Die kruden Theorien der Nummer eins
Es ist an der Zeit, Novak Djokovi´c abseits des Tennisplatzes in die Schranken zu weisen. Impfgegner, Esoteriker und von Gott auserwählt – die Zwangspause bringt einiges über den Serben zutage.
Mittwochabend war es wieder so weit. Die neueste Episode des „Self Mastery Project“von Novak Djokovic,´ 32, ging durch die sozialen Medien. Während der Tenniszirkus coronabedingt pausiert, will der Weltranglistenerste mit seinen sieben Millionen Followern teilen, wie man „die beste Version seiner selbst“werden kann, wie er sagt.
Dass Djokovic´ dem Spirituellen zugetan ist, weiß man seit seiner Zusammenarbeit mit Guru Pepe Imaz, die auch Mitgrund war für die Trennung von seinem damaligen Trainerteam um Boris Becker (und den Österreicher Gebhard Gritsch). Imaz ist inzwischen Geschichte, was Djokovic´ nun aber verbreitet, ist ob seines Status als derzeit bester Tennisspieler des Planeten problematisch.
Mittwochabend war als Gesprächspartner erneut Chervin Jafarieh zu Gast. Ein iranischer Muskelprotz, sanfte Stimme, perfekt getrimmter Vollbart. In Djokovic’´ Augen ein Experte für die Funktionsweisen des menschlichen Körpers. Die Themen der beiden: Entgiftung, Nährstoffe,
Disziplin. Also Dinge, über die einer der größten Sportler der Geschichte Aufschlussreiches erzählen könnte. Woher aber Jafarieh seine Expertise nimmt, ist nicht nachvollziehbar. Vorgestellt wurde er von Djokovic´ nur als „persischer Bruder“und „wunderbare Seele“, wissenschaftlicher Hintergrund des früheren Immobilienunternehmers ist keiner bekannt, wohl aber, dass er sich auf Rudolf Steiner und den österreichischen „Wasserforscher“Viktor Schauberger beruft.
So behauptet Djokovic´ im Gespräch mit Jafarieh, er kenne Leute, die es durch energetische Verwandlung, durch Beten oder Dankbarkeit geschafft hätten, „aus dem schmutzigsten Wasser das heilsamste zu machen“. Jafarieh stimmt freilich zu. Über einen Onlineshop vertreibt er Präparate, die unter anderem Gehirnzellen stärken sollen. 58 US-Dollar kostet das 60-ml-Fläschchen. Djokovic´ sagt, er nutze die Produkte seit Jahren. „Die beste Marke der Welt.“
Neue Wege in der Sportpsychologie zu erkunden ist das eine. Dass die Nummer eins einer Weltsportart aber parawissenschaftliches Halbwissen – und im Fall der veränderten Wassermoleküle die Unwahrheit – verbreitet, widerspricht seiner Verantwortung als solche. Denn Djokovic’´ Erfolg verleiht ihm Glaubwürdigkeit. Und zu Verschwörungstheorien, die ohnehin Hochsaison haben, ist es da nicht mehr weit. Djokovic’´ Ehefrau hat gerade ein Video des Arztes Thomas Cowan geteilt, der den Mobilfunkstandard 5G mit der Coronapandemie in Verbindung bringt.
Dass sich Djokovic´ vor einigen Wochen als Impfgegner offenbarte, schlug überraschend wenig Wellen. Auch weil er erklärte, diese Einstellung zu überdenken, falls für Tennisprofis eine Covid-19-Impfung vorgeschrieben werde. Auch dass sich der Serbe für von Gott auserwählt hält, wie seine Mutter unlängst erzählte, mag in Djokovic’´ Kindheit wurzeln, als die Familie im zerbombten Belgrad alle Kraft in die Karriere des ältesten Sohnes steckte. Aber nun, da er einem selbst ernannten Alchemisten huldigt, braucht es eine Gegenrede der Tenniswelt. Am besten so, wie Djokovic´ auf dem Platz mit seinen Gegnern verfährt: Erst stechen die besseren Argumente, dann folgt die Umarmung am Netz. Von der ATP – Djokovic´ ist Präsident des Spielerrats – gibt es keinen Kommentar. Es wäre an der Zeit.