„Die öffentliche Hand soll Projekte vorziehen“
Interview. Iris Ortner, Geschäftsführerin der IGO Industries, ist sicher, dass die Baubranche in einem Jahr als Folge von Corona einen Einbruch erleben wird. Um die Krise zu bewältigen, sei es notwendig, Investitionen steuerlich zu begünstigen.
Die Presse: Die Baubranche hat die Coronapandemie nicht so hart getroffen wie andere. Nachdem viele Baustellen Mitte März geschlossen wurden, konnten die Arbeiten wenige Tage später unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen überall wieder aufgenommen worden.
Iris Ortner: Nicht überall, es herrscht immer noch nicht Normalbetrieb. Aber Sie haben Recht, im Vergleich zu anderen Branchen haben wir Glück. Schließlich mussten wir nicht neun Wochen zusperren so wie die Gastronomie.
Und Jänner und Februar waren warme Monate, die Baufirmen konnten den Winter quasi durcharbeiten.
Das stimmt, es hätte ein super Jahr werden können. Klar ist aber, dass die Baubranche und alle zuliefernden Gewerke noch einmal einen Einbruch erleben werden. In zwölf bis 18 Monaten werden wir die Auswirkungen zum zweiten Mal spüren, und zwar stärker als jetzt. Denn größere Projekte werden immer mit großem zeitlichen Vorlauf geplant. Doch alle Unternehmen, die jetzt finanziell an ihre Grenzen stoßen, müssen ihre Investitionen zurückstellen. Wenn ich mir nicht sicher bin, wie es mit meinem Betrieb weitergehen wird, baue ich keinen neuen Firmenstandort und vergrößere ihn auch nicht. Viele Aufträge, über die jetzt nachgedacht worden wäre, fallen weg.
Merken Sie das schon?
Ja, gerade in der Industrie wurden einige Vergabeverfahren nun gar nicht begonnen oder Projekte, die kurz vor der Vergabe standen, doch nicht vergeben.
Gilt das auch für Infrastrukturprojekte der öffentlichen Hand? Das hoffe ich nicht. Es wäre extrem sinnvoll, wenn die öffentliche Hand gerade jetzt wichtige Projekte vorzieht und zu planen beginnt. Dann hat sie etwas in der Schublade, wenn die Baukonjunktur zu schwächeln beginnt. Das hätte auch für den öffentlichen Auftraggeber Vorteile: Er könnte seine Vorhaben zu relativ günstigen Preisen umsetzen. Denn der Markt – und jetzt spreche ich zu unserem eigenen Nachteil – wird nach neuen Projekten hungern.
Wie sehen Sie dem kommenden Sommer entgegen?
Die schlimmsten Probleme haben wir gelöst. Es fehlen uns zwar immer noch da und dort Mitarbeiter aus dem Ausland, aber das wird täglich besser. Allerdings: Um die strengeren Sicherheitsmaßnahmen, die seit Covid-19 gelten, umzusetzen, bedarf es einer aufwendigen Organisation und Logistik. Die Einhaltung der Regeln führt zu einer Verzögerung des Arbeitsablaufs, weil ja stets verhindert werden muss, dass zu viele Menschen gleichzeitig an einem Ort sind.
Auf manchen Baustellen haben Sie sofort wieder zu arbeiten begonnen, bei anderen hat man sich mehr Zeit gelassen. Wie haben Sie die Prioritäten gesetzt? Grundsätzlich waren wir immer arbeitsbereit. Aber wir sind ein Haustechnik-Unternehmen und von der Entscheidung des Bauherren bzw. des Generalunternehmers abhängig. Und die agierten sehr unterschiedlich. Die Asfinag hat alle Baustellen sofort eingestellt. Die ÖBB sagte wiederum: „Beschleunigt eure Arbeit, denn jetzt sind weniger Züge unterwegs.“Es gab auch Industrieunternehmen, denen es am wichtigsten war, die eigene Produktion nicht zu gefährden. Sie wollten keine fremden Leute mehr am Gelände haben, um die eigenen Mitarbeiter zu schützen. Kurz: Diese Phase hat uns sehr viel Flexibilität abverlangt.
Wer die hohen Verzögerungsund Zusatzkosten zu tragen hat, die aufgrund der Covid-19-Pandemie entstanden sind, hängt von der vertraglichen Gestaltung ab. Wie aber eruieren Sie die Höhe dieser Kosten?
Da sind wir noch sehr am Anfang. Denn wir alle waren damit beschäftigt, so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen. Nun müssen wir erheben, wie der Stand vor der Unterbrechung war und auch, wie viel teurer nun alles wird. Obwohl man aufgrund der Verträge zuordnen können wird, ob der Auftraggeber oder der Auftragnehmer die Kosten tragen muss, sollten sich doch beide Teile sehr darum bemühen, eine faire Lösung zu finden.
Das heißt?
Als Auftragnehmer werde ich dem Bauherren nicht einfach irgendwelche Beträge abverlangen können, sondern mich mit ihm einigen müssen, wie man Verzögerungen bewertet und wem man dafür einen Vorwurf machen kann. Das Problem ist, dass die Verzögerungen meist nicht nur einer Firma zuzuschreiben sein werden, denn auf einer Baustelle arbeiten Fliesenleger, Installateur, Elektriker und viele mehr Hand in Hand.
Das riecht nach einer Menge an Rechtsstreitigkeiten in der Zukunft. Schließlich geht es um viel Geld.
Streitigkeiten gibt es bei Bauprojekten immer – und jetzt sicher auch. Sie werden uns beschäftigen, auch wenn wir das nicht wollen. Das wird spannend. Bei neuen Projekten wird man im Vorhinein festlegen müssen, unter welchen Annahmen Angebote gelegt werden sollen. Es muss für alle klar sein, ob man weiter von den verschärften Maßnahmen am Bau ausgeht und wenn ja, für wie lang. Sonst sind die Angebote nicht miteinander vergleichbar.
Wie wappnen Sie sich für die schlechten Zeiten, die Sie der Baubranche voraussagen?
Wir werden die Ärmel aufkrempeln und versuchen, rechtzeitig unsere Auftragsbücher zu füllen. Eine politische Maßnahme, die der Baubranche helfen würde, wäre die Begünstigung von Investitionen durch erhöhte Abschreibungen gleich zu Beginn. Das ist freilich keine neue Idee, die hatte schon Hannes Androsch, als er in den 1970ern Finanzminister war. Auf diese Weise würde man privaten Investoren den Anreiz geben, ihr Geld jetzt in Umlauf zu bringen.
Große Diskussionen gibt es derzeit darüber, ob Aktiengesellschaften angesichts der Krise Dividenden ausschütten sollen.
Ob eine Dividende ausgeschüttet werden soll, muss sich jede AG jedes Jahr fragen. Natürlich müssen dieses Jahr die Folgen von Corona mitberücksichtigt werden. Wenn 2019 gut war und die Organe zum Schluss kommen, eine Dividende lässt sich aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens rechtfertigen, spricht vieles dafür, sie auszuzahlen. Es freuen sich ja schließlich nicht nur Großaktionäre darüber, sondern genauso Pensionsfonds und Einzelanleger. Bekommen sie kein Geld, fehlt es ihnen, und das Vertrauen in den Aktienmarkt sinkt. Und im kommenden Jahr wird sich die Diskussion über Dividenden, so befürchte ich, bei vielen Gesellschaften ohnehin erübrigen.
Wie läuft es bei der prominentesten Baustelle Österreichs, dem Parlament?
Das ist ein spannendes und unglaublich komplexes Projekt, weil es ein denkmalgeschütztes Gebäude mitten in der Stadt ist. Im Zweiten Weltkrieg war es stark beschädigt und es gab viele Reparaturen. Im Tun kommt man nach und nach drauf, dass vieles anders ist, als es die Pläne vorausgesagt haben. Es wurden in hohem Ausmaß asbesthaltige Materialien verbaut und es haben sich auch statische Probleme gezeigt. Aber das ist bei einem alten Gebäude normal.
Das heißt, auch ohne Corona wäre es zu beträchtlichen Verzögerungen gekommen?
Ja, schon. Aber das Parlament ist ein historisches Gebäude und soll eine repräsentative Rolle in unserem Land spielen. Das Thema Kosten ist wichtig, aber man sollte sich auch gut überlegen, was man will und es dann in der entsprechenden Qualität umsetzen. Und sicher wird sich Corona auf die Fertigstellung auch auswirken. Wie sehr, kann ich nicht sagen, das müssen Sie die Bauherren fragen.