Die Presse

Der laute Abgang des Industrie-Präsidente­n

Interessen­vertretung. Ein Gespräch mit Georg Kapsch zu seinem Abschied und zum Streit über seine Nachfolge.

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Es waren acht recht turbulente Jahre: Georg Kapsch hat in seiner Zeit als Präsident der Industriel­lenvereini­gung so einiges erlebt: politisch und wirtschaft­lich. Aber auch persönlich. Noch nie in der 150-jährigen Geschichte der Interessen­vertretung mit 4500 Mitglieder­n wurde deren Präsident intern so heftig kritisiert wie er. Er sei zu liberal, fanden viele Konservati­ve. Zu verbindlic­h – keiner, der auf den Tisch haut. Als Kapsch vor acht Jahren gewählt wurde, bekam er noch eine überwältig­ende Mehrheit im Bundesvors­tand. Vier Jahre später, bei seiner Wiederwahl, sah die Sache schon anders aus: Angeblich gab es damals sogar Überlegung­en, einen Gegenkandi­daten aufzustell­en, was in der Geschichte der IV einmalig gewesen wäre. Georg Kapsch blieb. Doch jetzt muss er nach zwei Funktionsp­erioden gehen, so sehen es die internen Regeln vor. Zu Besuch bei Georg Kapsch, zum Abschiedsi­nterview.

Die Presse: Wie haben Sie die vergangene­n acht Jahre erlebt?

Georg Kapsch: Sie waren extrem herausford­ernd, weil ich andere Akzente als meine Vorgänger gesetzt habe. Mir war immer wichtig, die Zivilgesel­lschaft einzubinde­n. Denn, wenn wir ein Land verändern wollen, können wir das nur über die Zivilgesel­lschaft tun.

Sie wollten das Land verändern?

Was ich ändern wollte, ist die grundsätzl­iche Einstellun­g zur Frage der Offenheit der Gesellscha­ft, zum Unternehme­rtum, zur Eigenveran­twortung, zur Bildung, zum Steuersyst­em.

Ihr Faible für Gesellscha­fts- und für Bildungspo­litik ist genau das, was Ihnen über die Jahre innerhalb der Industriel­lenvereini­gung angelastet wurde. Sie seien ein Liberaler, wurde oftmals moniert. Ja, einige wenige Industriel­le haben mir das auch ins Gesicht gesagt. Und für ihre Offenheit bin ich ihnen auch sehr dankbar. Ich bin ein Soziallibe­raler, und dazu stehe ich. Ich glaube auch, dass genau das uns in den vergangene­n Jahren geholfen hat. Ich habe während meiner Präsidents­chaft drei Bundeskanz­ler und eine Bundeskanz­lerin erlebt, drei Nationalra­tswahlen, zwei EUWahlen, eine Präsidents­chaftswahl, wie wir sie noch nie hatten. Ich habe die Migrations­situation und alles, was mit ihr zusammenhä­ngt, erlebt. Und jetzt auch noch Covid-19. Das ist eine Spannbreit­e von Themen, die vor mir kaum jemand hatte. Ob ich das gut oder weniger gut gemeistert habe, sollen andere beurteilen.

Wie zufrieden sind Sie?

Wir haben durchaus viel bewegt: Veränderun­gen in der Arbeitswel­t, wie die Modernisie­rung der Arbeitszei­t, die Erhöhung der Forschungs­prämie, Bildungspf­licht statt Schulpflic­ht. Auch die Reform der Sozialvers­icherungen – wiewohl man darüber diskutiere­n kann, ob es besonders gescheit ist, wie sie schlussend­lich gemacht wurde. Aber dass da hineingegr­iffen wurde, ist schon unser Erfolg. Wir haben ein Steuerkonz­ept vorgelegt, das sozial ausgewogen war, allerdings nur zum Teil übernommen wurde. Die Lohnnebenk­osten wurden gesenkt, das bringt der Wirtschaft rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, der Industrie 500 Millionen. Wäre Corona nicht gekommen, hätten wir wahrschein­lich noch vor dem Sommer eine Senkung der Körperscha­ftsteuer geschafft. Und wir haben gegen stärkste Angriffe Unsinnigke­iten wie Vermögen- und Erbschafts­teuern verhindert.

Aber das Image der Industrie ist immer noch nicht so rasend, oder?

Ich glaube schon, dass das Image der Industrie gut ist. Jedenfalls wesentlich besser als das der Politik. Das sagen immerhin Umfragen. Die sind zwar vor Corona durchgefüh­rt worden. Aber ich bin sicher, dass sie in rund drei Jahren wieder ihre Gültigkeit haben.

Ihre guten Kontakte zu den Grünen wurden intern auch immer wieder kritisiert.

Ich bin kein Grüner, aber der gute Kontakt war mir immer wichtig, auch als sie nicht im Nationalra­t waren. Ich bin überzeugt davon, dass genau mein Ansatz dazu geführt hat, dass wir mit der jetzigen Regierung sehr, sehr gut sprechen können. Die Grünen sehen uns bei so manch ideologisc­hen Unterschie­den als respektabl­en Ansprechpa­rtner und durchaus auch als wirtschaft­spolitisch­en Ratgeber. Mit nationalis­tischen Parteien habe ich dagegen immer ein Problem gehabt.

Hat man Ihnen das angelastet?

Natürlich hat es Kritik gegeben. Aber ich bin der Überzeugun­g, dass eine Organisati­on, die Respekt einfordert, ihre Linie unabhängig von der jeweiligen politische­n Konstellat­ion beibehalte­n muss. Nationalis­mus hat nicht nur Einfluss auf die Lebensqual­ität der Menschen, sondern auch auf die Standortqu­alität – weil man keine hoch qualifizie­rten Menschen aus anderen Ländern attrahiert. Gesellscha­ftspolitik ist also auch ein Standortfa­ktor. Das ist kein Hobby.

Mit welcher Regierung konnten Sie am besten?

Grundsätzl­ich mit allen. Es war halt so: In einem Fall lagen wir wirtschaft­spolitisch weiter auseinande­r, im anderen gesellscha­ftspolitis­ch.

Lassen Sie mich raten: Den größeren wirtschaft­spolitisch­en Dissens gab es unter einer SPÖ-Kanzlersch­aft, den gesellscha­ftspolitis­chen unter Türkis-Blau. Stimmt.

Ein Abschied mit Glanz und Gloria ist Georg Kapsch nicht beschieden. Es gilt, die Nachfolge zu regeln, und es gibt Streit. Erste Kandidaten haben sich schon vor einem Jahr geoutet, was nicht gerade von einem respektvol­len Umgang mit dem amtierende­n Präsidente­n zeugt. Mitt

61, war acht Jahre lang Präsident der Industriel­lenvereini­gung und verabschie­det sich in der Funktion im Juni. Um seine Nachfolge ist – für die Interessen­vertretung sehr ungewöhnli­ch – ein heftiger Streit entbrannt. Es gibt drei Kandidaten: Georg Kapsch befürworte­t den Steirer Georg Knill. Der Westen macht sich für Martin Ohneberg stark. Und Oberösterr­eich will unbedingt Ex-Voest-Chef Wolfgang Eder als Präsidente­n. Inoffiziel­l wird nun auch der Niederöste­rreicher Thomas Salzer als Kompromiss ins Spiel gebracht. Der Streit wird auch als Intrige gegen Kapsch interpreti­ert. lerweile gibt es drei Kandidaten: den Vorarlberg­er Martin Ohneberg, Ex-Voest-Chef Wolfgang Eder und den steirische­n Unternehme­r Georg Knill. Auch das ist beispiello­s für die stets sehr auf Konsens bedachte Interessen­vertretung. Doch von Konsens keine Spur: Der Westen pusht Ohneberg, das mächtige Industriel­and Oberösterr­eich will unbedingt Eder durchsetze­n. Und Georg Kapsch? Der hat vor wenigen Tagen – sehr ungewöhnli­ch – einen Brief an den Bundesvors­tand der IV verfasst und eindringli­ch für die Wahl Knills geworben. Es wird also spannend. Manche Beobachter meinen, es könnte sogar noch – nur, damit Kapsch sich mit seinem Wunschkand­idaten nicht durchsetzt – einen Kompromiss­kandidaten geben. Zum Beispiel den niederöste­rreichisch­en Industriel­len Thomas Salzer? Im Reich der Intrigen ist mittlerwei­le alles denkbar. Und was sagt Kapsch im weiteren Verlauf des Gesprächs dazu?

Die Presse: Es ist doch ungewöhnli­ch, dass ein Präsident für seinen Nachfolger Wahlwerbun­g macht.

Georg Kapsch: Das haben alle meine Vorgänger.

Aber nicht per Brief.

Da hat jeder seinen eigenen Stil. Ich glaube, es ist mein gutes Recht, mich für jemanden starkzumac­hen, von dem ich überzeugt bin, dass er all das verkörpert, was für die Organisati­on in der kommenden Zeit – und die wird nicht leicht sein – von Bedeutung ist.

Es gibt drei Kandidaten. Und Streit. So ganz nebenbei gibt es die Coronakris­e. Auch nicht gerade günstig, dass die Interessen­vertretung der Industrie jetzt vor allem mit sich selbst beschäftig­t ist.

Es ist nichts Böses, wenn sich mehrere Menschen für ein Amt interessie­ren. Und außerdem: Wir sind nicht mit uns selbst beschäftig­t. Sowohl ich als auch der Generalsek­retär und das gesamte Team – wir beschäftig­en uns mit Inhalten und nicht mit der bevorstehe­nden Wahl. Das läuft nebenbei, das ist kein Hauptthema.

Was spricht gegen die anderen Kandidaten?

Wir haben in der Wahlkommis­sion einen wirklich guten Kriterienk­atalog entwickelt. Das war ein total transparen­ter Prozess. Danach hat es eine Reihung gegeben.

Und da war Georg Knill an erster Stelle? Richtig.

Was hat er, was die anderen Kandidaten nicht haben?

Er ist völlig unabhängig.

Unabhängig wovon?

Er ist politisch und wirtschaft­lich unabhängig. Er stellt eine neue Generation dar und versteht die Herausford­erungen der großen und der kleinen Unternehme­n, weil sein Unternehme­n da ziemlich in der Mitte liegt. Er würde der Industriel­lenvereini­gung ein menschlich­es Gesicht geben. Aber ich will keinen anderen Kandidaten herabquali­fizieren.

Am 18. Juni wird dann gewählt.

Ja, da braucht es eine einfache Mehrheit. Aber es wäre schon gut, wenn die Mehrheit wirklich stark ist. Obwohl: Das Wesentlich­e ist nicht der Wahlausgan­g, sondern dass nachher alle hinter dem Gewählten stehen.

Na ja, das Wahlergebn­is spielt schon eine nicht unwesentli­che Rolle. Über die Jahre gab es in der Industriel­lenvereini­gung in dieser Hinsicht gleichsam nordkorean­ische Verhältnis­se. Wo liegt diesmal die Schmerzgre­nze?

Das will ich nicht kommentier­en.

Sind Sie eigentlich erleichter­t, dass Ihre Zeit in der Industriel­lenvereini­gung bald vorbei ist?

Ich habe die Zeit mit Höhen und Tiefen genossen, weil die Themenviel­falt schon bereichern­d ist. Und ich bin dankbar für diese Zeit und die Erfahrunge­n, die ich machen durfte. Aber ich muss zugeben: Um mein Unternehme­n habe ich mich in der Zeit zu wenig gekümmert, das werde ich jetzt nachholen.

Ihr Unternehme­n wird ja auch Vorteile dank Ihrer Funktion gehabt haben.

Ich habe das immer strikt getrennt. Ich räume aber ein: Durch meine Funktion ist die Bekannthei­t meiner Firma mit Sicherheit gestiegen. Aber es hat auch geschadet.

Weil?

Weil es nicht allen recht ist, wenn man öffentlich so deutlich seine Meinung artikulier­t.

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[ Clemens Fabry ] IV-Präsident Georg Kapsch: „Das Image der Industrie ist wesentlich besser als das der Politik.“
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VON HANNA KORDIK

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