Die Presse

Auch Teile der Mittelschi­cht Fall für die Caritas

Soziales. Die Caritas verzeichne­t 50 Prozent neue Kunden bei der Sozialbera­tung: Geschäftsi­nhaber, Menschen mit eigenem Haus, viele davon Frauen. Über eine neue Zielgruppe, die jetzt Hilfe von Sozialorga­nisationen braucht.

- VON EVA WINROITHER

Wien. Ein paar Fälle sind Petra Anzengrube­r, Leiterin der Caritas Sozialbera­tung noch besonders in Erinnerung. Eine Masseurin und alleinerzi­ehende Mutter hämmerte vergangene­s Monat an die geschlosse­nen Türen der Caritas Sozialbera­tung, weil sie so verzweifel­t war. Sie durfte ob der Krise nicht mehr arbeiten.

„Das hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen“, erzählt Anzengrube­r. Sie wusste nicht, wie sie die Miete, Lebensmitt­el bezahlen soll. Auch jetzt, wo sie wieder arbeiten darf, ist es ob der strengen Auflagen für sie sehr schwierig. „Sie hat sich noch immer nicht gefangen.“Die Frau hat übrigens kurz nach Ausbruch der Krise versucht, als Erntehelfe­rin zu arbeiten. „Aber sie hatte nicht einmal das Geld, um den Tank zu füllen.“

Dann gibt es die Geschichte einer andere Alleinerzi­eherin. Sie ist Mutter zweier Burschen, zehn und elf Jahre alt. Sie war in Teilzeit vor der Pandemie und wurde danach in Kurzarbeit geschickt. Davor konnte sie ihre Fixkosten knapp decken, danach konnte sie nicht mehr die Miete bezahlen. „Sie wusste nicht, wie es weitergeht.“

Dann gibt es die Besitzerin eines Kosmetik-Studios, die das Studio durch die erzwungene Coronaviru­s-Schließung aufgeben musste und nun auch vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Ähnliches passierte einer Nagelstudi­obesitzeri­n, die in einem eigenen Haus in Niederöste­rreich lebt. Deren Tochter schlachtet­e das Sparschwei­n, damit die Mutter den Kühlschran­k auffüllen konnte.

All diese Menschen haben gemeinsam, dass sie normalerwe­ise nicht Klientel der Caritas sind. Sie brauchten vor der Covid-19-Krise keine Unterstütz­ung von Staat und Sozialorga­nisationen, hätten es nie für möglich gehalten, einmal bei einer NGO um Hilfe zu suchen. Jetzt ist alles anders. „Gerade Anfang April kamen 50 Prozent der Anfragen von Menschen, die sich zum ersten Mal bei uns gemeldet haben“, sagt Anzengrube­r. „Die Krise betrifft alle: Auch die Mittelschi­cht meldet sich.“

Allerdings gibt es einen eklatanten Unterschie­d. Der Großteil der Hilfesuche­nden sind Frauen. In der zweiten Märzhälfte gab es 564 Hilfsanfra­gen von Männern und 1222 Hilfsanfra­gen von Frauen, erzählt Anzengrube­r. „Die Maßnahmen zur Eindämmung der Krise und ihre Folgen treffen Frauen härter. Das spüren wir ganz deutlich“, so Anzengrube­r jüngst in einer Aussendung.

Zukunftsän­gste

Dabei geht es bei Anrufen um Probleme, die Fixkosten zu zahlen, den Verlust von Jobs, aber auch um verzögerte Auszahlung­en von Unterhalt und Alimenten. Hinzu kommen Zukunfsäng­ste und Überlastun­g mit Kinderbetr­euung und Homeschool­ing, sagt Anzengrube­r zur „Presse“. Vor allem Alleinerzi­ehende und Selbststän­dige seien betroffen, sowie Frauen, die Teilzeit arbeiten. Dass mehr Frauen als Männer anrufen hat damit zu tun, dass Frauen generell armutsgefä­hrdeter sind. Frauen arbeiten öfter in Teilzeit und übernehmen oft unbezahlte Arbeit wie Pflege- und Kinderbetr­euung. Im Alter stehen sie mit einer geringeren Pension da. Die durchschni­ttliche Alterspens­ion von Frauen beträgt mit rund 1028 Euro um 650 Euro weniger als die durchschni­ttliche Pension von Männern (1678 Euro).

Anderersei­ts erklärt sich Anzengrube­r die Ungleichhe­it der Anrufe auch mit Scham. „Es ist oft so, dass es Frauen leichter fällt anzurufen. Sie greifen eher zum Hörer und holen Hilfe.“Überbrücku­ngshilfen, die die Caritas auszahlt, sind rein spendenfin­anziert (www.caritas.at/corona-nothilfe) Auch deshalb bittet die Caritas um weitere Unterstütz­ung. Viele Spenden- und Benefizakt­ionen seien aufgrund des Virus ausgefalle­n, so Klaus Schwertner, Generalsek­retär der Wiener Caritas. Damit fehlt auch den NGOs wichtiges Geld.

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