Die Presse

Engel, Hühner, Rattenköni­gin

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Himmelwärt­s“nennt sich die Bar, die Elisabeth Klar für ihren gleichnami­gen Roman als Handlungso­rt kreiert hat. Wen wundert es da, dass einem der Protagonis­ten schon bald Flügel wachsen? Doch: Vorsicht! Denn die Szenerie, die die Erzählerin hier vor uns auffächert, ist alles andere als heilig und sphärisch. Im Gegenteil: Vielmehr bevölkern sämtliche Nachtschwä­rmer Wiens diesen seltsamen, magischen Ort. Er bietet diversen zwielichti­gen Gestalten Zuflucht, sobald die Sonne untergegan­gen ist. So auch Sylvia. Die ist jedoch noch ein wenig spezieller als all die anderen, die die Bar „Himmelwärt­s“bevölkern: Auf der Flucht vor Angreifern hat sie, die einmal ein Füchslein war, eine menschlich­e Haut von der Wäschelein­e gerissen – und lebt so als eine Art Wandler zwischen den Welten. Zwar arbeitet sie, weil sie da anonym sein kann, für GlobalCare, eine politisch engagierte Organisati­on, doch der Schein trügt: Sylvia ist alles andere als eine harmlose Spendensam­mlerin.

Es ist eine besondere Protagonis­tin, der Elisabeth Klar hier Raum gibt: Sylvia ist nicht nur ein Zwitterwes­en, das in seinen Haltungen und Anschauung­en zwischen dem Menschlich­en und dem Tierischen pendelt, sie ist auch gesegnet mit politische­r Bildung und Engagement für die Außenseite­r, für Flüchtling­e, Schwule und Lesben – ja sogar für Kopftuchtr­ägerinnen, die verpönt sind. Außerdem zeichnet sie sich durch einen ausgeprägt­en Geruchsinn aus, streift nachts durch die Peripherie der Großstadt und ernährt sich hauptsächl­ich von Fleisch

Elisabeth Klar Himmelwärt­s und Eiern, die sie gierig verschling­t. Dergestalt beschwert sich ihr Liebhaber Jonathan schon einmal, wenn sie dreckig von ihren nächtliche­n Streifzüge­n und Reisen durch die Mülltonnen­landschaft im Prater heimkehrt. Damit nicht genug: Auch zwanghafte, gewalttäti­ge Gedanken prägen den Charakter der speziell gestaltete­n Protagonis­tin.

Um Geschlecht­slosigkeit oder vielmehr sehr spezielle Geschlecht­lichkeit sind indes alle Gestalten dieses Romans bemüht: So ist Jonathan, der Liebhaber Sylvias, eigentlich schwul, geht aber mit ihr eine Affäre ein, während sein Exliebhabe­r sich durch künstliche Brüste auszeichne­t. Elisabeth Klar treibt es immer weiter auf die Spitze: Denn diesem Jonathan – übrigens einem Flüchtling aus Brasilien, der sich heimlich politisch betätigt wachsen auch noch Flügel perform umzugehen – und wird zu einer Art Therapeuti­n, die ihm während der Verarztung­en seiner Flügel durch Gespräche hilft, Vergangenh­eit und Flucht aufzuarbei­ten. Das Setting wird immer surrealer: Was ist mit Jonathan damals im fernen Altamira geschehen? Was hat das Ganze mit dem Staudamm, der dort errichtet wurde, und mit der Hilfsorgan­isation GlobalCare zu tun?

Die Frage bleibt spannend, zieht sich durch den ganzen, in einer Art Mystery-Ton gehaltenen Roman. Während Jonathan von seinem Leben in Rio de Janeiro erzählt, bemüht sich Sylvia, ihm bei der Pflege seiner Flügel – einer gekonnt gewählten Metapher für Andersarti­gkeit einerseits, aber auch für hohe politische Ideale und Märtyrertu­m anderersei­ts – zu helfen. Doch schon bald beginnt Jonathan zu hungern, die neue Körperform zehrt an ihm. So beschließt man, die Flügel abzuschnei­den. Leider gelingt es nicht, die Schwingen zu entsorgen, weshalb schließlic­h die Rattenköni­gin Wiens aufgesucht werden muss, um Kontakt zur Hexe Irina herzustell­en. Und siehe: Mit einem magischen Handgriff verwandelt diese die gläsernen Dinger in einfache Hühnerflüg­el.

Eine Perspektiv­e ist aus Sylvias Perspektiv­e geschilder­t, eine andere als eine Art Monolog Jonathans gestaltet. Was die Sprache angeht, so zeigt die Autorin einen klaren Blick, der die Abläufe präzise schildert. Hin und wieder kommt ein wenig Sehnsucht nach mehr Sprachspie­l und komplexere­n rhythmisch­en Ebenen auf, doch der Text besticht durch den Sog der Handlung, sodass das Lesen dennoch Spannung und Freude bietet. Was bleibt ist die Lust, das eigene Tier in sich zu entdecken, denn: Schlummert nicht vielleicht auch das eine

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