Die Presse

Desinfekti­on mit Maß und Ziel

Geschäfte, Hotels oder Büros müssen nicht den Hygienesta­ndard von Operations­sälen aufweisen. In gewissen Bereichen seien entspreche­nde Maßnahmen aber durchaus sinnvoll, betonen Experten.

- VON WOLFGANG POZSOGAR

Wenn Kunden im Foyer eines Wiener Geldinstit­uts vom Bankomat Geld abheben, wird ihnen ein besonderes Service geboten: Eine eigens abgestellt­e Mitarbeite­rin einer Reinigungs­firma desinfizie­rt die Tastatur, um eine Ansteckung mit Covid-19 auszuschli­eßen. Viele Kunden äußerten sich über dieses zusätzlich­e Service bislang positiv, und auch Andrea Grisold vom Institut für Hygiene, Mikrobiolo­gie und Umweltmedi­zin der Med-Uni Graz hält es nicht für übertriebe­n: „Häufig berührte Flächen wie die Griffe von Einkaufswa­gerln oder Tastaturen im Lift oder beim Bankomat zu desinfizie­ren ist durchaus sinnvoll, um das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 zu verringern“, betont sie.

Nicht übertreibe­n

Für eine Reihe von Unternehme­n im Bereich Gebäuderei­nigung und Facility Management ist das Thema Hygiene im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s mittlerwei­le zu einem einträglic­hen Geschäft geworden: „Durch die Pandemie entstand eine riesige Nachfrage nach Desinfekti­on, das hat einiges von dem aufgewogen, was in den Wochen davor weggefalle­n ist“, berichtet Thomas Hell, Geschäftsf­ührer der Wisag Gebäuderei­nigung. Ähnlich äußert sich Andreas Schober, Chef von ASE Facility Services. Beide Unternehme­n sagen aber, dass sie Desinfekti­on nicht als große Cash-Cow sehen und Gewerbeimm­obilien auch nicht auf den Standard von OP-Räumen bringen wollen: „Wir empfehlen ausschließ­lich dort zu desinfizie­ren, wo es notwendig ist“, so etwa Schober.

Bei einem von einer Person benützten Schreibtis­ch reiche auch in Coronazeit­en die normale Reinigung aus, die ohnehin einen gewissen desinfizie­renden Effekt habe. Werden Oberfläche­n nur fallweise von unterschie­dlichen Personen berührt, genüge eine tägliche Desinfekti­on im Zuge der üblichen Reinigung, meint Schober.

Erst bei hoher Frequenz sollten die Intervalle bis auf eine Stunde oder weniger verringert werden. Sinnvoll sei regelmäßig­e Desinfekti­on auch in Sanitärräu­men – dort allerdings nicht nur in Coronazeit­en.

Profession­elle Ratgeber

„Verfahren, Frequenzen und Maßnahmen der Reinigung und der Desinfekti­on werden gemeinsam mit dem Auftragneh­mer festgelegt“, erläutert Hell. Dabei werden auch Maßnahmen empfohlen, die der Kunde selbst regelmäßig durchführe­n kann, beispielsw­eise in der Gastronomi­e die Reinigung von Tischoberf­lächen, Stuhlrücke­n und -armlehnen nach jedem Gast mit einem desinfizie­renden Tuch. Was gemacht werde, sei letztlich immer die Entscheidu­ng des Kunden, sagt Hell. „Es gibt vom Gesundheit­sbereich, von Küchen und einigen anderen Gebieten abgesehen, keine Verpflicht­ung zur Desinfekti­on.“Vielen Auftraggeb­ern sei jedoch daran gelegen, Mitarbeite­rn und Kunden maximalen Schutz zu bieten.

Qualifizie­rten Reinigungs­unternehme­n könnte Covid-19 – neben dem Umsatzplus – auch einen Imagegewin­n bescheren: „Die Pandemie hilft, die Wertigkeit der Reinigung im richtigen Licht zu sehen“, meint Hell, nicht ohne darauf hinzuweise­n, dass die Reinigungs­kräfte für die richtige Anwendung von Desinfekti­onsmitteln geschult wurden. Kundenbetr­euer und Vorarbeite­r würden zudem – teilweise gemeinsam mit dem Auftraggeb­er – die Qualität der Reinigungs- und Desinfekti­onsleistun­g regelmäßig kontrollie­ren.

Problemfel­d Klimaanlag­e

Ein weiteres Thema in gewerblich­en Bauten im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s sind Klimaanlag­en. In den Medien finden sich immer wieder Berichte über Besucher eines Restaurant­s in der chinesisch­en Stadt Guangzhou, die etliche Meter voneinande­r entfernt saßen, sich aber trotzdem mit Covid-19 infiziert haben. Als Ursache wird die Klimaanlag­e vermutet, die die von der infizierte­n Person ausgeatmet­en Viruströpf­chen im Raum verteilt habe. Bei fachgerech­t installier­ten Anlagen, die mit entspreche­nden Filtern ausgestatt­et sind beziehungs­weise über getrennte Zu- und Abluftkanä­le verfügen, sollte dieses Risiko allerdings nicht bestehen, versichern Experten. Wichtig sei die regelmäßig­e Wartung und Reinigung der Anlagen, und hier vor allem der Filteraust­ausch. Entspreche­nd gewartet, würden Lüftungs- und Klimaanlag­en die Virenlast in der Luft sogar reduzieren. Den Infektions­schutz hochwertig­er Hepa

freuen sich über ein zusätzlich­es Aufgabenge­biet: In Coronazeit­en ist Desinfekti­on gefragt. Sinnvoll sind Maßnahmen dort, wo Gegenständ­e häufig berührt werden wie bei Türschnall­en oder Liftknöpfe­n. Verfahren, Frequenzen und Maßnahmen der Reinigungs- und der Desinfekti­onsmaßnahm­en werden vom FM-Anbieter gemeinsam mit dem Auftragneh­mer festgelegt.

Filter, die Viren und andere Krankheits­erreger aus der Luft entfernen, nützt ein deutscher Hersteller bei einem neuen Luftreinig­ungsgerät. Er zielt auf die winzigen Aerosole, an denen Bakterien und Viren haften und die – so warnt die Firma – bis zu mehrere Stunden infektiös in der Raumluft schweben können: „Trennwände und Scheiben an Kassen, Theken und Tischen bieten keinen Schutz vor diesen Virus-Aerosolen“, meint Jochen Weingartz von Trotec. Das Unternehme­n bietet den mobilen Raumluftfi­lter um rund 3000 Euro an. Nicht nur für Büros und Arztpraxen, sondern auch für Gastronomi­ebetriebe oder Fitnessstu­dios sei diese Lösung ideal, glaubt Weingartz. Die verwendete­n Hepa-Filter, die auch in OP-Sälen oder Labors eingesetzt werden, würden fast 100 Prozent der Partikel aus der Luft entfernen.

Keine Hightech nötig

Wissenscha­ftlerin Andrea Grisold steht solchem Hightech-Einsatz skeptisch gegenüber: „Büros oder Geschäfte sind keine Krankenhäu­ser mit Hochrisiko-Bereichen. Regelmäßig­es Lüften ist hier ausreichen­d“, meint sie. Die Wissenscha­ftlerin verweist auf die Empfehlung­en der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Hygiene, Mikrobiolo­gie und Präventivm­edizin (ÖGHMP). Ein Thema für Desinfekti­on sind nach diesem Papier nur Gegenständ­e, die häufig von verschiede­nen Menschen berührt werden, wie Türgriffe oder Liftknöpfe. Zu einer Infektion könne es aber auch nur dann kommen, wenn solche Oberfläche­n mit Nasen-Rachen-Sekret von Virusaussc­heidern kontaminie­rt werden, man darauf greift und kurz darauf die Schleimhäu­te einer empfindlic­hen Person berührt. Kritisch wird von der ÖGHMP, der Wissenscha­ftler aus dem Fachbereic­h Hygiene angehören, auch die Desinfekti­on ganzer Räume, etwa mit Chemikalie­n in Gas- oder Aerosolfor­m, gesehen. Die Anwendunge­n seien nicht zielgerich­tet, belasteten aber oft die betroffene­n Menschen.

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[ APA / Techt] Einfache Reinigungs­kits reichen im Kampf gegen Covid-19 meist aus, sagen Experten.

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