Schwarm und reich
Privates Kapital für Immo-Projekte im Internet einzusammeln war noch nie so einfach wie heute. Eine Folge des Online-Booms – und entsprechender Zinsversprechen.
Ein renoviertes Zinshaus mit Geschäften im Stadtzentrum von Eisenach? Ein denkmalgeschützter Bauernhof mit rustikalem Charme und Bioladen bei München? Mietwohnungen für Anleger im Wiener Speckgürtel? Beim Blick auf ImmoCrowdinvesting-Webseiten kommt keine Krisenstimmung auf. Die größten österreichischen Plattformen führen eine zweistellige Anzahl von Projekten.
Denn während das Transaktionsvolumen auf dem echten Immobilienmarkt dramatisch eingebrochen ist, geht das Geschäft mit virtuellem Stein und Mörtel munter weiter. „Unsere Investmentprojekte werden ausschließlich online angeboten, daher sind die Lockdown-Maßnahmen für unser operatives Geschäft nicht relevant“, erklärt Tobias Leodolter, Gründer und Geschäftsführer von Rendity. „Nach dem Aktiencrash im März ist das Bedürfnis nach sicheren Investments sofort gestiegen, und hier kommt die Immobilie ins Spiel: In der ersten Welle hatten wir 25 Prozent Neuinvestoren, und die investierten Summen sind um 50 Prozent gestiegen.“
Quer durchs Gemüsebeet
Während Freizeitimmobilien oder Einzelhandel für große Fonds derzeit ein No-Go sind, gibt sich der Schwarm weniger wählerisch. Selbst eine Anlage mit Ferienwohnungen und ein Einkaufszentrum liefen in den vergangenen Wochen gut – aktuell ist sogar ein Haus mit Gewerbeflächen im Angebot, bei dem einige Mieteinnahmen krisenbedingt bestimmt ausfallen werden. „Crowdfunding-Projekte für Immobilien erweisen sich auch in Krisenzeiten als effektive Möglichkeit, das Investitionsrisiko zu streuen und zugleich hohe Erträge zu erzielen“, ortet Wolfgang Deutschmann, Gründer der Plattform Home Rocket, einen starken Zustrom von Privatanlegern, die sich mit Aktien die Finger verbrannt haben. Dass der Einstieg bereits ab 250 Euro möglich ist, wirkt ebenfalls als Turbo: Viele starten klein und streuen ihr Kapital über eine Vielzahl von Projekten aus unterschiedlichen Anlageklassen und Regionen.
Die Umsätze der Plattformen, die von den Provisionen der Immo-Entwickler leben, entwickeln sich prächtig. Ob das in den vergangenen Wochen gestiegene Interesse an Immo-Crowdinvestments in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Konsumflaute wirklich nachhaltig ist, muss sich allerdings erst weisen. Vielleicht rührt die steile Entwicklung ja einfach daher, dass man im Home-Office leichter nebenbei durch Immobilienprojekte surft und das Geld gleich per Mausklick investiert. Doch solang die Versprechen erfüllt werden, ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg gegeben. Denn die Investitionslust des Immo-Schwarms ist vor allem den hohen Ausschüttungen zu verdanken, die bisher stets pünktlich überwiesen wurden – trotz Pandemie und einigen Pleiten auf dem Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren.
Ertrag geht vor Sicherheit
Eine Umfrage der größten Plattform Dagobertinvest zeigt: Für die Mehrzahl der Investoren steht nicht die Sicherheit von Immobilien im Vordergrund, sondern die hohe Rendite, mit der ImmobilienEntwickler das Eigenkapital von der Crowd einsammeln. Mehr als vier Fünftel der Investoren legen den Schwerpunkt auf eine hohe Verzinsung – bis zu acht Prozent pro Jahr sind möglich. „Noch wichtiger als die Verzinsung ist den Investoren, dass die Emittenten – Bauträger und Immobilienentwickler – mehrjährige Branchenerfahrung aufweisen“, sagt Andreas Zederbauer, der Co-Gründer und Geschäftsführer von Dagobertinvest: „93 Prozent finden das entscheidend. Hingegen achtet nur ein Fünftel darauf, dass sich das Projekt in der Nähe des eigenen Wohnorts befindet.“So beteiligen sich derzeit besonders viele deutsche Investoren auf den Plattformen an österreichischen Objekten und umgekehrt. Erst wenn neue Projekte krisenbedingt ausbleiben,
sind bei Geldanlagethemen überdurchschnittlich versierte Digital Natives mit Appetit fürs Risiko. Laut einer aktuellen Umfrage der Plattform Dagobertinvest setzen 83 Prozent der Immo-Crowdinvestoren zugleich auf Wertpapiere wie Aktien und Zertifikate oder gar Futures. Mehr als ein Zehntel hält zudem einen Teil seines Vermögens in Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum. Ganz risikofrei sind auch Crowd-Investments nicht: Eine Veranlagung wird als Nachrangdarlehen behandelt, weshalb beim Scheitern eines Projektes das investierte Kapital auch verloren gehen kann. könnte der Zulauf gebremst werden. Doch die Anbieter sind längst nicht mehr nur auf Projekte der bekannten lokalen Entwickler angewiesen, sondern können im gesamten Immobilien-Universum in Österreich und Deutschland fischen. Denn in einem Umfeld, in dem Banken knausriger werden, ist das vom Schwarm eingesammelte Eigenkapital gerade für kleine Bauträger die günstigere Alternative.
Volldigitale Abwicklung
Daher werden die Plattformen von Entwicklern überrannt. „Natürlich prüfen wir bei allen neuen Projekten, die wir zur Zeichnung auflegen, ob diese auch trotz der aktuellen Krise noch unsere Anforderungen erfüllen“, betont Leodolter. Und auch der Rundum-Service zieht die Kunden magisch an, ganz gleich ob Projektentwickler oder Anleger. Wer eine Immobilie kauft, kauft sich auch Arbeit, in der virtuellen Welt ist das anders. Die Registrierung erfolgt online, die Unterlagen kommen per E-Mail und das Kapital beziehungsweise die Zinsen aufs Bankkonto. Einfach, digital und ohne Ansteckungsgefahr – Argumente, die in der „neuen Normalität“für viele überzeugend klingen.