Österreich und sein Kreuz
Gastkommentar. Ein Plädoyer für den Erhalt eines internationalen Drehkreuzes in Wien, ohne wäre der Schaden enorm.
Man kann unterschiedlicher Auffassung über Staatshilfen für nationale Fluglinien sein. In Wahrheit dreht sich die Debatte nicht um die Fluglinien selbst, sondern um die Frage, ob Österreich sein internationales Drehkreuz erhalten will oder nicht. Als Wahlösterreicher und Vertreter eines internationalen Unternehmens mit 2500 Arbeitsplätzen in Österreich und mit einer Vergangenheit als Airliner kann ich inhaltlich etwas zu dieser Debatte beitragen.
Jeder Flughafen hat sogenannte Primärverbindungen. Das sind Flüge, für die im Einzugsgebiet des Flughafens ausreichend Nachfrage besteht. Aus Wiener Sicht sind das etwa Brüssel, Paris, London, im Sommer Mallorca. Für solche Verbindungen wird es stets Fluglinien geben; rote, blaue oder aber auch nur billige. „Sekundärverbindungen“vertragen nur einen einzelnen Anbieter, sie sind zu schwach für Konkurrenz. Ein typisches Beispiel wären hierfür Wien-Innsbruck oder Wien-Altenrhein. Die Strecke Wien-Chicago kann wiederum nur ca. zu 50 Prozent mit Passagieren aus Wien und nach Wien gefüllt werden. Die Sekundär- und Primärdestinationen bringen weitere 20 Prozent Passagiere. Der Rest muss durch sogenannte Tertiärdestinationen in das Drehkreuz kommen. Das sind solche, für die das direkte Passagieraufkommen nach Wien nicht reicht. In unserem Fall wären das Sarajevo, Pristina oder Varna. Das sind lauter Destinationen, die ohne ein Langstreckennetz von Wien nicht angeflogen werden würden.
Kurzum: Nur durch ein Drehkreuz kann es aus Wien ein dichtes Osteuropa- und Langstreckennetz geben. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Das Drehkreuz Wien ist wiederum Grundlage für Sekundäreffekte in der Wirtschaft und stärkt den Standort. Wien ist nicht zufällig zur größten Kongressstadt Europas geworden, sondern weil es aus West und Ost exzellente Flugverbindungen gibt. Wien wird auch nicht zufällig als Headquarter für viele CEEUnternehmen ausgesucht. Auch der Städtetourismus in Wien boomte nicht zufällig durch den Zustrom von amerikanischen und asiatischen Touristen.
Negativbeispiel Prag
Vor unserer Haustüre gibt es übrigens zwei Beispiele, die deutlich machen, was ein Insolvenzszenario zur Folge hat: In Budapest oder Prag gab es einst Drehkreuze, wenn auch kleinere. Aber nach der Pleite der Fluglinien Malev oder CZA verlagerte sich der Verkehr innerhalb weniger Monate zu anderen Hubs.
Die EU-Kommission hat 2014 eine Studie angestrengt, um aus den „Malev-Effekten“zu lernen. Seltsam, dass ihr Ergebnis dieser Tage nicht diskutiert wurde. Die von PwC durchgeführte Untersuchung „Overview of air transport and current and potential air connectivity gaps in the CESE region“zeigt, dass das Passagieraufkommen geringer als befürchtet zurückging, die Konnektivität und das Langstreckennetz aber bis heute irreparabel geblieben ist. Noch eine Folge des „MalevEffekts“: Es waren Ryanair und Wizzair, die den ungarischen Markt übernommen haben. Sie definieren dort heute einen neuen Standard im Luftverkehr.
Zurück nach Wien: Luftverkehr ist hier ohne Austrian natürlich denkbar. Vielleicht wird das Passagieraufkommen auch gar nicht stark sinken. Aber wird es interkontinentale Langstreckenflüge ab Wien geben? Wird es hochfrequente Verbindungen in kleine osteuropäische Regionen geben? Der Blick nach Budapest zeigt: nein. Mein Plädoyer ist daher klar für den Erhalt eines internationalen Drehkreuzes in Wien, der Schaden für den Standort ohne Kreuz wäre enorm.
Andreas Bierwirth (* 1971) ist seit 2012 CEO der Magenta Telekom. Zuvor war er in verschiedenen leitenden Positionen in der Luftfahrt tätig, darunter German Wings, Lufthansa und Austrian Airlines. Der Betriebswirt, im deutschen Lünen geboren, lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie in seiner Wahlheimat Schwechat. Bierwirth ist auch selbst Pilot.