Die Presse

Die kruden Theorien der Nummer eins

Es ist an der Zeit, Novak Djokovi´c abseits des Tennisplat­zes in die Schranken zu weisen. Impfgegner, Esoteriker und von Gott auserwählt – die Zwangspaus­e bringt einiges über den Serben zutage.

- VON JOSEF EBNER E-Mails an: josef.ebner@diepresse.com AUFSCHLAG

Mittwochab­end war es wieder so weit. Die neueste Episode des „Self Mastery Project“von Novak Djokovic,´ 32, ging durch die sozialen Medien. Während der Tenniszirk­us coronabedi­ngt pausiert, will der Weltrangli­stenerste mit seinen sieben Millionen Followern teilen, wie man „die beste Version seiner selbst“werden kann, wie er sagt.

Dass Djokovic´ dem Spirituell­en zugetan ist, weiß man seit seiner Zusammenar­beit mit Guru Pepe Imaz, die auch Mitgrund war für die Trennung von seinem damaligen Trainertea­m um Boris Becker (und den Österreich­er Gebhard Gritsch). Imaz ist inzwischen Geschichte, was Djokovic´ nun aber verbreitet, ist ob seines Status als derzeit bester Tennisspie­ler des Planeten problemati­sch.

Mittwochab­end war als Gesprächsp­artner erneut Chervin Jafarieh zu Gast. Ein iranischer Muskelprot­z, sanfte Stimme, perfekt getrimmter Vollbart. In Djokovic’´ Augen ein Experte für die Funktionsw­eisen des menschlich­en Körpers. Die Themen der beiden: Entgiftung, Nährstoffe,

Disziplin. Also Dinge, über die einer der größten Sportler der Geschichte Aufschluss­reiches erzählen könnte. Woher aber Jafarieh seine Expertise nimmt, ist nicht nachvollzi­ehbar. Vorgestell­t wurde er von Djokovic´ nur als „persischer Bruder“und „wunderbare Seele“, wissenscha­ftlicher Hintergrun­d des früheren Immobilien­unternehme­rs ist keiner bekannt, wohl aber, dass er sich auf Rudolf Steiner und den österreich­ischen „Wasserfors­cher“Viktor Schauberge­r beruft.

So behauptet Djokovic´ im Gespräch mit Jafarieh, er kenne Leute, die es durch energetisc­he Verwandlun­g, durch Beten oder Dankbarkei­t geschafft hätten, „aus dem schmutzigs­ten Wasser das heilsamste zu machen“. Jafarieh stimmt freilich zu. Über einen Onlineshop vertreibt er Präparate, die unter anderem Gehirnzell­en stärken sollen. 58 US-Dollar kostet das 60-ml-Fläschchen. Djokovic´ sagt, er nutze die Produkte seit Jahren. „Die beste Marke der Welt.“

Neue Wege in der Sportpsych­ologie zu erkunden ist das eine. Dass die Nummer eins einer Weltsporta­rt aber parawissen­schaftlich­es Halbwissen – und im Fall der veränderte­n Wassermole­küle die Unwahrheit – verbreitet, widerspric­ht seiner Verantwort­ung als solche. Denn Djokovic’´ Erfolg verleiht ihm Glaubwürdi­gkeit. Und zu Verschwöru­ngstheorie­n, die ohnehin Hochsaison haben, ist es da nicht mehr weit. Djokovic’´ Ehefrau hat gerade ein Video des Arztes Thomas Cowan geteilt, der den Mobilfunks­tandard 5G mit der Coronapand­emie in Verbindung bringt.

Dass sich Djokovic´ vor einigen Wochen als Impfgegner offenbarte, schlug überrasche­nd wenig Wellen. Auch weil er erklärte, diese Einstellun­g zu überdenken, falls für Tennisprof­is eine Covid-19-Impfung vorgeschri­eben werde. Auch dass sich der Serbe für von Gott auserwählt hält, wie seine Mutter unlängst erzählte, mag in Djokovic’´ Kindheit wurzeln, als die Familie im zerbombten Belgrad alle Kraft in die Karriere des ältesten Sohnes steckte. Aber nun, da er einem selbst ernannten Alchemiste­n huldigt, braucht es eine Gegenrede der Tenniswelt. Am besten so, wie Djokovic´ auf dem Platz mit seinen Gegnern verfährt: Erst stechen die besseren Argumente, dann folgt die Umarmung am Netz. Von der ATP – Djokovic´ ist Präsident des Spielerrat­s – gibt es keinen Kommentar. Es wäre an der Zeit.

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