Unsicherheit bleibt ein Dauergast
Flugzeuge am Boden, Grenzen dicht: Für die Hotellerie könnte die Gegenwart nicht düsterer sein. Doch es gibt Lichtblicke.
Ein Gratis-Weekend in der Luxussuite: Der Grazer Hotelier Philipp Florian verschenkt sämtliche 68 Zimmer und Suiten seines Hauses Parkhotel Graz – Traditional Luxury since 1574 für das Pfingstwochenende. Keine Dumpingaktion, sondern ein Weckruf für die krisengeschüttelte Branche: „Wir sind gefordert, die Preise stabil zu halten, um auch in Zukunft Arbeitsplätze garantieren zu können“, sagt Florian. „Wenn ich einen Blick in das Reservierungsbuch werfe, sehe ich aber fast ausschließlich leere Seiten. Es wird eine gesamtgesellschaftliche und gesamtpolitische Anstrengung brauchen, um den Tourismus in Österreich am Leben zu erhalten.“
Marktkonsolidierung
Das wird nicht einfach, denn die Voraussetzung für eine Aktion wie diese ist, dass das Haus im Familienbetrieb ist und das Management daher selbst die Entscheidungen treffen kann. Die Mehrzahl der Hotels wurde und wird jedoch von und für Investoren entwickelt. Und diese wollen Geld verdienen. Deswegen setzen sie statt auf teure Marketingaktionen auf Durchtauchen – und stutzen ihre Expansionspläne zusammen. Das ehemalige Handelsgericht in der Riemergasse, das frühere Hotel Radisson Blue am Ring, ein Barockpalais neben der Meinl Bank am Bauernmarkt: nur drei von mehreren Adressen in der Wiener Innenstadt, an denen die geplanten Umbau- und Eröffnungspläne in weite Ferne gerückt sind. Denn auch wenn der Tourismus den Neustart plant, sind die hohen Wachstumsraten der vergangenen Jahre für eine Weile nicht vorstellbar.
Im Gegenteil, für viele der rund 4000 österreichischen Hotels geht es heuer ums nackte Überleben: „Eine gewisse Marktkonsolidierung wird kaum zu vermeiden sein“, sagt Felix Neuwirther, Head of Real Estate bei der Anwaltskanzlei Freshfields. „Vor allem bei Häusern mit niedriger Auslastung und hohen Fixkosten.“So werden auf
Kongressteilnehmer und BusinessReisende spezialisierte Häuser in Wiener Randlagen stark unter Druck kommen: Großkongresse wird es so bald nicht wieder geben, auch Geschäftsreisen fallen neben der Pandemie dem Rotstift und dem Trend Richtung Home-Office zum Opfer. Auch Luxushotels in der City bekommen Probleme – im Sacher etwa kamen bisher neun von zehn Gästen aus dem Ausland, die meisten aus Übersee. „Häuser mit einer Ausrichtung auf regionale Zielgruppen können von den Reise- und Flugbeschränkungen hingegen sogar profitieren“, ist Neuwirther überzeugt. Viele Österreicher würden den Urlaub heuer nämlich daheim verbringen (müssen).
Stunde der Schnäppchenjäger
Auch der Investmentmarkt wird länger leiden: Mit Nächtigungszuwächsen, die in Österreich jährlich im zweistelligen Prozentbereich lagen, galten Hotels vor dem März 2020 als Cashcows, die sich auf der Speisekarte der Investoren immer weiter nach oben arbeiteten. 2018 wurden laut Zahlen von Christie & Co. 400 Millionen Euro in Hotelimmobilien von Vorarlberg bis zum Burgenland gesteckt, im Vorjahr wurde die Milliarde bereits im Herbst geknackt, und zum Jahresende stand der Zähler bei 1,26 Milliarden Euro – um 40 Prozent über dem früheren Rekordjahr 2016.
Dieser Erfolgsrun ist vorerst vorbei. Denn mit knapp 80 Prozent Minus bei den Nächtigungen, wie im März in Wien beobachtet, lässt sich kein Hotel wirtschaftlich betreiben – und das Minus betrifft jedes Haus vom Hostel bis zum Fünf-Sterne-plus-Hotel.
Trotz der früheren Hochphase sind zudem die Reserven überschaubar. In Zeiten von Nullzinsen haben Pächter wie Eigentümer ihre Gewinne lieber in die Aufwertung der Zimmer gesteckt, als sie am Konto liegenzulassen. Betriebe, die schon vor der Coronakrise an der Kippe standen, werden es darüber hinaus äußerst schwer haben, Hilfe von ihren Kreditgebern oder vom Staat zu bekommen. Daher schlägt die Stunde der Schnäppchenjäger: „Nach einer Abwertung können diese Häuser eine Chance für eine größere Zahl von Investoren darstellen“, meint der Freshfields-Experte.
Auch laut dem Branchenexperten Martin Schaffer wird die Branche noch länger nicht genesen: Die Arbeitslosenzahlen im
Eine der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) ortet eine dramatische Situation: Jedes einzelne der insgesamt mehr als 4000 Hotels in Österreich hat im Durchschnitt 1,2 Millionen Euro an Umsatz eingebüßt. Für das Gesamtjahr wird mit Umsatzrückgängen gegenüber dem Vorjahr um 46 Prozent gerechnet und mehr als zwei Drittel der Hoteliers sind sicher, dass sie die Verluste im kommenden Jahr nicht ausgleichen können. Auch die Wiedereröffnung am 29. Mai werden nicht alle feiern: Nur die Hälfte plant eine Öffnung zu Pfingsten, der Rest denkt an einen Neustart nach der Grenzöffnung.
Tourismus würden selbst nach der Wiedereröffnung aller Hotels nicht auf das Vorjahresniveau sinken, da die Betreiber mit weniger Auslastung rechnen müssen. Pacht- und Mietverträge würden daher neu durchdacht, was die Renditen unter Druck bringt.
Alternative Konzepte
Wann es bei geplanten Projekten weitergeht, ist noch ungewiss, die Reaktion der Banken mittelfristig kaum abschätzbar. So halten sich selbst börsenotierte Hotelentwickler wie UBM und Warimpex mit Prognosen zurück. „Die Tourismusindustrie meistert Krisen aber erstaunlich gut und gilt ganz klar weiterhin als globale Wachstumsindustrie“, gibt sich Schaffer optimistisch. „Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 dauerte der Rebound lediglich zwölf Monate. China beispielsweise ist derzeit einen Monat voraus, und dort steigt die Auslastung wieder. Jetzt gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht in Panik zu verfallen.“Selbst wenn gar nichts hilft, muss man nicht unbedingt die Abrissbirne schwingen: „Umgestaltungen in Wohnungen, Serviced Apartments oder Kleinbüros sind teilweise jetzt schon zu beobachten“, sagt Neuwirther. „Richtig umgesetzt, können solche Konzepte eine gute Antwort auf die veränderte Nachfrage darstellen.“Und wenn der Lockdown, wie von Anwälten erwartet, einen Rattenschwanz an Prozessen nach sich zieht, könnte das Haus in der Riemergasse ja wieder als Gericht in Betrieb genommen werden.