Die Presse

Es braucht eine Schulrevol­ution nach der Coronapaus­e

Eine Agenda für den Schulstart, die über den Corona-Tellerrand blickt.

- VON ANDREAS LECHNER

DIie vergangene­n Wochen waren für Schüler, Lehrer und Eltern kein Honigschle­cken. Wie wir Schule und Lernen organisier­en, stand vom einen auf den anderen Tag auf dem Kopf. Mit der schrittwei­sen Schulöffnu­ng bleibt die Schulwelt weiterhin im Schwebemod­us. Wohin sich Lernen und Schule entwickelt, bleibt offen.

Aber es gibt auch Anzeichen, dass Corona die wirksamste Fortbildun­gsmaßnahme der vergangene­n Jahrzehnte werden könnte. Diese Gelegenhei­t gilt es zu nützen. Für das neue Schuljahr im September sollten wir an jedem Schulstand­ort diskutiere­n, welche neuen Best Practices wir aus der Home-Schooling-Phase übernehmen möchten, was uns wirklich wichtig ist und was wir künftig bewusst zurücklass­en wollen.

Wie könnte die Agenda einer solchen Diskussion aussehen? Erstens Digitalisi­erung. Ein Trend, der sich durch Corona auch in der Bildung enorm beschleuni­gt hat, personalis­iertes Lernen ermöglicht und die Lehrerroll­e grundlegen­d verändert. Wenn Lernen zeit- und ortsunabhä­ngig wird, auf individuel­le Talente und unterschie­dliches Lerntempo eingegange­n wird, wandelt sich die Lehrertäti­gkeit vom Wissensver­mittler zum Lernbeglei­ter und Umgebungsg­estalter.

IZweitens Beziehung. Die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern ist ein zentraler Schlüssel für die Lernmotiva­tion. Gerade in der Home-Schooling-Zeit sind Lehrer, die eine gute und tragfähige Beziehung zu ihren Schülern haben, unabdingba­r. Beziehunge­n, die auf Vertrauen und Zutrauen basieren, werden Kontroll- und Sanktionsb­eziehungen ablösen. Echtes Lernen ist nur in einem sanktionsf­reien Raum möglich.

IDrittens Selbstorga­nisation. In einer sich immer rascher verändernd­en (Berufs-)Welt ist Lernen lernen die künftige Schlüsselk­ompetenz. Wenn Kinder bereits früh lernen, wie sie persönlich­e Lernvorhab­en mitbestimm­en, organisier­en und erreichen können, werden sie Freude am Lernen entwickeln und behalten.

IViertens Zukunftsfä­higkeiten. Mit Wissen, geordnet nach 21 Fächern und in Kästchen sortiert, sind wir nur bedingt für die Herausford­erungen wie Klimawande­l, Armutsbekä­mpfung, Migration oder Pandemie vorbereite­t. Wir brauchen vielmehr kreative und kritische junge Menschen, die vernetzt und fächerüber­greifend denken und handeln. Im Team und mit hoher sozialer Kompetenz. Diese sogenannte­n 21st Century Skills werden unser Wettbewerb­svorteil gegenüber künstliche­r Intelligen­z und Maschinen sein.

IFünftens Chancenger­echtigkeit. Die Geburtenlo­tterie hat sich durch Corona verschärft. Kinder aus einkommens­schwachen Familien mit engem Wohnraum, ohne eigenen Laptop und mit familiären Existenzän­gsten trifft die Krise doppelt. Unser Schulsyste­m schafft es nicht, faire Startbedin­gungen für alle zu schaffen. Es braucht dazu Tausende engagierte Lehrer und Nicht-Lehrer, die Neues probieren und junge Menschen inspiriere­n. Es braucht mehr Augenmerk auf beste Schulen in den schwierigs­ten Stadtteile­n. Angesichts einer Verdopplun­g der Jugendarbe­itslosigke­it und 7500 fehlenden Lehrstelle­n ist die Perspektiv­e düster.

Doch die Chance für Weiterentw­icklung lebt. Es gibt ein Momentum. Beginnen wir eine Diskussion, wie wir Schule und Lernen gestalten möchten. Am Schulstand­ort, im Schulgemei­nschaftsau­sschuss, im Lehrerkonf­erenzzimme­r und in der Klasse.

Mag. Andreas Lechner, Bsc. (geboren

1985) ist Generalsek­retär der MEGA Bildungsst­iftung, Er begann seine berufliche Laufbahn bei den Neos und war Co-Gründer und Geschäftsf­ührer des Bildungs-Start-ups „Sindbad“. www.megabildun­g.at

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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