Das Fundament des Hauses Saud bröckelt
Saudiarabien. Der Absturz des Ölpreises stürzt den Staat in eine multiple Krise. Zur Debatte stehen jetzt nicht nur der teure Jemen-Krieg und die Prestigeprojekte des Kronprinzen.
Kairo. In Saudiarabien braut sich eine massive Krise zusammen, in die sich wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Aspekte mischen. Zwei Zahlen sind dafür Indikatoren. Für einen ausgeglichenen Haushalt braucht das Land laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds IWF einen Ölpreis von 76 Dollar pro Barrel. Der liegt derzeit aber nur bei 30 Dollar.
Selbst um diesen niedrigen Preis zu halten, muss Saudiarabien das Angebot des schwarzen Goldes auf dem Weltmarkt verringern und hat seine Ölproduktion auf den niedrigsten Stand seit 18 Jahren gedrosselt. Das Resultat: ein dramatisch wachsendes Haushaltsdefizit, das laut Schätzungen auf einen neuen Rekordwert von 112 Milliarden Dollar steigen könnte.
Mehrwertsteuer von 15 Prozent
Darum zog der saudische Finanzminister, Mohammed Al-Jadaan, jetzt die Notbremse. Er kündigte die Verdreifachung der Mehrwertsteuer, die vor zwei Jahren erstmals eingeführt worden war, von fünf auf 15 Prozent an. Bereits ab Juni sollen auch Unterstützungszahlungen für Militärangehörige und Staatsbedienstete gestrichen werden. Große Infrastrukturprojekte sind zudem auf Eis gelegt.
Schon vor der coronabedingten Wirtschaftskrise hat das Königreich mit Russland einen Preiskrieg rund ums Öl begonnen – zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Mit den weltweiten Lockdowns ging der Ölverbrauch zurück. Ein totaler Preiszusammenbruch war die Folge. Zum Ende des Ramadan und zum BayramFest kündigte die saudiarabische Regierung nun selbst einen landesweiten Lockdown an.
Die Pilgerstätten in Mekka sind seit Wochen ohnehin dicht. Noch ist es nicht offiziell: Doch die diesjährige Hadsch im Sommer wird wahrscheinlich ausfallen. Die jährlichen Einnahmen aus den Pilgerfahrten und dem religiösen Tourismus belaufen sich auf 20 Milliarden Dollar, ungefähr 20 Prozent der Einnahmen des Landes jenseits des Ölsektors. Es gab sogar Pläne, die Einkünfte aus der Pilgerfahrt auszubauen, etwa mit Luxushotels in Mekka für reiche Pilger, samt Suite mit Blick auf die Kaaba für mehr als 5000 Dollar pro Nacht.
Wirtschaftlich lässt sich Saudiarabien nicht so schnell aus der Bahn werfen. Immerhin verfügt es über einen Staatsfonds mit einem Vermögen von fast 300 Milliarden
Euro. Dennoch macht die Wirtschaftskrise dem Land schwer zu schaffen. Der IWF rechnet mit einer Rezession von 2,3 Prozent für 2020. An Sparmaßnahmen führt kein Weg vorbei, und sie werden auch die von Kronprinz Mohammed bin Salman verkündete „Vision 2030“treffen. Sie soll das Land durch Infrastrukturprojekte vom Öl unabhängiger machen und es gesellschaftlich öffnen.
Neom um Nummern kleiner
Das Prestigeprojekt ist die futuristische Mega-Glitzerstadt Neom, die für 500 Milliarden Dollar am Roten Meer aus dem Wüstensand gestampft werden soll, um Touristen und Investitionen anzulocken. Die Wirtschaftskrise dürfte dazu führen, dass es dabei nicht nur zu Verzögerungen kommt, sondern dass das Ganze ein paar Nummern kleiner ausfallen wird.
Zudem stößt nun auch des Kronprinzen Plan einer Neuordnung der Region an Grenzen. Der Krieg im Nachbarland Jemen, den er vor fünf Jahren gestartet hat, lastet schwer auf dem Budget. Die Gegner der saudischen Militärkoalition im Jemen, die Houthi-Rebellen, veröffentlichten Schätzungen, denen zufolge Riad jährlich 60 Milliarden Dollar dafür aufwendet. Das ist wahrscheinlich zu hoch gegriffen. Doch von saudischer Seite gibt es keine Angaben zu den Kriegskosten, inklusive Söldnern und der Stabilisierung der Regierung in Aden.
Für Anfang Juni hat Saudiarabien zusammen mit der UNO eine virtuelle internationale Geberkonferenz einberufen, in der Hoffnung, die Kosten für die Kriegsfolgen aufzuteilen. Das Internationale Rote Kreuz hat kürzlich gewarnt, der Jemen-Krieg könnte der internationalen Gemeinschaft für einen Zeitraum von fünf Jahren weitere 29 Milliarden Dollar an Hilfslieferungen abverlangen.
Schlaflose Nächte dürfte den saudischen Herrschern derweil die Gefahr durch Proteste bereiten. Wie in anderen ölreichen Golfstaaten gibt es einen ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag, der besagt: Rundumversorgung ohne politisches Mitspracherecht. Das Königreich finanziert die medizinische Versorgung und Auslandsstipendien, es leistet Zuschüsse für den Hausbau und bietet zinsfreie Kredite. Steuern waren vor der Einführung einer Mehrwertsteuer ein Fremdwort. Als Gegenleistung stellen die Bürger die politische Legitimität ihrer Herrscher nicht infrage.
„Arabellion“überstanden
So hat es seit Jahrzehnten funktioniert, und das Königshaus überstand selbst die turbulenten Zeiten der „Arabellion“ungefährdet. Aber jetzt zeigen sich erste Risse im System, verknüpft mit der Frage: Wie lange halten sich die Untertanen noch an die Abmachung?