EuGH: Transitzonen „Haft“
Ungarn. Das Festhalten von Asylbewerbern verstoße gegen EU-Recht, sagen die Luxemburger Richter. Orb´an will das nicht akzeptieren.
Budapest. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Ungarns Praxis, Asylbewerber für die Dauer ihrer Verfahren in Transitzonen an der Grenze zu Serbien festzuhalten, mit „Haft“verglichen und für rechtswidrig befunden – falls die Migranten ohne Einzelfallprüfung festgehalten würden. Es geht um die Klagen von vier Betroffenen aus dem Iran und aus Afghanistan, die nun – nach dem Willen der Richter – von Ungarn ins Land gelassen werden müssten.
Die Regierung in Budapest ist aber nicht dazu gewillt. Für sie ist das Urteil gegenstandslos, weil die Asylanträge der Kläger bereits abgewiesen wurden, und sie nur als Asylbewerber ins Land gelassen werden können, erläuterte Regierungssprecher Zoltan´ Kovacs´ auf seinem Blog „About Hungary“. Es geht aber implizit auch um 300 derzeit in den Transitzonen wartende Migranten, die im Geiste des Urteils ebenfalls nicht dauerhaft „festgehalten“werden dürften. Und darüber hinaus um Ungarns harten Kurs in der Migrationskrise, denn, wenn Asylbewerber Bewegungsfreiheit erhalten, kann das Land wieder attraktiver werden für Migranten und Schlepperbanden.
Ein neues Kräftemessen zwischen der EU und der Regierung von Viktor Orban´ zeichnet sich ab, der das EUGh-Urteil in seinem wöchentlichen Radiointerview einen „Trick“nannte, um Ungarns Migrationspolitik aufzuweichen.
Wer über ein Land einreist, das die ungarischen Behörden als „sicher“einstufen, hat kein Recht auf Asyl – weil Migranten in diesen Ländern keiner Verfolgung ausgesetzt seien. Alle Länder auf dem Weg nach Ungarn gelten als „sicher“– Serbien, Bulgarien, NordMazedonien, und auch die Türkei. Mit anderen Worten: Es ist unmöglich, auf dem Landweg nach Ungarn zu gelangen, ohne dort sein Recht auf Asyl zu verwirken.
Asylwerber sitzen fest
Die Transitzonen sind offen − aber nur nach Serbien, und wer die Zonen dorthin verlässt, dessen Asylverfahren verfällt endgültig. Im konkreten Fall hatte Serbien sich geweigert, die vier Betroffenen zurückzunehmen, weswegen die ungarische Seite deren Abschiebung in die jeweiligen Heimatländer angeordnet hatte, was aber bisher nicht umgesetzt werden konnte. Sie sitzen also noch fest, sind aber, da die Anträge abgelehnt wurden, auch keine Asylbewerber mehr und somit nicht berechtigt, vom Staat verpflegt zu werden.
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Jahr 2013 dürfen
Asylbewerber sich frei in dem Land aufhalten, in dem sie ihren Antrag stellen. Ungarn hielt sich an den Richterspruch – und erlebte rasch eine Vervielfachung illegaler Grenzübertritte. In der großen Flüchtlingskrise ab 2015 kehrte Ungarn zur früheren Praxis der Bewegungseinschränkung zurück.
Pikant: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte im November 2019 befunden, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Asylbewerber in den Transitzonen sei nicht „Haft“. Das EuGH-Urteil steht dazu auf den ersten Blick im Widerspruch. „Alarmierend“nannte Kovacs´ es, dass die beiden höchsten EU-Gerichte zu unterschiedlichen Schlüssen kommen.
Nun will sich Ungarn offenbar ein Beispiel am deutschen Bundesverfassungsgericht nehmen. Das hatte kürzlich dem EuGH „Kompetenzüberschreitung“in einer anderen Frage bescheinigt. Orban´ machte es in seinem Interview am Freitag deutlich: „Wenn der EuGH eine Entscheidung trifft, die in Widerspruch steht zur ungarischen Verfassung, dann muss unsere Verfassung das letzte Wort haben.“Denkbar also, dass das ungarische Verfassungsgericht es bald dem deutschen nachmacht und sich mit dem aktuellen EuGHUrteil befasst, um zu entscheiden, ob es anwendbar ist.