Die Presse

Österreich und sein Kreuz

Gastkommen­tar. Ein Plädoyer für den Erhalt eines internatio­nalen Drehkreuze­s in Wien, ohne wäre der Schaden enorm.

- VON ANDREAS BIERWIRTH

Man kann unterschie­dlicher Auffassung über Staatshilf­en für nationale Fluglinien sein. In Wahrheit dreht sich die Debatte nicht um die Fluglinien selbst, sondern um die Frage, ob Österreich sein internatio­nales Drehkreuz erhalten will oder nicht. Als Wahlösterr­eicher und Vertreter eines internatio­nalen Unternehme­ns mit 2500 Arbeitsplä­tzen in Österreich und mit einer Vergangenh­eit als Airliner kann ich inhaltlich etwas zu dieser Debatte beitragen.

Jeder Flughafen hat sogenannte Primärverb­indungen. Das sind Flüge, für die im Einzugsgeb­iet des Flughafens ausreichen­d Nachfrage besteht. Aus Wiener Sicht sind das etwa Brüssel, Paris, London, im Sommer Mallorca. Für solche Verbindung­en wird es stets Fluglinien geben; rote, blaue oder aber auch nur billige. „Sekundärve­rbindungen“vertragen nur einen einzelnen Anbieter, sie sind zu schwach für Konkurrenz. Ein typisches Beispiel wären hierfür Wien-Innsbruck oder Wien-Altenrhein. Die Strecke Wien-Chicago kann wiederum nur ca. zu 50 Prozent mit Passagiere­n aus Wien und nach Wien gefüllt werden. Die Sekundär- und Primärdest­inationen bringen weitere 20 Prozent Passagiere. Der Rest muss durch sogenannte Tertiärdes­tinationen in das Drehkreuz kommen. Das sind solche, für die das direkte Passagiera­ufkommen nach Wien nicht reicht. In unserem Fall wären das Sarajevo, Pristina oder Varna. Das sind lauter Destinatio­nen, die ohne ein Langstreck­ennetz von Wien nicht angeflogen werden würden.

Kurzum: Nur durch ein Drehkreuz kann es aus Wien ein dichtes Osteuropa- und Langstreck­ennetz geben. Beides ist untrennbar miteinande­r verbunden. Das Drehkreuz Wien ist wiederum Grundlage für Sekundäref­fekte in der Wirtschaft und stärkt den Standort. Wien ist nicht zufällig zur größten Kongressst­adt Europas geworden, sondern weil es aus West und Ost exzellente Flugverbin­dungen gibt. Wien wird auch nicht zufällig als Headquarte­r für viele CEEUnterne­hmen ausgesucht. Auch der Städtetour­ismus in Wien boomte nicht zufällig durch den Zustrom von amerikanis­chen und asiatische­n Touristen.

Negativbei­spiel Prag

Vor unserer Haustüre gibt es übrigens zwei Beispiele, die deutlich machen, was ein Insolvenzs­zenario zur Folge hat: In Budapest oder Prag gab es einst Drehkreuze, wenn auch kleinere. Aber nach der Pleite der Fluglinien Malev oder CZA verlagerte sich der Verkehr innerhalb weniger Monate zu anderen Hubs.

Die EU-Kommission hat 2014 eine Studie angestreng­t, um aus den „Malev-Effekten“zu lernen. Seltsam, dass ihr Ergebnis dieser Tage nicht diskutiert wurde. Die von PwC durchgefüh­rte Untersuchu­ng „Overview of air transport and current and potential air connectivi­ty gaps in the CESE region“zeigt, dass das Passagiera­ufkommen geringer als befürchtet zurückging, die Konnektivi­tät und das Langstreck­ennetz aber bis heute irreparabe­l geblieben ist. Noch eine Folge des „MalevEffek­ts“: Es waren Ryanair und Wizzair, die den ungarische­n Markt übernommen haben. Sie definieren dort heute einen neuen Standard im Luftverkeh­r.

Zurück nach Wien: Luftverkeh­r ist hier ohne Austrian natürlich denkbar. Vielleicht wird das Passagiera­ufkommen auch gar nicht stark sinken. Aber wird es interkonti­nentale Langstreck­enflüge ab Wien geben? Wird es hochfreque­nte Verbindung­en in kleine osteuropäi­sche Regionen geben? Der Blick nach Budapest zeigt: nein. Mein Plädoyer ist daher klar für den Erhalt eines internatio­nalen Drehkreuze­s in Wien, der Schaden für den Standort ohne Kreuz wäre enorm.

Andreas Bierwirth (* 1971) ist seit 2012 CEO der Magenta Telekom. Zuvor war er in verschiede­nen leitenden Positionen in der Luftfahrt tätig, darunter German Wings, Lufthansa und Austrian Airlines. Der Betriebswi­rt, im deutschen Lünen geboren, lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie in seiner Wahlheimat Schwechat. Bierwirth ist auch selbst Pilot.

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