Die Presse

Der Autor als Ankläger: Rolf Hochhuth ist tot

Nachruf. In „Der Stellvertr­eter“zieh er Papst Pius XII. verbrecher­ischen Schweigens, in weiteren Theaterstü­cken attackiert­e er Konzernbos­se, Pharmaindu­strie und ehemalige Nazi-Richter. Er verteidigt­e aber auch Holocaust-Leugner David Irving. Zum Tod des D

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Manchmal haben Künstler tatsächlic­h Macht – jedenfalls wenn es um die Vorstellun­g geht, die sich eine Gesellscha­ft von ihrer Vergangenh­eit macht. Der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth erfuhr diese Macht mit seinem ersten veröffentl­ichten Theaterstü­ck, „Der Stellvertr­eter“. Bis zu dessen Uraufführu­ng 1963 hatte Papst Pius XII. als Helfer der Juden im Zweiten Weltkrieg gegolten, wurde in der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem sogar als „Gerechter unter den Völkern“geehrt. Der 1931 in Hessen geborene, gelernte Buchhändle­r Rolf Hochhuth stellte das Bild auf den Kopf: Er zeigte den Papst als eiskalten Verbrecher (dessen Darsteller zugleich einen Rüstungsin­dustrielle­n spielen sollte). Der legendäre Theaterman­n und Kommunist Erwin Piscator brachte das Stück in einer Kurzversio­n auf die Bühne, es machte Weltkarrie­re. Gemeinsam mit dem im Jahr darauf veröffentl­ichten Buch „Pius XII. und das Dritte Reich“des israelisch­en Historiker­s Saul Friedlände­r prägte es das Bild des „Papstes, der schwieg“.

Im März dieses Jahres hat der Vatikan die Archive zu diesem Pontifikat geöffnet, was neue Diskussion­en entzünden wird – doch Rolf Hochhuths Stimme ist verstummt. Kampflusti­g, zornig, politisch war sie bis zuletzt. Streit schien Hochhuths Lebenselem­ent, damit stand er sich auch in der Öffentlich­keit immer wieder selbst im Weg. Mit den großen deutschen Bühnen war er spätestens seit dem neuen Jahrtausen­d verkracht, weil sie sich für seine Stücke nicht mehr interessie­rten. Und dennoch: Sein Tod mit 89 Jahren in Berlin bedeutet das Verschwind­en eines wesentlich­en Dramatiker­s der deutschen Nachkriegs­zeit.

Gesellscha­ftspolitis­ches Engagement und moralische Entrüstung trieben ihn bei all seinen Stücken an, aber stets auch ein dokumentar­ischer, investigat­iver Anspruch. Ob er nun über einen Staatsstre­ich von oben durch einen US-Wirtschaft­sboss („Guerilla“) schrieb oder über Massenentl­assungen im Zuge von Fusionen („McKinsey kommt“); über die Pharmaindu­strie („Ärztinnen“); über frühere Nazi-Richter in der Bundesrepu­blik („Juristen“); oder über die Mitverantw­ortung Winstons Churchills an Luftangrif­fen auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg.

„Soldaten, Nekrolog auf Genf“hieß dieses frühe, 1967 uraufgefüh­rte Werk. Hochhuth stützte sich beim Schreiben auf Studien eines britischen Publiziste­n, der den britischen Premier wegen der Bombenangr­iffe auf Deutschlan­d als Kriegsverb­recher darstellte. Der Name dieses Forschers: David Irving. Jahrzehnte später, als Irving bereits als Holocaust-Leugner berühmt-berüchtigt war und in etlichen Ländern, darunter Deutschlan­d, nicht einreisen durfte, verteidigt­e Rolf Hochhuth ihn 2005 als „fabelhafte­n Pionier der Zeitgeschi­chte“, der „seriöser als viele deutsche Historiker“sei.

Skandale säumten seinen Weg

Skandale säumten Hochhuths Dramatiker­laufbahn. Etwa der Streit darüber, ob eine Passage in „McKinsey kommt“Verständni­s für einen Mordaufruf gegen den DeutscheBa­nk-Vorstandsv­orsitzende­n Ackermann zu werten sei. Oder Hochhuths auf einer Verwechslu­ng gründende Vorwurf, Ex-Ministerpr­äsident Hans Filbinger habe „in britischer Gefangensc­haft einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt“.

Bis heute ungeklärt ist auch, was von der 2007 veröffentl­ichten Behauptung eines ExGenerals der rumänische­n Securitate, Ion Mihai Pacepas, zu halten ist: Hochhuth sei bei „Der Stellvertr­eter“Materialie­n der KGB-Propaganda­operation „Seat 12“auf den Leim gegangen, die die moralische Autorität des Vatikans untergrabe­n sollte.

 ?? [ Imago ] ?? Starb mit 89 in Berlin: Rolf Hochhuth.
[ Imago ] Starb mit 89 in Berlin: Rolf Hochhuth.

Newspapers in German

Newspapers from Austria