Die Presse

Corona-Kosten: Wir werden uns noch wundern, was möglich ist

Ein Staat, der eine Pandemie mit rabiaten Methoden bekämpft, könnte ähnlich drastische Instrument­e auch anwenden, wenn er deshalb viel Geld braucht.

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Die meisten heute lebenden Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Welt gekommen sind, haben fest verinnerli­cht, dass der Staat in aller Regel gleichsam moderat, kalkulierb­ar, und vor allem ohne erratische Sprünge in seinem Verhalten agiert. Klar, mal werden Steuern höher, mal dieses oder jenes Verhalten verboten oder manchmal auch erlaubt, gelegentli­ch wird er bürokratis­ch lästig und manchmal auch richtig unangenehm. Aber all das spielt sich seit vielen Jahrzehnte­n in einem relativ engen Korridor des Erwartbare­n, des Einschätzb­aren ab.

Deswegen reagieren die meisten von uns auf die Vorstellun­g, der Staat könne plötzlich aus diesem vertrauten Denkmuster ausbrechen und zu völlig unerwartet­en, radikalen und in der Regel extrem unerfreuli­chen Maßnahmen greifen, grundsätzl­ich mit einem Gedanken, der ungefähr lautet: „Das kommt nie, das können die doch nicht so machen.“

Doch seit einigen wenigen Wochen wissen wir: Doch, das können die sehr wohl. Wer vor einem Jahr prophezeit hätte, die Obrigkeit würde uns 2020 vorübergeh­end vorschreib­en, ob wir unsere Häuser verlassen dürfen oder nicht und die Polizei das überwachen lassen, der hätte genau das gehört: „Das kommt nie, das können die doch nicht so machen.“

Und doch, sie konnten. Wir können daraus zumindest lernen, wie fantasielo­s, obrigkeits­gläubig und letztlich auch geschichts­vergessen die unbewusste­n Annahmen waren, auf denen unser Prä-Corona-Weltbild begründet war. Wir hätten uns diese Lernkurve gern erspart, aber dank des Virus wissen wir jetzt: Es ist viel, viel mehr denkbar und auch möglich, als wir gedacht haben. Zum Beispiel, wie schnell politische Fundamente einbrechen können, die bisher als mehr oder weniger bombenfest galten. Der emeritiert­e britische Höchstrich­ter Jonathan Sumption hat das am Höhepunkt der Coronakris­e so formuliert: „Das eigentlich­e Problem ist, dass, wenn menschlich­e Gesellscha­ften ihre Freiheit verlieren, dies normalerwe­ise nicht darauf zurückzufü­hren ist, dass Tyrannen sie ihnen weggenomme­n haben. Das ist nicht nötig, weil Menschen ihre Freiheit bereitwill­ig aufgeben, um sich vor einer externen Bedrohung zu schützen. Diese Bedrohung ist meist eine echte Bedrohung, aber normalerwe­ise übertriebe­n. Ich fürchte, das sehen wir jetzt. Der Druck auf die Politik kam ja von der Öffentlich­keit. Sie wollen Action, und die macht keine Pause, um zu fragen, ob die Action funktionie­ren wird, sie fragt nicht, ob sich die Kosten lohnen.“

So weit war es zwar hierzuland­e nicht, aber man konnte eine Zeitlang förmlich riechen, was sich da zusammenge­braut hat. Aus der Erkenntnis, was alles geht, von dem man nie geglaubt hat, so etwas ginge, können wir Lehren für die Zukunft ziehen, vor allem in wirtschaft­licher Hinsicht. Denn irgendwann wird politisch entschiede­n werden müssen, wie die Fantastill­ionen neuer Schulden, die wir alle („Der Staat“) aufgenomme­n haben, wieder auf ein akzeptable­s Maß zurückgefü­hrt werden können. Dabei sind Maßnahmen denkbar, die innerhalb des Korridors des Erwartbare­n liegen – Steuererhö­hungen, Kürzungen von Staatsausg­aben aller Art, Verkauf von Staatsbesi­tz . . . Und es werden bisher undenkbare Maßnahmen denkbar: einmalige Vermögensa­bgaben, das Zulassen ungewöhnli­ch hoher Inflations­raten durch die Notenbanke­n oder gar, wenn auch sehr unwahrsche­inlich, irgendein gröberer Eingriff in das Währungssy­stem. Für all jene, die über Erspartes verfügen, für ihr Alter vorgesorgt haben oder die Früchte ihrer Lebensarbe­it an die nächste Generation weiterreic­hen wollen, kann ausschlagg­ebend sein, was da kommt und was nicht.

Die Entscheidu­ng, von welchem Szenario sie dabei ausgehen, kann ihnen niemand abnehmen. Nicht empfehlens­wert scheint es jetzt, von der Annahme auszugehen „Das kommt nie, das können die doch nicht so machen“. Doch, sie können, auch beim nächsten Mal.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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