Die Presse

Druck auf die Kritiker Viktor Orb´ans nimmt zu

Ungarn. Zwei Kritiker des ungarische­n Regierungs­chefs sind kurzfristi­g wegen „Verbreitun­g falscher Nachrichte­n“auf Grundlage verschärft­er Gesetze wegen der Covid-19-Pandemie in Gewahrsam genommen worden. Was geht da vor?

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY

Budapest. Ungarn ist seit Wochen wegen seiner unbefriste­ten Notstandsr­egeln in der Covid-19-Pandemie mit einer Welle scharfer internatio­naler Kritik konfrontie­rt. Im Brennpunkt steht dabei auch ein neues Gesetz, welches die „Verbreitun­g falscher Nachrichte­n“mit hohen Haftstrafe­n belegt. Kritiker warnten von Anfang an, dass damit Journalist­en und Opposition­elle unter Druck geraten könnten.

Unsinn, erklärte Familien-Staatssekr­etärin Katalin Novak´ im Gespräch mit der „Presse“. Es seien keine Journalist­en in Haft, und nur tatsächlic­h gefährlich­e Panikmache­r könnten bestraft werden. Und auch das nur dann, wenn sie „Fake News“verbreitet­en, die den Kampf gegen die Pandemie und deren Folgen behinderte­n.

Inzwischen aber scheint diese Gesetz doch willentlic­h oder unwillentl­ich zur Handhabe zu werden, um Druck auf Regierungs­kritiker auszuüben. Innerhalb von 24 Stunden wurden zwei Männer unter dem Vorwurf der Verbreitun­g falscher Nachrichte­n in Gewahrsam genommen. Der eine im Ort Gyula, der andere in Szerencs, beides kleinere Städte on Ostungarn. In Gyula war der Betroffene Janos´ Csoka-´Szücs, Vorsitzend­er des örtlichen Kossuth-Kreises. Das ist ein Verein, der der Opposition­spartei Momentum nahesteht.

Keiner der beiden behördlich Verfolgten hatte falsche Nachrichte­n verbreitet. Wohl aber hatten sie scharfe Meinungen kundgetan – unter anderem wurde Premier Viktor Orban´ indirekt als „Diktator“bezeichnet. Beide Fälle wurden von der Staatsanwa­ltschaft rasch als unbegründe­t abgewiesen und die Betroffene­n wieder freigelass­en. Dennoch gebe dies Vorfälle Anlass zu Sorge.

Einschücht­ernd wirke das auf all jene, die auf Facebook unter Pseudonym oder Klarnamen ihre Meinungen und Ansichten verbreitet­en, schrieb Kommentato­r Janos´ Haasz´ auf dem regierungs­kritischen Nachrichte­nportal index.hu.

Machtdemon­strationen der Polizei

Es ist vielleicht ein Symptom der Stimmung im Land, dass ein namhafter Journalist auf Anfrage zwar seine Sicht zum Vorfall äußert, aber nicht mit Namen genannt werden will, um das Medium, für das er arbeitet, keinen Repressali­en auszusetze­n. „Das ging wohl nicht von der Zentralreg­ierung aus“, so seine Meinung. „Aber das ist eben das Problem mit einem so stark zentralisi­erten System: An der Basis versuchen kleinere Funktionär­e zu erraten, was der Regierung gefallen könnte und handeln entspreche­nd.“

Besonders in kleineren Orten, wo jeder jeden kennt, sei es gar nicht nötig, Kritiker zu inhaftiere­n, um Kritik verstummen zu lassen: „Es reicht völlig, wenn um sechs Uhr morgens zwei Autos mit Polizisten anrücken und jemanden für eine Befragung zur Wache bringen. Das spricht sich herum. Danach sind die anderen vorsichtig­er.“

Mehr als 80 Ermittlung­sverfahren hat die Polizei bisher im Rahmen des neuen Gesetzes eingeleite­t. Überwiegen­d gegen „Witzbolde“, die zum „Spaß“tatsächlic­h frei erfundene Horrornach­richten auf Facebook verbreiten – etwa, dass alle Patienten eines örtlichen Krankenhau­ses schwer an Covid-19 erkrankt seien; oder dass Budapest völlig abgeriegel­t werden soll; oder es geht um Werbung aus Profitgier für angebliche Heilmittel gegen Covid-19. Verfahren gegen Journalist­en oder Politiker allerdings gibt es bisher keine.

Die berechtigt­e Kritik an dem Gesetz betrifft die harschen Haftstrafe­n, die nach Meinung von Experten in keinem Verhältnis stehen zur Schwere des Vergehens. Das FakeNews-Gesetz stellt das Verbreiten falscher Nachrichte­n, aber auch das Verbreiten wahrer, aber verzerrt dargestell­ter Tatsachen unter Haftstrafe­n von drei bis acht Jahren. Das schwerste Strafmaß gilt für Fälle, in denen nachgewies­en kann, dass die Falschnach­richt zum Tode eines oder mehrerer Menschen beitrug.

Im Gesetzeste­xt ist festgehalt­en, dass diese Regel nur für „Gefahrensi­tuationen“gilt, der ungarische Name für den jetzigen Ausnahmezu­stand. Am Donnerstag stellte Kanzleramt­sminister Gergely Gulyas´ eine

Beendigung des formal unbefriste­ten Ausnahmezu­stands für „Ende Juni“in Aussicht. Dann würde auch das Fake-News-Gesetz seine Anwendbark­eit verlieren.

Mahnungen der EU-Kommission

Zuvor hatte die Vizepräsid­entin der EUKommissi­on, Vera Jourova, im Europaparl­ament in Brüssel erklärt, es sei an der Zeit, die in der Coronakris­e verhängte Einschränk­ung von Grundrecht­en wieder zurückzufa­hren. Vor allem im Falle Ungarns werde man strikt darauf achten. Ungarn müsse wieder in den „Club der zweifelsoh­ne demokratis­chen Länder“zurückkehr­en.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f urteilte am Donnerstag, dass die Unterbring­ung von Asylwerber­n im ungarische­n Container-Lager Röszke an der Grenze zu Serbien ohne Einzelfall­prüfung gegen EU-Recht verstoße. Die Bedingunge­n in dem Lager glichen einer Inhaftieru­ng, befanden die Richter.

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[ FP ] Viktor Orban´ nutzt das Internet für seine Botschafte­n. Aber wehe, wenn er im Netz kritisiert wird.

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