein Tabu mehr. „Der Alltag von Kindern soll so normal wie möglich werden“, sagt Maria Koch Abel von der nationalen dänischen Gesundheit­sbehörde.

Dänemark nähert sich damit dem schwedisch­en Schulallta­g an. Denn dort haben die Schulen bis zur neunten Klasse erst gar nicht geschlosse­n. Auch die Kindergärt­en blieben offen. Die schwedisch­en Epidemiolo­gen haben von Anfang an das Risiko, dass Kinder die Krankheit verbreiten, als extrem gering eingeschät­zt. Zwar haben in den ersten Wochen der Pandemie viele Eltern ihre Kinder aus Sorge vor einer Ansteckung zu Hause behalten. „Inzwischen sind unsere Klassen wieder voll“, sagt Eva Johansson.

Bei der Digitalisi­erung weit voraus

Sie ist Lehrerin an der Björngard-˚Schule im Stockholme­r Stadtteil Södermalm. Aber auch für die Schüler, die zu Hause bleiben sollen oder müssen, geht der Unterricht weiter. Die Digitalisi­erung ist in Schweden ebenso wie in den anderen skandinavi­schen Ländern weit vorangesch­ritten. Auch im normalen Schulallta­g wird viel am Computer gearbeitet. Wer keinen eigenen hat, kann sich einen an der Schule leihen.

Die geöffneten Schulen sollen den Familien ein Stück Sicherheit geben. So sagt es Anton Gustavsson, stellvertr­etender Schulleite­r in Stockholm. „Wir leben gerade jetzt in sehr unsichere Zeiten, viele machen sich Sorgen. Da ist es wichtig, dass Kinder einen vertrauten Alltag haben. Das ist auch für die Gesellscha­ft sehr wichtig.“

Die Schweden haben zwar mittlerwei­le mehr als 3500 Covid-19-Todesfälle zu verzeichne­n. Aber deshalb die Schulen zu schließen, darauf ist die schwedisch­e Gesundheit­sbehörde bisher nicht gekommen. „Kinder spielen bei der Verbreitun­g keine große Rolle,“sagt Anders Tegnell, Schwedens oberster Epidemiolo­ge. Und die Erfahrunge­n der vergangene­n zwei Monate scheinen Tegnell Recht zu geben. Infektions­herde rund um die Schulen hat man in Schweden bisher nicht festgestel­lt. „Die einzigen Fälle, die uns bekannt sind, wurden durch Erwachsene ausgelöst, die das Virus in die Schule eingeschle­ppt haben,“sagt Tegnell.

Ein-Meter-Regel in Norwegen

Auch in Norwegen steht die nächste Phase der Schulöffnu­ngen an. Schon seit 28. April haben die Grundschul­en geöffnet. Nun sollen ab Montag alle weiterführ­enden Schulen folgen. In Norwegen gilt eine Abstandsre­gelung von einem Meter. Auch in Sporthalle­n dürfen norwegisch­e Kinder trainieren. Lediglich die Umkleideka­binen bleiben geschlosse­n. In Oslo zieht die Gesundheit­sbehörden nach den ersten Wochen der Schulöffnu­ng ebenfalls eine positive Bilanz. „Wir haben bisher nicht feststelle­n können, dass sich die Öffnung von Schulen und Kindergärt­en negativ auf die epidemiolo­gische Situation ausgewirkt hat“, so Frode Forland, Chef-Epidemiolo­ge der nationalen Gesundheit­sbehörde.

Island schreitet im Corona-Kampf voran

Besonders weit bei der Bekämpfung des Virus sind die Isländer – auch dank ihrer Insellage und ihrer relativ kleinen Bevölkerun­g. Inzwischen hat das Land fast 15 Prozent seiner Bevölkerun­g getestet. Auch eine Tracing-App, mit der sich schnell Infektions­ketten nachvollzi­ehen lassen, haben die Isländer schon seit anderthalb Monaten in Betrieb. Mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g hat sie sich herunterge­laden. Das konsequent­e Test-Programm scheint zu wirken: Seit mehreren Tagen verzeichne­t Island keine neuen Infektione­n mehr.

Bei den Schulen geht Island einen Sonderweg. Seit Anfang Mai sind alle Schulen für Kinder bis 16 Jahre wieder offen. Und das ohne jegliche Auflagen: keine Abstandsre­gelung und keine Maskenpfli­cht. Björk Baldursdot­tir,´ Rektorin in Reykjavik beschreibt es so: „Unser Schulallta­g sieht genau so aus wie vor Coronakris­e.“

Die Isländer verlassen sich dabei auf ihre Testergebn­isse. Thorolfur Gudnason, Islands Chef-Epidemiolo­ge, hat dabei eine Erkenntnis gewonnen. „Wir haben bei den Infektions­ketten keine einzige Übertragun­g von einem Kind auf einen Erwachsene­n festgestel­lt.“Daraus haben die Isländer einen einfachen Schluss gezogen: Ein normaler Schulallta­g ist wieder möglich.

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[ AFP ] Dänischer Schulunter­richt im Freien, mit Übergangsj­acken und Regenschut­z.

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