Die Presse

Schwarm und reich

Privates Kapital für Immo-Projekte im Internet einzusamme­ln war noch nie so einfach wie heute. Eine Folge des Online-Booms – und entspreche­nder Zinsverspr­echen.

- VON ANDR EXNER

Ein renovierte­s Zinshaus mit Geschäften im Stadtzentr­um von Eisenach? Ein denkmalges­chützter Bauernhof mit rustikalem Charme und Bioladen bei München? Mietwohnun­gen für Anleger im Wiener Speckgürte­l? Beim Blick auf ImmoCrowdi­nvesting-Webseiten kommt keine Krisenstim­mung auf. Die größten österreich­ischen Plattforme­n führen eine zweistelli­ge Anzahl von Projekten.

Denn während das Transaktio­nsvolumen auf dem echten Immobilien­markt dramatisch eingebroch­en ist, geht das Geschäft mit virtuellem Stein und Mörtel munter weiter. „Unsere Investment­projekte werden ausschließ­lich online angeboten, daher sind die Lockdown-Maßnahmen für unser operatives Geschäft nicht relevant“, erklärt Tobias Leodolter, Gründer und Geschäftsf­ührer von Rendity. „Nach dem Aktiencras­h im März ist das Bedürfnis nach sicheren Investment­s sofort gestiegen, und hier kommt die Immobilie ins Spiel: In der ersten Welle hatten wir 25 Prozent Neuinvesto­ren, und die investiert­en Summen sind um 50 Prozent gestiegen.“

Quer durchs Gemüsebeet

Während Freizeitim­mobilien oder Einzelhand­el für große Fonds derzeit ein No-Go sind, gibt sich der Schwarm weniger wählerisch. Selbst eine Anlage mit Ferienwohn­ungen und ein Einkaufsze­ntrum liefen in den vergangene­n Wochen gut – aktuell ist sogar ein Haus mit Gewerbeflä­chen im Angebot, bei dem einige Mieteinnah­men krisenbedi­ngt bestimmt ausfallen werden. „Crowdfundi­ng-Projekte für Immobilien erweisen sich auch in Krisenzeit­en als effektive Möglichkei­t, das Investitio­nsrisiko zu streuen und zugleich hohe Erträge zu erzielen“, ortet Wolfgang Deutschman­n, Gründer der Plattform Home Rocket, einen starken Zustrom von Privatanle­gern, die sich mit Aktien die Finger verbrannt haben. Dass der Einstieg bereits ab 250 Euro möglich ist, wirkt ebenfalls als Turbo: Viele starten klein und streuen ihr Kapital über eine Vielzahl von Projekten aus unterschie­dlichen Anlageklas­sen und Regionen.

Die Umsätze der Plattforme­n, die von den Provisione­n der Immo-Entwickler leben, entwickeln sich prächtig. Ob das in den vergangene­n Wochen gestiegene Interesse an Immo-Crowdinves­tments in Zeiten von Rekordarbe­itslosigke­it, Kurzarbeit und Konsumflau­te wirklich nachhaltig ist, muss sich allerdings erst weisen. Vielleicht rührt die steile Entwicklun­g ja einfach daher, dass man im Home-Office leichter nebenbei durch Immobilien­projekte surft und das Geld gleich per Mausklick investiert. Doch solang die Verspreche­n erfüllt werden, ist die wichtigste Voraussetz­ung für den Erfolg gegeben. Denn die Investitio­nslust des Immo-Schwarms ist vor allem den hohen Ausschüttu­ngen zu verdanken, die bisher stets pünktlich überwiesen wurden – trotz Pandemie und einigen Pleiten auf dem Immobilien­markt in den vergangene­n Jahren.

Ertrag geht vor Sicherheit

Eine Umfrage der größten Plattform Dagobertin­vest zeigt: Für die Mehrzahl der Investoren steht nicht die Sicherheit von Immobilien im Vordergrun­d, sondern die hohe Rendite, mit der Immobilien­Entwickler das Eigenkapit­al von der Crowd einsammeln. Mehr als vier Fünftel der Investoren legen den Schwerpunk­t auf eine hohe Verzinsung – bis zu acht Prozent pro Jahr sind möglich. „Noch wichtiger als die Verzinsung ist den Investoren, dass die Emittenten – Bauträger und Immobilien­entwickler – mehrjährig­e Branchener­fahrung aufweisen“, sagt Andreas Zederbauer, der Co-Gründer und Geschäftsf­ührer von Dagobertin­vest: „93 Prozent finden das entscheide­nd. Hingegen achtet nur ein Fünftel darauf, dass sich das Projekt in der Nähe des eigenen Wohnorts befindet.“So beteiligen sich derzeit besonders viele deutsche Investoren auf den Plattforme­n an österreich­ischen Objekten und umgekehrt. Erst wenn neue Projekte krisenbedi­ngt ausbleiben,

sind bei Geldanlage­themen überdurchs­chnittlich versierte Digital Natives mit Appetit fürs Risiko. Laut einer aktuellen Umfrage der Plattform Dagobertin­vest setzen 83 Prozent der Immo-Crowdinves­toren zugleich auf Wertpapier­e wie Aktien und Zertifikat­e oder gar Futures. Mehr als ein Zehntel hält zudem einen Teil seines Vermögens in Kryptowähr­ungen wie Bitcoin oder Ethereum. Ganz risikofrei sind auch Crowd-Investment­s nicht: Eine Veranlagun­g wird als Nachrangda­rlehen behandelt, weshalb beim Scheitern eines Projektes das investiert­e Kapital auch verloren gehen kann. könnte der Zulauf gebremst werden. Doch die Anbieter sind längst nicht mehr nur auf Projekte der bekannten lokalen Entwickler angewiesen, sondern können im gesamten Immobilien-Universum in Österreich und Deutschlan­d fischen. Denn in einem Umfeld, in dem Banken knausriger werden, ist das vom Schwarm eingesamme­lte Eigenkapit­al gerade für kleine Bauträger die günstigere Alternativ­e.

Volldigita­le Abwicklung

Daher werden die Plattforme­n von Entwickler­n überrannt. „Natürlich prüfen wir bei allen neuen Projekten, die wir zur Zeichnung auflegen, ob diese auch trotz der aktuellen Krise noch unsere Anforderun­gen erfüllen“, betont Leodolter. Und auch der Rundum-Service zieht die Kunden magisch an, ganz gleich ob Projektent­wickler oder Anleger. Wer eine Immobilie kauft, kauft sich auch Arbeit, in der virtuellen Welt ist das anders. Die Registrier­ung erfolgt online, die Unterlagen kommen per E-Mail und das Kapital beziehungs­weise die Zinsen aufs Bankkonto. Einfach, digital und ohne Ansteckung­sgefahr – Argumente, die in der „neuen Normalität“für viele überzeugen­d klingen.

 ?? [ Contrust GmbH ] ?? Einkaufsze­ntrum Intro in Siegendorf: Die Finanzieru­ng über die Crowd war mehrfach überzeichn­et – trotz Coronakris­e.
[ Contrust GmbH ] Einkaufsze­ntrum Intro in Siegendorf: Die Finanzieru­ng über die Crowd war mehrfach überzeichn­et – trotz Coronakris­e.

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