Du sollst Aggressionen unterlassen!
Die Zehn Gebote für all jene, die sich jetzt öffentlich zur Coronakrise zu Wort melden, könnten in etwa so lauten.
Seit wir mit Corona leben müssen, ist es unüberschaubar geworden, wer sich mit welcher „Message“öffentlich zu Wort meldet. Neben den Verantwortungsträgern in Politik und Gesellschaft sind es vor allem jene, die endlich einmal sagen wollen, was sie schon immer vermutet haben und wofür ihnen die Pandemie den letzten Beweis liefert.
War es in früheren Pest- und Cholerazeiten Gott, der in die Rolle des Rächers gedrängt wurde, ist es in der säkularisierten Form von heute die Natur, die sich am Menschen rächt. Weil dieser, so die Bußprediger von heute, an allen Ecken und Enden Schuld auf sich geladen habe. Und da stehen sie einander gegenüber, oft unversöhnlich und apodiktisch: der Schutz von Gesundheit und von Wirtschaft, von Isolation und Freiheit, von Solidarität und Egozentrik, von Nähe und Distanz, von Schließung und Öffnung, von
Theorie und Praxis. Trotz oder gerade wegen der vielen unterschiedlichen Nachrichten ist das Nichtwissen über Corona nach wie vor größer als das gesicherte Wissen. Noch immer können mit letzter Sicherheit keine Aussagen über Herkunft, Genese und Wirkkraft des Virus gemacht werden. Schuldzuweisungen und Propaganda dominieren das Bild. Dabei wäre schon viel gewonnen gewesen, wenn man den frühen warnenden Stimmen Gehör geschenkt hätte. Wenn solche aber von der vermeintlich falschen Seite kommen, werden sie lieber ignoriert. Dass in so einer Situation unzulängliche und aggressive Kommentare einen guten Nährboden gefunden haben, ist nicht verwunderlich.
Die ethische und normative Metaebene zu berücksichtigen, ist unabdingbar. Ein Dekalog hilfreich. Zehn Gebote für alle, die sich öffentlich zu Wort melden, könnten in Coronazeiten zum Beispiel so lauten:
1. Gebot: Du sollst dich nur zu Wort melden, wenn du wirklich etwas zu sagen hast!
2. Gebot: Du sollst deine Expertise in den Dienst der Sache stellen!
3. Gebot: Du sollst ideologische Engführungen vermeiden!
4. Gebot: Du sollst parteipolitisches Hickhack unterlassen!
5. Gebot: Du sollst Profilierungsversuche auf dem Rücken der Krise vermeiden!
6. Gebot: Du sollst Kritik konstruktiv äußern!
7. Gebot: Du sollst mit deiner Kompetenz zur Lösung beitragen!
8. Gebot: Du sollst Aggressionen unterlassen!
9. Gebot: Du sollst niemand ohne Grund schlechte Absichten unterstellen!
10. Gebot: Du sollst hilfreich sein und heilsam!
Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer, lehrt Rechtsethik im Doktoratsstudium der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck. Sein Forschungsschwerpunkt: der Mensch im Recht.