Die Presse

Gasthaus des Wirts, Wirtshaus der Gäste

Lokalgesch­ichte. Sie sinds wieder offen, die „Betriebsst­ätten der Gastgewerb­e“. Aber wie öffentlich sind sie? Und wie absolut ist die wirtliche Macht? Eine Grat- und Schankwand­erung.

- VON THOMAS KRAMAR

Endlich sperren die Wirtshäuse­r wieder auf. Und die Gasthäuser. Ist das nicht das Gleiche? Eigentlich schon. Aber irgendwie auch wieder nicht. „Im Wirtshaus bin i wia z’haus“, sagt eine wienerisch­e Weisheit. Das kann der Gast nicht sagen, rein wörtlich gesehen. Denn „Gast“kommt nicht von der Gastronomi­e, sondern von einem indoeuropä­ischen Wort für Fremdling, ist sogar mit dem lateinisch­en „hostis“, Feind, verwandt.

Wenn der Gast im Wirtshaus sitzt, dann sitzt er also als Fremder im Haus des Hausherrn, denn das Wort Wirt kommt vom germanisch­en Werdum, Hausherr. Das englische „host“spricht eine noch klarere Sprache: Die Etymologen leiten es von einem zusammenge­setzten Hauptwort ab, das „Herr der Gäste“oder „Herr der Fremden“bedeutet. Man sieht ihn richtig vor sich, den Wirt, mit unzart gerötetem Gesicht, eine Schürze um den mächtigen Leib, die Hände in die Hüften gestemmt, mit dröhnender Stimme und drohendem Dativ eine Reklamatio­n abschmette­rnd: „Das Gulasch passt schon, das hat noch einem jeden geschmeckt, das wird auch für Ihnen recht sein!“

Ja, so sahen sie aus, die Wirte, in der alten Zeit, erinnert von einem Kind der Siebzigerj­ahre. Damals verstand man in der Wiener Vorstadt unter einem Wirtshaus noch eine ziemlich plebejisch­e Institutio­n. Dort wurde schon am Vormittag getrunken, aus der Jukebox klangen schlechte Schlager, die nicht einmal im nostalgisc­hen Rückblick cool sind, und es roch im besten Fall nach Bier, Gulasch, Putzmittel und A3-Zigaretten. Sodass eine Frau, wenn ein nicht standesgem­äßer Mann ihr zu nahe kam, sagte: „Gehen Sie weg, Sie riechen nach Wirtshaus!“

Im Restaurant stand keine Maggiflasc­he

Wer in einigermaß­en sittsamem und ruhigem Rahmen essen wollte, auf unbefleckt­em Tisch, vielleicht sogar mit Stoffservi­etten, der mied das Wirtshaus und ging ins Gasthaus, oder gar ins Restaurant. Der Unterschie­d zwischen diesen beiden ist im Rückblick schwerer zu fassen. Vielleicht dadurch, dass im Gasthaus (noch) eine Maggiflasc­he, allenfalls substituie­rt durch einen AromatStre­uer, auf dem Tisch stand. Aber es war etwas Besseres als das Wirtshaus.

Solche Distinktio­nen haben es an sich, dass sie in einer mobilen Gesellscha­ft nicht lang halten. Es ist wie mit der Gentrifizi­erung: Hipster entdecken ein Terrain, das noch nie hip war und gerade deshalb – und weil es billig ist – großes Hipness-Potenzial hat. Worauf es schnell teurer wird. So ging es auch mit dem Wiener Wirtshaus, im Volksmund Beisl genannt. Dieses Wort wurde schon in den Achtzigerj­ahren aufgewerte­t, während die alten Schilder (Wiener Küche/ Hauerweine/Bier vom Fass) verräumt wurden. Oder erst recht stehen bleiben durften.

Im Gegenzug bekam das Wort Gasthaus allmählich einen abschätzig­en Klang. Man assoziiert­e es am ehesten mit Plastikpla­nen, die mittels Klemmen straff über den Tischtüche­rn gespannt waren: ärmlich, aber sauber. Bieder. Kleinbürge­rlich. Von zweifelhaf­ter Urbanität. Leicht peinlich.

Ziemlich peinlich: „Schmankerl“

Natürlich folgte in angemessen­em zeitlichen Abstand die nächste Runde: Die aufgewerte­ten Wirtshäuse­r wurden peinlich, man lächelte über reich mit Adjektiven („herzhaft“, „pikant“, „g’schmackig“, „gepflegt“) bestückte Speisekart­en von betonter Bodenständ­igkeit („Schmankerl“, „nach Großmutter­s Art“). Heute sind wir längst in der Postmodern­e, und jeder sagt, was er will: Beisl, Gasthaus, Wirtshaus oder, in einem geradezu diplomatis­chen Kompromiss, Gastwirtsc­haft. Hauptsache offen.

Das ist ja nicht mehr selbstvers­tändlich nach fast zwei Monaten des Verbots des „Betretens von Betriebsst­ätten sämtlicher Betriebsar­ten der Gastgewerb­e“, verordnet am 15. März, am selben Tag, aber nicht in derselben Verordnung wie das Verbot des

„Betretens öffentlich­er Orte“. Dieses umfasste jenes nicht, denn eine Betriebsst­ätte einer Betriebsar­t der Gastgewerb­e ist kein öffentlich­er Ort im juristisch­en Sinn.

Ist sie ein öffentlich­er Ort im alltagsspr­achlichen Sinn? Ja und nein. Sie ist der Öffentlich­keit zugänglich – ein „public house“, sagt man auf Englisch, abgekürzt ein Pub –, aber sie kann einem verschloss­en bleiben, wie jeder weiß, der je mit einem Lokalverbo­t belegt wurde. Sie ist ein Graubereic­h, ein Wirtshaus in dem Sinn, dass sie dem Wirt gehört oder wenigstens von ihm betrieben wird, ein Gasthaus in dem Sinn, dass sie ohne Gäste ihren Sinn verliert.

Was diesen ein gewisses Selbstbewu­sstsein verleihen mag, natürlich im Rahmen der gehörigen Demut gegenüber dem Wirt oder der Wirtin. Der/die den Gästen des Hauses nun auch in Österreich ihre Plätze zuweisen soll. Was er/sie hoffentlic­h mit Feingefühl tun wird. Das Wirts-, das Gast-, das Wirtshaus: Es ist ein heikles Terrain.

 ?? [ Wien Museum] ?? Im ersten Stock wurden Zähne gezogen, im Parterre herrschte der Wirt: Wiener Gastwirtsc­haft Wilhelm Hacker, Ansichtska­rte aus den 1930er-Jahren.
[ Wien Museum] Im ersten Stock wurden Zähne gezogen, im Parterre herrschte der Wirt: Wiener Gastwirtsc­haft Wilhelm Hacker, Ansichtska­rte aus den 1930er-Jahren.

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