WTO: Chaos, Frust und Lähmung
Rücktritt. Der frühzeitige Abgang von WTO-Chef Roberto Azevˆedo ist ein weiteres Indiz für die Lähmung der Organisation. Schuld daran ist nicht die WTO, sondern die Mitgliedstaaten selbst.
Wien. Er war nicht gerade der schillerndste aller Männer, die bisher an der Spitze der Welthandelsorganisation standen. Sieben Jahre hat der brasilianische Karrierediplomat Roberto Azevedoˆ versucht, der WTO mehr Relevanz zu verleihen. Meist im Hintergrund – und bis zuletzt erfolglos. Diese Woche reichte er seinen vorzeitigen Rücktritt ein.
Damit stolpert die politisch bereits gelähmte WTO führungslos in die schwerste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Und obwohl der 62-Jährige offiziell aus privaten Gründen abtritt, lässt er in Interviews wenig Zweifel daran, dass es die fortwährende Blockade durch die USA war, die den Diplomaten letztlich mürbe gemacht hat. „Wir machen im Moment gar nichts“, sagte er. „Es gibt keine Verhandlungen, alles steckt fest.“Mit seinem Rücktritt wolle er weiteres Chaos in der WTO vermeiden. Die Organisation brauche frisches Blut zur Erneuerung – und er sei dafür nicht der richtige Mann.
Blockade durch die USA
Das mag sein. Nur, wer ist es? Wer hat das politische Gewicht, um die WTO wieder auf Kurs zu bringen und die tiefe Kluft zu den USA zu überbrücken? Fakt ist, dass die Welthandelsorganisation seit 1995 kein einziges großes Handelsabkommen auf den Boden gebracht hat. Und seit US-Präsident Trump den Welthandel zum Kriegsgebiet erklärt hat und Deals lieber im Duell mit einzelnen Staaten statt in der großen Runde abschließt, büßt die Organisation zusätzlich an Glaubwürdigkeit ein. Die EU will nun möglichst schnell einen Nachfolger finden. Die USA spielen unterdessen auf Zeit und werden sich erst „in den kommenden Monaten“in die Suche einbringen.
Egal, wie lang es dauert, eines scheint klar: Jeder Kandidat und jede Kandidatin muss auf ein Himmelfahrtskommando gefasst sein. Denn seit Ende des Vorjahres kann die WTO auch ihre zweite Hauptaufgabe, das Lösen von Konflikten zwischen ihren 164 Mitgliedern, nicht mehr wahrnehmen.
Der Grund dafür: Washington weigert sich, neue Richter für das höchste Berufungsgericht der WTO zu ernennen. Von ursprünglich sieben Richtern ist seit Jahresbeginn nur noch die Chinesin Hong Zhao im Amt. Allein darf sie nichts entscheiden, sie braucht mindestens zwei weitere Juristen an ihrer Seite. Damit sind die an sich verbindlichen Regeln der WTO für den Welthandel nur noch Makulatur. Ohne letzte Instanz hängen alle WTO-Streitschlichtungsverfahren bei Handelskonflikten in der Luft.
Wie zum Beweis für die wachsende Irrelevanz der WTO beklagte Donald Trump freitags erneut die Ungerechtigkeit beim Handel zwischen China und den USA und drohte Peking mit dem Abbruch der Beziehungen. Schuld an der verfahrenen Situation ist in seinen Augen auch die Welthandelsorganisation. Er kritisiert, dass China in der WTO weiter als Entwicklungsland gilt, was der Volksrepublik unfaire Vorteile im Welthandel beschere. Der US-Präsident hat das globale Forum zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen im Handel schon abgeschrieben und droht mit dem Ausstieg der USA. Dafür hat er einen Handelsstreit mit der Volksrepublik vom Zaun gebrochen, der bis zur Corona-Pandemie als größte Bedrohung für die Weltwirtschaft galt. Erst im Jänner hatten die USA und China ein vorläufiges Handelsabkommen unterzeichnet.
Doch Trump ist mit seiner Kritik am Umgang der WTO mit China nicht allein. Aber statt der Selbstaufgabe fordern andere Länder eine Reform der Organisation, die der größeren Macht Chinas Rechnung trägt. Nach den USA und der EU ist die Volksrepublik die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die WTO müsse bei staatlichen Beihilfen und erzwungenen Technologietransfers endlich strenger gegen Peking vorgehen.